Klima­wandel und Techno­logie: Aufbruch in die ökolo­gische Moderne

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Die liberale Gesell­schaft braucht eine grüne indus­trielle Revolution, um dem Klima­wandel zu begegnen. Mit demokra­ti­scher Politik, Erfin­der­geist und einer dynami­schen Ökonomie lassen sich Ressour­cen­ver­brauch und Wirtschafts­wachstum entkoppeln.

Die Ausein­an­der­setzung um den Klima­wandel ist in eine neue Phase getreten: Die Alarm­zeichen einer immer rascheren Verän­derung der Ökosphäre nehmen zu, und gleich­zeitig wird diese zu einem bestim­menden politi­schen Faktor. Hundert­tau­sende junger Leute sind Vorreiter einer „Klima-APO“, und sie ziehen die Älteren mit sich. Klima­schutz war bei der Europawahl 2019 ein zentrales Motiv und birgt auch mit Blick auf Deutschland das Potenzial, die politische Landschaft umzupflügen. Umwelt­po­litik ist kein Nischen­thema mehr, sondern wird zur neuen Zentralachse der Politik.

Aktuell halten fast 60 Prozent der Bevöl­kerung den Klima­wandel für das drängendste Problem unserer Zeit – so die Ergeb­nisse einer Umfrage der Forschungs­gruppe Wahlen aus dem September 2019. Dieser Wert wurde bislang nur übertroffen von früheren Sorgen vor Arbeits­lo­sigkeit sowie der Unruhe um die Flücht­lings­po­litik 2015/​16. Während der Konflikt um die Flücht­lings­po­litik durch ein Bündel von integra­tiven und restrik­tiven Maßnahmen einge­dämmt werden konnte, ist eine Entschärfung bei der Klima­frage nicht in Sicht. Wie die Reaktionen auf das jüngst beschlossene „Klima­paket“ der Bundes­re­gierung zeigen, nimmt die Ausein­an­der­setzung noch an Heftigkeit zu. Wenn die Kluft zwischen klima­po­li­ti­scher Ungeduld in der Gesell­schaft und der Trägheit von Politik und Wirtschaft tiefer wird, kann daraus eine Legiti­ma­ti­ons­krise unseres Gesell­schafts­mo­dells entstehen, das auf der Kombi­nation von liberaler Demokratie und Markt­wirt­schaft beruht. Wer beide zukunftsfest machen will, muss sich der ökolo­gi­schen Heraus­for­derung stellen.

Die indus­trielle Moderne basiert bislang auf der scheinbar unbegrenzten Verfüg­barkeit fossiler Energien. Sie waren der Treib­stoff für eine ungeheure Steigerung von Produktion und Konsum und eine immer weiter ausgrei­fende Mobilität. Gleich­zeitig haben die Indus­tria­li­sierung der vorma­ligen „Dritten Welt“ und der expansive Lebensstil der wachsenden globalen Mittel­schicht zu einem drama­ti­schen Anstieg des Energie­ver­brauchs geführt. Seine Haupt­quellen sind Kohle und Öl. Rund die Hälfte aller fossilen Energie­träger, die seit Beginn der Indus­tria­li­sierung verfeuert wurden, fallen in die vergan­genen 30 Jahre. 

Portrait von Ralf Fücks

Ralf Fücks ist geschäfts­füh­render Gesell­schafter des Zentrums Liberale Moderne.

