Grund zur Panik? Tendenzen und Prognosen zur Zukunft der Arbeit

Kzenon /​ Shutter­stock

Digita­li­sierung und ökolo­gische Trans­for­mation führen zu einem Struk­tur­wandel der Wirtschaft. Um entscheiden zu können, wie man politisch damit umgeht, braucht es verläss­liche Infor­ma­tionen über die Art dieser Verän­de­rungen. Doch die Studi­enlage ist unein­heitlich. Welche Jobs tatsächlich gefährdet sind und welche Gefahren für die Gesell­schaft es gibt, hat Alice Greschkow zusam­men­ge­fasst. Sie zeigt auf: Um die Umbrüche der Arbeitswelt der Zukunft zu gestalten, braucht es eine Strategie für Aus- und Weiterbildung.

Wie verändert sich die Arbeitswelt durch den digitalen Fortschritt? Wie viele Jobs werden durch moderne Techno­logien entstehen? Wie viele Arbeits­plätze werden wegen Automa­ti­sierung und Künst­licher Intel­ligenz (KI) verschwinden? Diese Fragen werden nicht erst seit kurzem disku­tiert. Wissen­schaft, öffent­liche Verwaltung und privat­wirt­schaft­liche Stake­holder versuchen darauf Antworten zu finden, um Zivil­ge­sell­schaft, Politik und Unter­nehmen auf die Verän­de­rungen vorzubereiten.

Die Zahlen: von Horror­sze­narien bis hin zu verhal­tenem Optimismus

Einig sind sich alle darin, dass die fortschrei­tende Digita­li­sierung die Arbeitswelt verändern wird. Im Mittel­punkt steht zunächst das quanti­tative Interesse: Wie viele Arbeits­pläte fallen weg, wie viele könnten entstehen? Die häufig zitierte Studie von Frey und Osborne (2013) kalku­lierte, dass durch Automa­ti­sierung und digitale Techno­logien 47 Prozent der gegen­wärtig bestehenden Arbeit ersetzt werden könnte. Eine Adaption der Berechnung für den deutschen Markt durch das Zentrum für Europäische Wirtschafts­for­schung (Bonin et al. 2015) sah ähnliche Werte: 42 Prozent könnten durch die Digita­li­sierung ersetzt werden. Aller­dings darf die Kritik dieses Berichts nicht unter­schlagen werden: in der reinen Ausgangs­kal­ku­lation von Frey und Osborne wird zum einen von bestehenden Arbeits­plätzen ausge­gangen, die verschwinden könnten – die Entstehung neuer Jobs wird vernach­lässigt. Zum anderen werden technische Poten­ziale überbe­wertet. Nicht jeder Job, der digita­li­sierbar ist, wird auch tatsächlich wegfallen. Insbe­sondere für Kleine- und Mittel­stän­dische Unter­nehmen sind Inves­ti­tionen in Automa­ti­sierung oftmals zu teuer. Konser­vative Prognosen gehen daher von einem deutlichen geringen Jobverlust aus, der sich auf neun Prozent beläuft (Arntz et al. 2016). 

Portrait von Adrian Lobe

Alice Greschkow ist Politik­wis­sen­schaft­lerin und publi­ziert und berät zum Thema Trans­for­mation der Arbeitswelt

Für den deutschen Markt berech­neten Dengler und Mattes (2015), dass 15 Prozent der sozial­ver­si­che­rungs­pflich­tigen Arbeits­plätze ein hohes Substi­tu­ie­rungs­po­tenzial von über 70 Prozent haben. Diese Berufe sind oft durch repetitive Aufgaben gekenn­zeichnet, die keine lange und intensive Ausbildung voraus­setzen. Durch Automa­ti­sierung könnten diese Tätig­keiten schneller und kosten­güns­tiger umgesetzt werden. Eine Prognose aus dem Jahr 2019 für das Bundes­mi­nis­terium für Arbeit und Soziales (Zika et al.) geht davon aus, dass sich bis 2035 rund sieben Millionen Berufe verändern werden – vier Millionen fallen dabei weg, 3,3 Millionen neue Jobs entstehen. Verluste werden im Vergleich zu den Beschäf­ti­gungs­zahlen des Jahres 2015 insbe­sondere im produ­zie­renden Gewerbe (-800.000 Stellen) sowie im Bereich der Kfz-Wartung und Reparatur (-600.000 Stellen) erwartet. Im Gegenzug wird damit gerechnet, dass 1,3 Millionen Jobs im Gesund­heits- und Pflege­be­reich, 500.000 wissen­schaft­liche und technische freibe­ruf­liche Arbeits­stellen und 300.000 Positionen im Infor­ma­tions- und Kommu­ni­ka­ti­ons­sektor entstehen werden.

