Klima­schutz kennt keine Kompromisse?

Zur Kritik von Green­peace an den Jamaika-Sondie­rungen. Was man von den Grünen erwarten kann und was nicht.

Zwei Meldungen, die scheinbar gut zuein­ander passen: Die Inter­na­tionale Energie-Agentur mahnt zur Beschleu­nigung des globalen Kohle­aus­stiegs, um den Klima­wandel auch nur in der Nähe der 2‑Grad-Grenze zu halten, und Green­peace kriti­siert die Grünen, sie hätten zu weitrei­chende Konzes­sionen in Sachen Kohle­aus­stieg bei den Jamaika-Sondie­rungen gemacht. So simpel liegen die Dinge aber nicht.

Wir verzeichnen einen weltweiten Trend zur Substi­tution von Kohle durch Erdgas und erneu­erbare Energien. Das ist nicht nur – und nicht einmal in erster Linie – dem Erschrecken über die Folgen des Klima­wandels geschuldet. Ein wichtiger Faktor ist die sprung­hafte Ausweitung des Gasan­gebots infolge unkon­ven­tio­neller Förder­me­thoden (Fracking) und der wachsenden Verfüg­barkeit von Flüssiggas-Terminals. Der Gastransport ist nicht mehr allein auf Pipelines angewiesen. Ein zweiter Konkurrent ist der Kohle durch die drama­tische Verbil­ligung von Wind- und Solar­strom erwachsen – an vielen Stand­orten rechnet sich der Neubau von Kohle­kraft­werken schlicht nicht mehr, selbst wenn man die Folge­kosten der Kohle­ver­brennung für Klima und Gesundheit außer Acht lässt.

Dennoch geht die Ablösung von Kohle (und Öl) als Energie­träger zu langsam vor sich, und er wird strecken­weise überlagert durch den wachsenden Energie­hunger der Entwick­lungs­länder, die sich im Übergang von Agrar- zu Indus­trie­ge­sell­schaften befinden. Ihr Energie­ver­brauch wächst und wird weiter wachsen. Das gilt für die privaten Haushalte wie für die Industrie, den Verkehr und den Gebäudesektor.

Wenn von Seiten der Entwick­lungs­länder, von China, den USA und Japan größere Anstren­gungen erfor­derlich sind, um die Energie­ef­fi­zienz zu steigern und die Dekar­bo­ni­sierung ihrer Energie­wirt­schaft zu beschleu­nigen – gilt das nicht erst recht für die Bundes­re­publik? Aber ja! Was sich bislang bei den Jamaika-Verhand­lungen auf dem Feld der Klima- und Energie­po­litik abzeichnet, bleibt weit hinter dem zurück, was nötig wäre – und selbst hinter dem, was man bei einigem nüchternen Realismus erwarten konnte.

Die größten und schnellsten Effekte bei der CO2-Reduktion sind durch die Still­legung alter Braun- und Stein­koh­le­kraft­werke zu erzielen. Zahlreiche Modell­rech­nungen zeigen, dass das möglich ist, ohne dass in Deutschland die Lichter ausgehen. Wir sitzen auf Überka­pa­zi­täten abgeschrie­bener Kraft­werke und verzeichnen Rekord-Export­über­schüsse von Kohlestrom. Gleich­zeitig sind hochmo­derne Gaskraft­werke einge­mottet, weil sich ihr Betrieb gegenüber der Billig­kon­kurrenz betagter Kohle­kraft­werke nicht rechnet.

Offenbar sträuben sich aber sowohl die FDP wie Teile der Union gegen jeden halbwegs ambitio­nierten Fahrplan für den Kohle­aus­stieg. Das Steinzeit-Argument, dass die Energie­wende Arbeits­plätze gefährdet und die Wettbe­werbs­fä­higkeit der Industrie unter­gräbt, feiert traurige Wiederkehr.

Es ist richtig, dass die Grünen diese Frage zu einem Essential für eine Koali­ti­ons­bildung gemacht haben. Deutschland hat in den letzten Jahren schon zu viel Zeit bei der Senkung unserer Treib­hausgas-Emissionen verloren. Vom Vorreiter der Energie­wende sind wir zu einem hartnä­ckigen Kohle­monster mutiert. Ohne nennens­werte Fortschritte in dieser Frage können die Grünen in keine Regierung eintreten.