Histo­risch betrachtet sind die Vorreiter der indus­tri­ellen Moderne – Europa und die USA – für den Löwen­anteil der steigenden CO2-Konzen­tration in der Atmosphäre verant­wortlich. Inzwi­schen sind die bevöl­ke­rungs­reichen neuen Indus­trie­na­tionen Asiens an ihnen vorbei­ge­zogen: China steht heute für rund 28 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, Indien folgt nach den USA bereits auf Rang drei. Japan hat seinen CO2-Ausstoß seit 1960 verfünf­facht. Deutschland ist das einzige Land unter den sechs weltgrößten „Klima­sündern“, dessen CO2-Emissionen in diesem Zeitraum in etwa gleich geblieben sind. Im Verhältnis zum Basisjahr 1990 sind sie sogar um rund 30 Prozent gesunken. Der Anteil der Bundes­re­publik an der globalen Wirtschafts­leistung beträgt etwa 3,2 Prozent, an den Treib­haus­gas­emis­sionen 2 Prozent. Dennoch liegen die deutschen CO2-Emissionen pro Kopf über dem europäi­schen Durch­schnitt. Das liegt vor allem am hohen Anteil der Kohle am Energiemix. Schweden kommt mit seiner Kombi­nation aus Wasser­kraft und Atomenergie nur auf die Hälfte des deutschen Werts.

Einem Zauber­lehrling gleich hat die indus­trielle Moderne einen Prozess globaler Erwärmung in Gang gesetzt. Er führt uns in einer histo­risch kurzen Frist aus der relativ stabilen Klimazone der vergan­genen zehntausend Jahre hinaus, in der sich die mensch­liche Zivili­sation entwi­ckeln konnte. In den zurück­lie­genden 200 Jahren stieg die mittlere globale Tempe­ratur um 1,1 Grad; der Trend geht steil nach oben. Die Erwärmung der Arktis und das Schmelzen des Grönland-Eises verlaufen schneller als vermutet, ein Hitze­sommer jagt den nächsten. Wir müssen um die künftigen Lebens­be­din­gungen auf unserem Heimat­pla­neten fürchten. Wenn der Treib­haus­effekt außer Kontrolle gerät, wird das die Lebenswelt von Milli­arden Menschen gefährden. Die drama­ti­schen Folgen eines sich selbst verstär­kenden Klima­wandels sind oft genug beschrieben worden, ebenso ihre sicher­heits­po­li­tische Dimension. Umwelt­be­dingte Massen­mi­gration und Konflikte um knappe Wasser­re­serven bergen ein erheb­liches Gewaltpotenzial.

Neuer „Kultur­kampf“

Jetzt, da sich erweist, dass die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas das Erdklima aus den Fugen hebt, gerät auch der Hedonismus der Moderne in die Kritik. In den wohlha­benden Ländern – vorneweg in Deutschland – wächst eine Bewegung, die eine radikale Verän­derung des indivi­du­ellen Lebens­stils fordert. Die Freude am Fahren, der Urlaubsflug, die große Wohnung, die perma­nente Online-Kommu­ni­kation, die jährlich wechselnden Moden, die jahres­zeit­un­ab­hängige Verfüg­barkeit von Lebens­mitteln aus der ganzen Welt und der hohe Fleisch­konsum gelten als ökolo­gi­scher Sündenfall. Für die Anhänger eines neuen Öko-Purita­nismus ruiniert unser Streben nach „immer mehr“ den Planeten. „Tuet Buße und kehrt um!“, ist deshalb der neue katego­rische Imperativ.

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat diesen neuen „Kultur­kampf“ bereits vor Jahren voraus­ge­sehen: „Die expres­sions- und emissi­ons­feind­liche Ethik der Zukunft zielt geradewegs auf die Umkehrung der bishe­rigen Zivili­sa­ti­ons­richtung“, sagte er 2009 in einer Rede auf der Klima­kon­ferenz in Kopen­hagen. „Sie verlangt Vermin­derung, wo bisher Vermehrung auf dem Plan stand, sie fordert Minimierung, wo bisher Maximierung galt, sie will Zurück­haltung, wo bisher Explosion erlaubt war, sie verordnet Sparsamkeit, wo bisher Verschwendung als höchster Reiz empfunden wurde, sie mahnt die Selbst­be­schränkung an, wo bisher die Selbst­frei­setzung gefeiert wurde. Denkt man diese Umschwünge zu Ende, so gelangt man im Zuge der meteo­ro­lo­gi­schen Refor­mation zu einer Art von ökolo­gi­schem Calvinismus.“

Die bisherige Wirkung all dieser Bußpre­digten ist aller­dings sehr überschaubar. Zwar geht unter den Jungen und Gebil­deten der Fleisch­konsum ebenso zurück wie der Drang zum eigenen Auto. Zugleich steigen die Zulas­sungs­zahlen für SUVs ebenso wie die Zahl der Flugreisen und der Strom­ver­brauch der digitalen Kommu­ni­kation. Die Zahl derje­nigen, die ihre persön­liche CO2-Bilanz drastisch gesenkt haben, fällt kaum ins Gewicht.