Die Qualität: Polari­sierung möglich

Die Prognosen darüber wie sich der Berufs­markt quanti­tativ verändert, variieren zwar stark, doch Tendenzen und mögliche Heraus­for­de­rungen lassen sich bereits erkennen. Der Arbeits­ökonom David Autor vom renom­mierten Massa­chu­setts Institute of Technology (MIT) unter­sucht auf Grundlage der ameri­ka­ni­schen Volks­wirt­schaft die Effekte der Digita­li­sierung auf Berufs­bilder und den Arbeits­markt. Massen­ar­beits­lo­sigkeit sei kein realis­ti­schen Szenario, da histo­risch beobachtet wurde, dass Automa­ti­sierung zwar bestimmte Berufs­bilder obsolet werden lässt oder stark verändert, aber dafür ein Bedarf an neuen Kapazi­täten an bisher ungeahnten Stellen entstehen (Autor 2015 XXX).

Aller­dings ist bisher eine Polari­sierung der Arbeitswelt zu beobachten: In den vergan­genen zwei Jahrzehnten, in denen Automa­ti­sierung und digitale Techno­logie die Arbeitswelt verändert haben, sind klassische Mittel­stands­berufe zu merklichen Teilen in den USA verschwunden. Dazu zählen handwerk­liche und verkaufs­be­zogene Berufe. Statt­dessen ist der Bedarf an hochqua­li­fi­zierten IT-Exper­tInnen gestiegen – jedoch machen diese nur einen kleinen Teil der gesamten Arbeits­kraft aus.

Ein größerer Bedarf ist in den niedriger vergü­teten Branchen entstanden, insbe­sondere im Gesund­heits­wesen, aber auch im Bereich der Dienst­leis­tungen mit geringem Quali­fi­ka­ti­ons­niveau wie in der Gastro­nomie. Für Nicht-Akade­miker sind die Beschäf­ti­gungs­chancen für gutbe­zahlte und aussichts­reise Jobs in den USA gesunken. Gleich­zeitig ist eine wachsende Lücke zwischen den Geschlechtern zu beobachten: der Anteil der Männer, die es in die oberen Segmente der Polari­sierung schaffen, ist bedeutend höher als der Frauenanteil.

Zwar ist eine ähnlich starke Polari­sierung wegen des Systems der beruf­lichen Bildung in Deutschland nicht zu erwarten, dennoch bestätigt auch die ILO (2018) den Trend, dass indus­trielle Berufe in entwi­ckelten Volks­wirt­schaften stagnieren oder eher abnehmen werden. Bis 2025 soll der Anteil der Ferti­gungs­berufe in den Indus­trie­na­tionen um ein Prozent sinken, während der Bedarf im Gesund­heits­wesen sowie in den unter­neh­mens­be­zo­genen Dienst­leis­tungen steigt. Das Weltwirt­schafts­forum (2018) sieht hingegen eine diver­si­fi­zierte Bandbreite an Berufen, die perspek­ti­visch nicht mehr gefragt sein werden: Dazu gehören nicht nur handwerk­liche Berufe, sondern eine Reihe von Dienst­leis­tungs­tä­tig­keiten wie Verkäu­ferIn, Kassie­rerIn, FahrerIn, Versi­che­rungs­kauf­leute, Anwälte oder Buchhal­terIn. Bereits jetzt sind erste Tendenzen dieser Entwicklung zu beobachten: Super­märkte instal­lieren Kassen zur Selbst­be­dienung, selbst­fah­rende Autos werden getestet, Apps für Steuer­erklä­rungen vermarktet.

Während erwartet wird, dass für die IT-Branche eine Reihe von neuen Berufs­bildern entstehen werden, besteht die Erwartung, dass auch in Feldern, die auf die Betreuung und den Austausch mit Menschen ausgelegt sind, ein neuer Bedarf jenseits der Gesund­heits­branche entsteht: Im Bildungs­wesen, Marketing, Perso­nal­ma­nagement und bei kunden­zen­trierten Dienst­leis­tungen können neue Tätig­keiten entstehen. Der Unter­nehmer und KI-Pionier Kai-Fu Lee (2018) sieht großes Potenzial für Tätig­keiten, in denen Empathie, Charisma, Kreati­vität und Überzeu­gungs­fä­higkeit gefragt sind. Dennoch werden digitale Kennt­nisse in den meisten Berufen unabdingbar – auch wenn sie Arbeits­plätze nicht vernichten, so wird der Einsatz Künst­licher Intel­ligenz und Algorithmen den Berufs­alltag vieler Arbeit­nehmer begleiten.

