Die Grünen und die Freiheit

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Die Grünen disku­tieren den Freiheits­be­griff. Doch welchen Stellenwert hat Freiheit in der grünen Politik? Anmer­kungen von Ralf Fücks zum Freiheits­kon­gress der grünen Bundes­tags­fraktion am 19. September 2014 in Berlin.

Wenn es um Bürger­rechte geht, um sexuelle Selbst­be­stimmung oder um „Freiheit statt Überwa­chung“ im Internet, sind die Grünen ganz mit sich im reinen. Die Heraus­for­derung für eine freiheit­liche grüne Politik liegt auf anderen Feldern, bei denen es einen starken Sog zum Etatismus und Dirigismus gibt: Ökologie und Wirtschafts­po­litik. Hier kolli­diert die antiau­to­ritäre Tradition der Grünen mit der ebenso tief sitzenden Versu­chung, die Menschheit zu ihrem Glück zu nötigen. Wie das Echo auf den verun­glückten Vorstoß für einen obliga­to­ri­schen „Veggie Day“ gezeigt hat, reagiert auch das ökolo­gisch aufge­klärte Publikum ausge­sprochen empfindlich auf staat­liche Eingriffe in die persön­liche Lebens­führung. Der groß aufge­zogene grüne Freiheits­kon­gress war nicht zuletzt ein Versuch, dem Image einer Gouver­nanten- Partei zu entkommen, die ihre Schutz­be­foh­lenen mit sanfter oder harter Hand auf den Pfad der Tugend führt.

Nun ist der Konflikt zwischen indivi­du­eller Freiheit und ökolo­gi­schem Imperativ beileibe keine grüne Marotte. Schon die Urschrift der Ökolo­gie­be­wegung, der 1972 unter dem Titel „Grenzen des Wachstums“ publi­zierte Report an den Club of Rome, ist von einem autori­tären Grundton durch­zogen. Die Antwort auf die drohende Selbst­zer­störung der indus­tri­ellen Moderne sieht er in einer umfas­senden Regle­men­tierung von Produktion, Konsum und Fortpflanzung. An die Stelle von Markt und Wettbewerb tritt eine zentrale Verwal­tungs­wirt­schaft. Freiheit schnurrt zusammen auf die bloße Einsicht in die Notwen­digkeit. Mehr noch: Wer die natür­lichen Lebens­grund­lagen verteidigt, verteidigt zugleich die Freiheit kommender Genera­tionen, ihr Leben nicht unter dem Diktat steigender Tempe­ra­turen und schrump­fender Ressourcen fristen zu müssen. Was liegt da näher, als unter Berufung auf eine humane Zukunft die Freiheit der heutigen Generation einzuschränken?

In der Denkwelt der Ökobe­wegung ist der Klima­wandel die moderne Apoka­lypse: Hitze­wellen, verhee­rende Sturm­fluten, Kollaps ganzer Ökosysteme, Milli­arden Umwelt­flücht­linge. Wenn es darauf ankommt, die Menschheit vor der drohenden Katastrophe zu retten, wird daraus leicht ein Freibrief für Bevor­mundung und allum­fas­sende Regle­men­tierung. Plura­lismus von Lebens­stilen, Konsum­freiheit, Reise­freiheit, Gewer­be­freiheit etc. erscheinen dann als frivoler Luxus. Weshalb noch über SUV’s disku­tieren, statt sie zu verbieten? Was soll daran verkehrt sein, die Zahl der Flüge pro Kopf strikt zu kontin­gen­tieren? Wenn uns die Klima­wis­sen­schaft vorrechnet, dass wir nicht mehr als zwei Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr in die Atmosphäre entlassen dürfen, um die Erder­wärmung bei etwa zwei Grad zu halten – weshalb teilen wir dann nicht jedem Individuum ein Emissions-Kontingent zu, nach dem es sein Leben einrichten muss?

Wer die ökolo­gische Krise als Resultat knapper natür­licher Ressourcen und überschie­ßender mensch­licher Ansprüche begreift, landet nicht von ungefähr bei autori­tären Konse­quenzen. Dann geht es in erster Linie um die Einschränkung des Konsums und die Regle­men­tierung der Bedürfnisse.

Auch für ökolo­gische Politik gilt, dass der hehre Zweck nicht jedes Mittel heiligt. Freiheit ist mehr als die bloße Einsicht in die Notwen­digkeit, Selbst­be­stimmung ist unteilbar und Demokratie ist ein Wert an sich, der nicht zugunsten eines grünen TINA-Prinzips („There is no alter­native“) außer Kraft gesetzt werden darf.

Wie eine freiheit­liche Ökolo­gie­po­litik aussieht, die der Versu­chung zu Bevor­mundung und allum­fas­sender Regle­men­tierung entkommt, ist noch nicht ausbuch­sta­biert. Dazu gehört, dass es uns nicht um den „neuen Menschen“ geht, sondern um die Trans­for­mation der Indus­trie­ge­sell­schaft. Verbote und Verzicht sind nicht tabu. Aber sie sind nicht der Schlüssel für die Lösung der ökolo­gi­schen Frage. Unsere wichtigste Ressource ist die Freisetzung von Kreati­vität und Innovation – auch in dieser Hinsicht sind Demokratien die bessere Alter­native zu autori­tären Regimes.

Der klassische Libera­lismus postu­liert den Zusam­menhang zwischen politi­scher Freiheit (Demokratie) und einer freiheit­lichen Wirtschafts­ver­fassung. Für die Grünen ist das eher ein fremder Gedanke. Wenn das Stichwort „Markt“ fällt, antworten wir mit „Regulierung“, Unter­neh­mertum verbinden wir gern mit Gier und Wettbewerb mit Rücksichts­lo­sigkeit. Dafür gibt es allzu viele Belege. Dennoch verkennt diese Sicht die produktive Kraft, die in Markt­wirt­schaft und Unter­neh­mer­geist liegt. „Grüner Ordoli­be­ra­lismus“ könnte eine Antwort auf die Frage sein, wie Regulierung und Selbst­ver­ant­wortung, Staat und Markt auszu­ba­lan­cieren sind.
Letzter Punkt: Taugt Freiheit auch als Richt­schnur für grüne Außen­po­litik? Der Lackmustest dafür ist heute die Ukraine. Es irritiert, wie wenig Empathie es in weiten Teilen der Republik für den freiheit­lichen Aufbruch gibt, der sich in der Maidan-Bewegung manifes­tierte – und wie viel Verständnis für die autoritäre, illiberale und rundum zynische Politik der russi­schen Macht­elite. Für eine freiheit­liche Außen­po­litik dürfte die Unabhän­gigkeit der Ukraine und ihre terri­to­riale Integrität so wenig in Frage stehen wie ihr Recht, „ein europäi­sches Land sein zu wollen“ (Poros­henko), also den Weg Richtung Rechts­staat, Demokratie und moderner Markt­wirt­schaft zu gehen. Ähnliches galt und gilt übrigens auch für den Aufstand gegen Assad in Syrien, der als Freiheits­be­wegung begann, bevor er von radikalen Islamisten gekapert wurde (weil der Westen die moderaten Kräfte im Regen stehen ließ). Idealismus allein ist noch keine Außen­po­litik, und das Pathos der Menschen­rechte ersetzt keine nüchterne Strategie. Aber man wünscht sich schon wieder etwas mehr von der Solida­rität mit freiheit­lichen Bewegungen, die zum Kern eines grünen Inter­na­tio­na­lismus gehört.


Dieser Artikel erschien am 25. September 2014 in Die Zeit.

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