Das liegt nicht nur an der Macht alter Gewohn­heiten und indivi­du­eller Bequem­lichkeit. Unsere persön­liche Klima­bilanz hängt stark von Struk­turen ab, die sich indivi­duell nur sehr bedingt verändern lassen: von der Art der Energie­er­zeugung, den Gebäuden, in denen wir wohnen, den verfüg­baren Alter­na­tiven zum Automobil und von den Berufen, in denen wir tätig sind. Für Geschäfts­leute, Wissen­schaft­le­rinnen, Angehörige des inter­na­tio­nalen Kultur­be­triebs, Politiker und die Eliten der globalen Zivil­ge­sell­schaft ist das Fliegen keine Frage der indivi­du­ellen Moral, sondern ihres beruf­lichen Alltags. Selbst wo es sinnvoll und zumutbar wäre, den Zug statt das Flugzeug zu nehmen, scheitert das allzu oft an fehlenden Kapazi­täten und zeitrau­benden Verbin­dungen der Bahn.

Damit wir uns recht verstehen: Es gibt keine Freiheit ohne persön­liche Verant­wortung. Es ist gut und richtig, mit Rad oder Bahn zu fahren und keine Produkte zu kaufen, für die Menschen geschunden werden oder Tiere leiden. Jedem steht es frei, das „gute Leben“ in einem Mehr an Muße und sozialen Bezie­hungen statt in einer Steigerung von Einkommen und Konsum zu suchen. Aber ein nüchterner Blick auf die Größe der ökolo­gi­schen Heraus­for­derung zeigt, dass sie mit dem Appell zur Genüg­samkeit nicht zu lösen ist. Eine Reduktion von Treib­haus­gasen um 90 Prozent und mehr ist nicht durch die Beschränkung von Mobilität und Konsum zu erreichen. Ohne eine grüne indus­trielle Revolution werden wir den Wettlauf mit dem Klima­wandel nicht gewinnen. Ihr Kern besteht in einer Entkopplung von Wohlstands­pro­duktion und Natur­ver­brauch. Das ist ambitio­niert, aber machbar.

Klima­wandel und Demokratie

Die Kritik an der Langsamkeit der Demokratie mit ihrer Kompro­miss­ori­en­tierung hat eine lange Tradition. Angesichts immer neuer Alarm-Nachrichten über schmel­zende Gletscher, brennende Wälder und auftauende Perma­f­rost­böden wird der Ruf nach durch­grei­fenden Maßnahmen lauter. Es ist kein Zufall, dass promi­nente Umwelt­schützer wie der Norweger Jørgen Randers mit dem chine­si­schen Modell eines vermeintlich aufge­klärten Autori­ta­rismus sympa­thi­sieren. Randers gehörte zu dem Team um den Ökonomen Dennis Meadows, das 1971 den berühmten Bericht zu den „Grenzen des Wachstums“ für den Club of Rome verfasste. Bereits diese Urschrift der modernen Umwelt­be­wegung war von einem autori­tären Grundton durchzogen.

Wenn man die Rettung aus der ökolo­gi­schen Krise vor allem in der Einschränkung von Produktion, Konsum und Fortpflanzung sucht, ist das konse­quent. Autoritäre Regimes scheinen dann eher in der Lage, die notwen­digen Verzichts­leis­tungen durch­zu­setzen, weil sie in gerin­gerem Maße als parla­men­ta­rische Demokratien von der Zustimmung der Bevöl­kerung abhängig sind. Demokratie wird in dieser Lesart zu einem Luxus, den wir uns angesichts der Klima­krise nicht mehr leisten können.