Weshalb stößt mir die Green­peace-Attacke auf die Grünen dennoch übel auf? Schon auf den ersten Blick ist es überaus billig, die ganze Last des Klima­schutzes ausge­rechnet bei den Grünen abzuladen – also bei denen, die dieses Thema mit Passion, Kompetenz und Hartnä­ckigkeit auf die Agenda der Sondie­rungs­ge­spräche gesetzt haben. Den Hebel bei der Union und der FDP anzusetzen, traut sich Green­peace offenbar nicht zu. Ist man im Olymp der selbst­ge­rechten Öko-Halbgötter wirklich so naiv zu glauben, die Grünen müssten in den Verhand­lungen nur mit dem Fuß aufstampfen und mit dem Abbruch drohen, um den Kohle­flügel der Union und die FDP auf Linie zu bringen? Oder will man schon mal die grüne Basis gegen einen vermeint­lichen „Verrat“ ihrer Verhand­lungs­de­le­gation in Stellung bringen, um die Koalition platzen zu lassen? Logisch: bei einer dann voraus­sichtlich folgenden großen Koalition wäre der Kohle­aus­stieg sicherlich in besseren Händen. Ironie off.

Die Sache geht aber tiefer. Die in Öko-Kreisen populäre Formel „Klima­schutz kennt keine Kompro­misse“ ist zutiefst unpoli­tisch, um nicht zu sagen antide­mo­kra­tisch. In einer Demokratie geht es nie ohne Kompro­misse zwischen wider­strei­tenden Auffas­sungen, Inter­essen und Priori­täten. Das gilt erst recht für Koali­ti­ons­ver­hand­lungen. Demokra­tische Politik bewegt sich immer in Zielkon­flikten. Selbst wenn die Grünen allein regieren würden, müssten sie Abwägungen zwischen „Klima­schutz first“, sozialen Kosten, wirtschaft­lichen Inter­essen und politi­schen Rücksichten treffen. Ökolo­gische Politik ist nicht die Durch­setzung wissen­schaft­licher Erkennt­nisse von oben nach unten. Sie braucht parla­men­ta­rische Mehrheiten und gesell­schaft­liche Allianzen mit Unter­nehmen, Gewerk­schaften und der Bürger­ge­sell­schaft. Und das bedeutet immer auch Kompro­misse zwischen dem ökolo­gisch Notwen­digen und dem politisch Möglichen.

Maßstab für eine grüne Regie­rungs­be­tei­ligung ist deshalb nicht, ob in den kommenden zwei Jahren 15 oder 20 Kraft­werke still­gelegt werden. Es wäre selbst für eine ökolo­gisch ehrgei­zigere Regie­rungs­ko­alition schwer, die Versäum­nisse der letzten Jahre in einem kurzfris­tigen Kraftakt aufzu­holen. Selbst­ver­ständlich sollte die neue Koalition alles tun, um dem offizi­ellen Klimaziel für 2020 zumindest nahezu­kommen. Dazu braucht es einen Fahrplan für das Ausmustern betagter Kraft­werke. Entscheidend ist aber, dass die nächste Bundes­re­gierung eine neue Dynamik in Richtung ökolo­gische Innovation und CO2-Reduktion einleitet. Man kann das auf unter­schied­lichen Wegen erreichen. Am effek­tivsten wäre eine konti­nu­ier­liche Steigerung des CO2-Preises, sei es durch eine Verteuerung der Emissi­ons­zer­ti­fikate oder eine komple­mentäre CO2-Steuer. Das muss nicht im natio­nalen Alleingang geschehen. Es gibt in Europa genügend Bündnis­partner, um das in einer Koalition der Willigen zu tun. Dafür würde sich eine grüne Regie­rungs­be­tei­ligung allemal lohnen.


Links:

Süddeutsche Zeitung: Green­peace kriti­siert Grüne, 15.11.2017

Süddeutsche Zeitung: Der globale Kohle-Ausstieg kommt – nur leider zu spät, 14.11.2017

Textende

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.