Deutsch­lands Strategie: automa­ti­sieren und ausbilden

In Anbetracht der Prognosen und Möglich­keiten für die zukünftige Entwicklung des Arbeits­markts, wird es entscheidend sein, welche Weichen Deutschen stellen wird, um Stabi­lität zu bewahren, die Mittel­schicht zu stärken und Polari­sierung entge­gen­zu­wirken. Das Weltwirt­schafts­forum (2018) prognos­ti­ziert Deutschland eine hohe Affinität für Automa­ti­sierung. Dies liegt zum einen am starken Indus­trie­sektor, zum anderen am demogra­fi­schen Wandel, der eine große Heraus­for­derung bezüglich der Suche nach Fachkräften darstellt. Die US-Ökonomen Acemoglu und Restrepo (2018) argumen­tieren, dass alternde Gesell­schaften eher Automa­ti­sierung und die Anwendung von Robotern in indus­tri­ellen Berufen imple­men­tieren. Aller­dings ist nicht abzusehen, ob durch den Einsatz von digitalen und maschi­nellen Lösungen die Produk­ti­vität steigt – Super­markt­kassen zur Selbst­be­dienung ersetzen lediglich eine Tätigkeit und steigern dabei die Produk­ti­vität nicht direkt.

Für den Umgang mit den Digita­li­sie­rungs­trends und einer möglichen Perspektive von Jobver­lusten mahnt Becker (2019) davor, radikale Steuer­re­formen zu planen, die beispiels­weise auf die Erhöhung der Unter­nehmens- oder Maschi­nen­steuer abzielen würden. Als gute regula­to­rische Maßnahme könnte sich statt­dessen die Bildungs­po­litik erweisen, da in allen Quali­fi­ka­tions- und Erfah­rungs­stufen die Notwen­digkeit digitale Fähig­keiten zu entwi­ckeln, steigt.

Die Bundes­mi­nis­terien für Bildung und Forschung sowie Arbeit und Soziales reagieren auf die Beschäf­ti­gungs­per­spektive mit vorsich­tigem Optimismus und realis­ti­schem Handlungs­drang. Aus Sicht des Bildungs­mi­nis­te­riums kann die Digita­li­sierung zu einem Jobmotor werden, der durch Innovation und Effizienz in Unter­nehmen den Bedarf an quali­fi­zierten Arbeits­kräften wachsen lässt. Das Arbeits­mi­nis­terium hingegen legt in neuen Konzepten und Ideen einen großen Wert auf lebens­langes Lernen, die Anpassung von Lernin­halten sowie die Förderung von Weiter- und Fortbil­dungen. Denn gerade Arbeit­nehmer in niedrig­qua­li­fi­zierten Berufen, sollen Unter­stützung auf dem Arbeits­markt erhalten.

Die wichtigste Variable bleibt offen

Die Prognosen für die Effekte der Digita­li­sierung des Arbeits­markts erstrecken sich über eine Bandbreite von Szenarien, die von katastro­phalen Entwick­lungen für Volks­wirt­schaften und Arbeit­nehmer bis hin zu moderatem Optimismus reichen. Eine wesent­liche Variable bleibt bei jeder Analyse offen: niemand kann mit vollkom­mener Sicherheit voraus­sagen, an welcher Stelle neue Jobs entstehen werden. Brzeski und Fechner (2018) verliehen dieser Erkenntnis Nachdruck, nachdem Brzeski und Burk 2015 selbst prognos­ti­ziert hatten, dass über 18 Millionen Arbeits­plätze automa­ti­siert werden können.

Die Horror­sze­narien bestä­tigen sich jedoch nicht. Seit der umstrit­tenen Publi­kation von Frey und Osborne sind mittler­weile sieben Jahre vergangen und die Arbeits­lo­sen­quote in Deutschland? den USA? ist bis 2019 konti­nu­ierlich gesunken – trotz konjunk­tu­reller Heraus­for­de­rungen. Automa­ti­sierung und digitale Techno­logien sind derweil stärker in den Arbeits­alltag vieler Menschen gezogen – ihre Tätig­keits­profile haben sich dadurch mögli­cher­weise gewandelt, doch ihre Jobs sind nicht verschwunden. Auch in puncto Armuts­quote gibt es seit 2005 kaum Veränderungen.