Gegen die autoritäre Versu­chung der Ökologie zu argumen­tieren, bedeutet nicht, die ökolo­gische Krise zu verharm­losen. Wenn die Erder­wärmung außer Kontrolle gerät und die Meere kippen, wird das große Verwer­fungen nach sich ziehen, von wirtschaft­lichen Einbrüchen bis zu weltweiten Wande­rungs­be­we­gungen. Insofern gefährdet die Umwelt­krise auch die Demokratie. Wir müssen deshalb alles tun, um die ökolo­gische Trans­for­mation der Indus­trie­ge­sell­schaft voranzutreiben.

Wider eine Ökologie des Verzichts

Die Ökologie des Verzichts beruht auf einer stati­schen Sicht auf die Bezie­hungen zwischen Mensch und Natur. Sie begreift die Erde als einen fixen Raum, der nur ein begrenztes Potenzial an Ressourcen bietet, in dem sich die Menschen einrichten müssen. Überschreiten sie die von der Natur gesetzten Grenzen, droht die Selbst­ver­nichtung der mensch­lichen Gattung. Ein Vorläufer dieses Denkens war der britische Theologe und Ökonom Thomas Malthus, ein Zeitge­nosse von Goethe. Seine berühmt gewordene „Bevöl­ke­rungs­theorie“ postu­lierte, dass die Erde nur rund eine Milliarde Menschen ernähren kann. Ein Überschreiten dieser Schwelle führe zu katastro­phalen Hungers­nöten bis hin zum Zusam­men­bruch der mensch­lichen Zivilisation.

Was Malthus nicht voraussah, war die enorme Steigerung der landwirt­schaft­lichen Produk­ti­vität durch chemische Dünger, Pflan­zen­schutz­mittel, moderne Maschinen und die Züchtung ertrag­rei­cherer Pflanzen und Nutztiere. Heute leben mehr als sieben Milli­arden Menschen auf der Erde, ihre Lebens­er­wartung hat sich seither verdoppelt und die verfügbare Kalorien­menge pro Kopf um mehr als die Hälfte erhöht. Ein Wunder? Ja, aber ein Wunder auf der Basis von Wissen­schaft und Technik. Was Malthus außer Acht ließ, war die mensch­liche Erfin­dungs­kraft. Wir können die Natur­ge­setze nicht außer Kraft setzen, aber die wachsende Natur­er­kenntnis und der technische Fortschritt ermög­lichen es, die „natür­lichen Grenzen“ immer weiter hinaus­zu­schieben. Die „Grenzen des Wachstums“ sind keine fixe Größe. Die Sonnen­ein­strahlung auf der Erde bietet ein fast unerschöpf­liches Energie­po­tenzial für eine ökolo­gische Indus­trie­ge­sell­schaft, die auf der Kombi­nation von natür­licher und techni­scher Photo­syn­these, von Bioöko­nomie und Wasser­stoff beruht.

Auch der Report „Die Grenzen des Wachstums“ huldigt einer linearen Logik. Für Dennis Meadows und seine Kollegen war Wirtschafts­wachstum unver­meidbar mit einem wachsenden Verbrauch eng begrenzter Ressourcen verbunden. Nach ihren Hochrech­nungen musste eine fortge­setzte Expansion der Weltwirt­schaft bereits um das Jahr 2000 zur Erschöpfung der natür­lichen Ressourcen führen. Öl, Gas, Kupfer, Bauxit, Zinn, Eisenerz und andere wichtige Rohstoffe würden versiegen, die Meere wären leerge­fischt, die Konta­mi­nation von Böden und Gewässern mit giftigen Stoffen würde irreversibel.

Womit sie nicht gerechnet hatten, war die steigende Effizienz im Umgang mit knappen Ressourcen, die Entde­ckung immer neuer Rohstoff­quellen und eine immer umfas­sendere Umwelt­ge­setz­gebung, die zumindest in den fortge­schrit­tenen Ländern dem Raubbau an der Natur Grenzen zog. Im Ergebnis hat sich die Weltbe­völ­kerung seit 1970 glatt verdoppelt, die Lebens­er­wartung ist ebenso gestiegen wie das Bildungs­niveau, die Kinder­sterb­lichkeit ist gesunken, und die Luft- und Gewäs­ser­qua­lität ist in Europa und Nordamerika deutlich besser als zu Beginn der 1970er Jahre, gleich­zeitig sind die bekannten Vorräte der meisten Rohstoffe heute größer. Inzwi­schen ist unsere Sorge nicht mehr, dass der Indus­trie­ge­sell­schaft die Rohstoffe ausgehen. Als zentrales ökolo­gi­sches Problem haben sich die Dezimierung der biolo­gi­schen Vielfalt sowie die Überlastung des Erdsystems mit den Schad­stoffen des Indus­trie­systems entpuppt, vorneweg die Überfrachtung der Atmosphäre mit Treibhausgasen.

Freiwil­liger oder erzwun­gener Verzicht auf dieses und jenes wird die ökolo­gische Krise besten­falls verlang­samen, aber nicht stoppen. Das gilt erst recht mit Blick auf die Milli­arden Menschen auf unserem Planeten, die nichts sehnlicher wollen als den Anschluss an ein modernes Leben: gut ausge­stattete Wohnungen, Bildung und profes­sio­nelle Gesund­heits­ver­sorgung, die Möglichkeit zu reisen, eine reich­haltige Ernährung. Für die große Mehrheit der Weltbe­völ­kerung ist „Nullwachstum“ keine Alter­native. Für sie ist wirtschaft­liches Wachstum nach wie vor der Hebel für höheren Lebens­standard, bessere Bildung und Gesund­heits­ver­sorgung. Es kommt deshalb alles darauf an, die Art und Weise unseres Wirtschaftens zu verändern: vom Raubbau an der Natur zur Koope­ration mit der Natur. Das wäre der Modus für ein nachhal­tiges bezie­hungs­weise grünes Wachstum, das steigenden Wohlstand – zumindest für die große Mehrheit der Weltbe­völ­kerung – mit der Treuhän­der­schaft für die natür­lichen Lebens­grund­lagen verbindet.

Für eine grüne indus­trielle Revolution

In einer stagnie­renden oder gar schrump­fenden Ökonomie sinken auch die Inves­ti­tionen und damit das Innova­ti­ons­tempo. Gerade weil die Zeit angesichts des Klima­wandels drängt, brauchen wir umgekehrt ein höheres Tempo bei der Umstellung auf erneu­erbare Energien, umwelt­freund­liche Landwirt­schaft und klima­neu­trale Mobilität. Der ökolo­gische Umbau der Indus­trie­ge­sell­schaft erfordert steigende Inves­ti­tionen in alter­native Energie­systeme und neue Produk­ti­ons­an­lagen, in den Ausbau des öffent­lichen Verkehrs und die ökolo­gische Moder­ni­sierung unserer Städte. Wenn wir es richtig anstellen, entsteht daraus eine neue ökono­mische Dynamik, eine lange Welle umwelt­freund­lichen Wachstums.