Der hohe Anteil der betrieb­lichen Berufs­aus­bil­dungen, der Arbeit­neh­mer­schutz, das Bildungs­an­gebot und die export­starken Indus­trien lassen Deutschland im inter­na­tio­nalen Vergleich gut dastehen. Es gibt berech­tigte Annahmen zur Sorge, weil die Wahrschein­lichkeit, dass Arbeits­plätze massen­weise verschwinden mit der Digita­li­sierung steigt und gleich­zeitig der Fachkräf­te­mangel infolge des demogra­fi­schen Wandels und dem Hunger nach IT-Spezia­listen steigt. Nichts­des­to­trotz sollte von einer tief pessi­mis­ti­schen Sicht auf die Zukunft abgesehen werden – es ist für den spezi­ellen Fall in Deutschland nämlich noch nicht absehbar wo genau welche Art von Berufen entsteht und welche Instru­mente der Regulierung seitens der Politik tatsächlich genutzt werden, sobald sich ein Trend verschärft.

 


Quellen:

Acemoglu, D., Restrepo, P. (2018), Demogra­phics and Automation, National Bureau of Economic Research: https://www.nber.org/papers/w24421.pdf.

Arntz, M., Gregory, T., Zierahn, U. (2016), The risk of automation for jobs in OECD countries: a compa­rative analysis, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, No. 189, OECD Publi­shing, Paris: https://www.oecd- ilibrary.org/social-issues-migration-health/the-risk-of-automation-for-jobs-in-oecd-countries_5jlz9h56dvq7-en.

Autor, D.H., Mindell, D.A., Reynolds, E.B., The Work of the Future: Shaping Technology and Insti­tu­tions, Fall Report, MIT Task Force on the future of work: https://workofthefuture.mit.edu/sites/default/files/2019–09/WorkoftheFuture_Report_Shaping_Technology_and_Institutions.pdf.

Autor, D.H. 2015. Why Are There Still So Many Jobs? The History and Future of Workplace Automation. Journal of Economic Perspec­tives 29, no. 3: 3–30.

Becker, S. B. (2019), Digitaler Struk­tur­wandel und der Sozial­staat im 21. Jahrhundert, Deutsche Bank Research Institute:

https://www.dbresearch.de/PROD/RPS_DE-PROD/PROD0000000000486872/Digitaler_Strukturwandel_und_der_Sozialstaat_im_21.PDF.

Bonin, H., Gregory T., Zierahn, U. (2015), Übertragung der Studie von Frey/​Osborne (2013) auf land, Bundes­mi­nis­terium für Arbeit und Soziales, Mannheim: http://www.zew.de/publikationen/uebertragung-der- studie-von-freyosborne-2013-auf-deutschland/.

Brzeski, C., Burk, I. (2015), Die Roboter kommen. Folgen der Automa­ti­sierung für den deutschen Arbeits­markt, ING- DiBa Economic Research: https://www.ing-diba.de/pdf/ueber-uns/presse/publikationen/ing-diba-economic- analysis-die-roboter-kommen.pdf.

Bundes­mi­nis­terium für Bildung und Forschung (2016), Zukunft der Arbeit, Innova­tionen für die Arbeit von morgen: https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Zukunft_der_Arbeit.pdf,

Dengler, K., Matthes, B. (2015), Folgen der Digita­li­sierung für die Arbeitswelt – Substi­tu­ier­bar­keits­po­ten­ziale von Berufen in Deutschland, Institut für Arbeits­markt- und Berufs­for­schung: http://doku.iab.de/forschungsbericht/2015/fb1115.pdf.

Frey, C. B., Osborne, M. A. (2013), The future of employment: how suscep­tible are jobs to compu­te­ri­sation?, Oxford Martin School Working Papers, September: http://www.futuretech.ox.ac.uk/sites/futuretech.ox.ac.uk/files/The_Future_of_Employment_OMS_Working_Paper_ 0.pdf.

Inter­na­tional Labor Organization (2018), World Employment Social Outlook: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—dgreports/—dcomm/—publ/documents/publication/wcms_615594.pdf.

Lee, Kai-Fu (2018), AI Super­powers: China, Silicon Valley, and the New World Order, Houghton Mifflin Harcourt.

World Economic Forum (2018), The future of jobs report: http://www3.weforum.org/docs/WEF_Future_of_Jobs_2018.pdf.

Zika, G. Schneemann, C., Grossmann, A., Kalinowski, M., Maier, T., Mönning, A., Parton, F., Winnige, S., Wolter, M.I. (2019): BMAS-Prognose „Digita­li­sierte Arbeitswelt“, Institut für Arbeits­markt- und Berufs­for­schung: http://doku.iab.de/forschungsbericht/2019/fb0519.pdf.

 

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