Bei Lichte besehen, geht es ohnehin nicht um die Frage, ob die Weltwirt­schaft weiterhin wächst. Angesichts einer auf zehn Milli­arden steigenden Weltbe­völ­kerung, der fortschrei­tenden Indus­tria­li­sierung der Länder des Südens und des anhal­tenden Wachstums der Städte lautet die alles entschei­dende Frage, ob es gelingt, Wertschöpfung und Umwelt­be­lastung zu entkoppeln. Bei einer jährlichen Wachs­tumsrate von drei Prozent wird sich die globale Wirtschafts­leistung in den kommenden 20 Jahren in etwa verdoppeln. Im gleichen Zeitraum müssen die Treib­haus­gas­emis­sionen drama­tisch sinken, um den Tempe­ra­tur­an­stieg im Zaum zu halten. Das erfordert nichts weniger als eine grüne indus­trielle Revolution mit einer ähnlich durch­schla­genden Wirkung wie die Erfindung der Dampf­ma­schine, die Elektri­fi­zierung oder das Automobil. Im Kern geht es um eine dreifache Trans­for­mation der alten Indus­trie­ge­sell­schaft: erstens von fossilen Energie­quellen zu erneu­er­baren Energien, zweitens um eine konti­nu­ier­liche Steigerung der Ressour­cen­ef­fi­zienz (aus weniger Rohstoffen und Energie mehr Wohlstand erzeugen) und drittens um den Übergang zu einer modernen Kreis­lauf­wirt­schaft, in der jeder Reststoff wieder in die biolo­gische oder indus­trielle Produktion zurück­ge­führt wird.

Wer Freiheit und Ökologie in Einklang bringen will, muss vor allem auf Innovation setzen und den Wettbewerb um die besten Lösungen fördern. Das ist keine Absage an staat­liche Eingriffe in den Markt. Auch eine liberale Umwelt­po­litik kommt nicht ohne Grenz­werte und Verbote aus. Aber sie sind nicht der Königsweg für die Lösung der ökolo­gi­schen Frage. Zielfüh­render ist die Einbe­ziehung ökolo­gi­scher Kosten in die Preis­bildung. Markt­wirt­schaft funktio­niert nur, wenn die Preise die ökolo­gische Wahrheit spiegeln. Eine ökolo­gische Steuer­reform, die Treib­haus­gas­emis­sionen und den Verbrauch knapper natür­licher Ressourcen verteuert, hat einen weitaus größeren Effekt als immer neue Ge- und Verbote. Die Mehrbe­las­tungen, die durch Umwelt­steuern entstehen, können in Form eines Öko-Bonus an alle Bürge­rinnen und Bürger zurück­er­stattet werden. Ein solcher Pro-Kopf-Betrag hätte sogar einen sozialen Umver­tei­lungs­effekt, weil Gering­ver­die­nende in der Regel einen gerin­geren CO2-Fußab­druck aufweisen als Wohlhabende.

Der Weg über einen sukzessiv anstei­genden CO2-Preis ist der kosten­güns­tigste Weg zum Klima­schutz – er setzt die Maßnahmen zur Senkung von Kohlen­dioxid-Emissionen frei, bei denen das günstigste Kosten-Nutzen-Verhältnis erzielt werden kann. Der zweite große Vorteil liegt darin, dass sie die Eigen­in­itiative von Unter­nehmen und Verbrau­chern in eine nachhaltige Richtung lenkt, ohne ihnen Vorschriften zu machen. Zugleich liefert ein steigender CO2-Preis Anreize für klima­freund­liche Inves­ti­tionen und Kaufent­schei­dungen aufseiten der Produ­zenten und Konsumenten.

Klima­öko­nomen kommen auf lenkungs­wirksame Einstiegs­preise von 50 bis 60 Euro pro Tonne, die nach und nach auf einen dreistel­ligen Betrag ansteigen. Der von der Bundes­re­gierung beschlossene CO2-Tarif von 10 Euro pro Tonne bleibt weit unter dieser Schwelle. In Schweden, das bereits Anfang der 1990er Jahre eine nationale CO2-Steuer einführte, liegt der Preis gegen­wärtig bei 115 Euro je Tonne. Er gilt für wirtschaft­liche Aktivi­täten, die nicht vom europäi­schen CO2Emissionshandel erfasst werden.

Neuer Anlauf

Die Pariser Klima­kon­ferenz von 2015 hat sich nicht als der große Durch­bruch erwiesen, den sich viele erhofft hatten. Die globalen Treib­haus­gas­emis­sionen steigen weiter, die meisten Staaten bleiben hinter ihren Absichts­er­klä­rungen zurück. Das gilt auch für die Bundes­re­publik. Die Trägheit von Politik, Wirtschaft und Alltags­ge­wohn­heiten bremst rasche Fortschritte. CO2-intensive Indus­trien wehren sich gegen die Entwertung ihres Kapitals. Viele Entwick­lungs­länder setzen nach wie vor auf Kohle zur Deckung ihres Energie­hungers. In Schlüs­sel­ländern wie den USA und Brasilien ist ein klima­po­li­ti­sches Rollback im Gang. Für Trump und Bolsonaro ist das Pariser Abkommen nur lästiger Ballast. Die russische Führung setzt auf die Steigerung der Öl‑, Gas- und Kohle­ex­porte als Geschäfts­modell. Auch in China steigen die CO2-Emissionen weiter an, trotz des beein­dru­ckenden Ausbaus erneu­er­barer Energien und der Elektro­mo­bi­lität. Dieser Trend kann nur umgekehrt werden, wenn die fortge­schrit­tenen Indus­trie­länder zeigen, dass es auch anders und besser geht.

Die ökolo­gische Krise erzwingt einen funda­men­talen Umbau der Indus­trie­ge­sell­schaft. Die rasche Entwicklung digitaler Technik, von Hochleis­tungs­rechnern und super­schnellen Daten­netzen bis hin zu selbst­ler­nenden Robotern und 3D-Druck im indus­tri­ellen Maßstab, bietet auch neue Poten­ziale für ressour­cen­op­ti­mierte Produktion und eine vernetzte Kreis­lauf­wirt­schaft. Ohne intel­li­gente Verbund­netze wäre die Energie­wende, die eine Verknüpfung von Millionen dezen­traler Anlagen erfordert, undenkbar. Auf diesem Weg voran­zu­gehen, ist die besondere Verant­wortung und Chance der hochin­dus­tria­li­sierten Länder.

Die deutsche Energie­wende hat dazu beigetragen, die Lernkurve erneu­er­barer Energien zu finan­zieren. Heute sind Solar- und Windkraft­an­lagen vielerorts kosten­güns­tiger als neue Kohle- und Atomkraft­werke. Diese Pionier­rolle sollten wir auch bei Strom­spei­chern und intel­li­genten Netzen, der Umwandlung von Regene­ra­tiv­strom in Wasser­stoff und synthe­tische Kraft­stoffe, bei Elektro­mo­bi­lität und Biotech­no­logie übernehmen. Nur wenn wir zeigen, dass Klima­schutz und wirtschaft­licher Erfolg zwei Seiten einer Medaille sind, kann Europa zum Modell für andere werden. Gleich­zeitig sichern wir damit unsere eigene wirtschaft­liche Zukunft.

Angesichts einer drohenden Zuspitzung ökolo­gi­scher Krisen stehen wir vor drei abseh­baren Optionen. Die erste liegt in der Radika­li­sierung einer Umkehr­be­wegung, die die Rettung in der freiwil­ligen oder erzwun­genen Schrumpfung von Produktion und Konsum sucht, in Verzicht und Verbot. Ihr Gegenpol ist ein trotziges „Weiter so“, die Verlän­gerung des fossilen Indus­tria­lismus bis zum Kollaps. Die dritte Möglichkeit liegt in einer neuen Synthese zwischen Natur und Technik. Angesichts der Belas­tungs­grenzen des Erdsystems bleiben uns zwei Quellen des Fortschritts: Die Einstrahlung von Sonnen­en­ergie auf die Erde und die mensch­liche Kreati­vität. Auf einer Kombi­nation von beidem muss eine freiheit­liche und nachhaltige Gesell­schaft aufbauen. Wir können die drohende Selbst­zer­störung der Moderne mit den Mitteln der Moderne bewäl­tigen: mit demokra­ti­scher Politik, Wissen­schaft, einer dynami­schen Ökonomie und einer aktiven Zivilgesellschaft.

Der Text erschien in „Aus Politik und Zeitge­schichte

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