„Taiwan zu besetzen ist nicht so einfach, wie viele denken“

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China betrachtet Taiwan als Teil seines Staats­ge­biets und droht immer wieder mit einer gewalt­samen Einnahme. Wie wahr­schein­lich ist ein Angriff Chinas in den nächsten Jahren – und könnte sich Taiwan auf die Hilfe der USA verlassen? Der Sicher­heits­experte J. Michael Cole im Interview.

Michael Cole hat einst für den kana­di­schen Inlands­ge­heim­dienst gear­beitet und lebt seit 17 Jahren in Taiwan. Der Analyst ist Senior Advisor beim Inter­na­tional Repu­blican Institute mit Hauptsitz in Washington DC. Im Gespräch mit Christina zur Nedden in Taipeh erklärt der Experte, wie real die Gefahr einer Invasion ist – und warum sich der Westen nicht aus dem Konflikt heraus­halten darf.

Wie ange­spannt ist das Verhältnis zwischen China und Taiwan derzeit?

Die Spannung in der Taiwan­straße ist so hoch wie seit langem nicht mehr. Die chine­si­sche Führung ärgert sich, dass Taiwan erfolg­reich Verbin­dungen zur inter­na­tio­nalen Gemein­schaft aufbaut und einer Annexion trotzt. Dies geschieht trotz der Versuche Pekings, Taiwan inter­na­tional zu isolieren. Seit 2016 wirbt China offi­zi­elle diplo­ma­ti­sche Verbün­dete Taiwans ab und mischt sich ein, wenn Taiwan versucht, ein Frei­han­dels­ab­kommen mit einer anderen Wirt­schaft abzuschließen.

In den letzten Jahren hat sich Taiwan auch aufgrund seiner Vormacht­stel­lung im Bereich Compu­ter­chip-Produk­tion besser inter­na­tional posi­tio­niert. Hinzu­kommt, dass vielen Menschen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine bewusst wurde, dass auch das demo­kra­ti­sche, kleinere Taiwan von einem großen, auto­kra­ti­schen Nachbarn bedroht wird. Dies hat zu einer größeren Bereit­schaft seitens der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft geführt, mehr über Taiwan zu erfahren und es wirt­schaft­lich, moralisch oder materiell zu unterstützen.

Wie wahr­schein­lich ist ein Angriff oder eine Invasion Taiwans durch China in den nächsten fünf bis zehn Jahren?

Ich glaube nicht, dass wir bald einen Angriffs­krieg Chinas erleben werden. Die Provo­ka­tionen der letzten Monate waren haupt­säch­lich psycho­lo­gi­sche Kriegs­füh­rung oder „Grauzonen“-Operationen. Sie sind ein Versuch Chinas, das Militär einzu­setzen, um Unter­stützer und poten­zi­elle Partner Taiwans zu zwingen, sich für China zu entscheiden. So soll Taiwan isoliert werden. Doch der Plan ist nicht aufge­gangen. Ich würde also sagen, dass Taiwan trotz des wach­senden mili­tä­ri­schen Drucks inter­na­tional in einer ziemlich guten Position ist, weil eine Reihe bedeu­tender Länder versteht, dass man sich von chine­si­schen Mili­tär­ak­tionen nicht abschre­cken lassen sollte.

Dies zeigten auch die zahl­rei­chen inter­na­tio­nalen Besuche Taiwans, unter anderem aus Deutsch­land. Trotzdem erkennen nur noch 13 Staaten und der Vatikan Taiwan als offi­zi­ellen Staat an. Ist die Unter­stüt­zung für Taiwan haupt­säch­lich symbo­lisch zu verstehen?

Eine der Bedin­gungen Pekings für die Unter­hal­tung oder die Aufnahme offi­zi­eller diplo­ma­ti­scher Bezie­hungen mit der Volks­re­pu­blik China ist die Aberken­nung von Taiwan als souve­räner Staat. Wenn Länder die Wahl hätten, würde ich wetten, dass die große Mehrheit von ihnen offi­zi­elle diplo­ma­ti­sche Bezie­hungen zu beiden unter­halten würden. Doch derzeit lässt Peking dies nicht zu. Die meisten Länder haben deswegen taiwa­ni­sche Nieder­las­sungen, die einer Botschaft ähneln. Sie heißen dann zwar nicht „Botschaft“, erfüllen aber ähnliche Funk­tionen. Dieses Enga­ge­ment mit Taiwan trägt sicher­lich zur Wider­stands­fä­hig­keit und Abschre­ckung Chinas bei.

Trotz all dieser inter­na­tio­nalen Verbin­dungen: Kann sich Taiwan im Falle eines chine­si­schen Angriffs auf den Beistand der USA verlassen?

Die USA haben eine Strategie der „stra­te­gi­schen Zwei­deu­tig­keit“, die keine mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung Taiwans im Falle eines Angriffs garan­tiert. Nun soll Präsident Biden im vergan­genen Jahr dreimal die offi­zi­elle US-Politik falsch verstanden haben, als er sagte, dass die USA Taiwan zu Hilfe kommen würden. Ob dies eine Änderung der offi­zi­ellen Politik ist, bleibt abzu­warten, aber Bidens Aussage ist von Bedeutung. Es gibt eine starke Koope­ra­tion zwischen dem ameri­ka­ni­schen und dem taiwa­ni­schen Militär, die seit Jahr­zehnten besteht. Wahr­schein­lich würden die USA in einem mili­tä­ri­schen Notfall eine Rolle spielen, in erster Linie, indem sie zur Abschre­ckung beitragen, um sicher­zu­stellen, dass wir keinen amphi­bi­schen Angriff auf Taiwan erleben, wenn es zu einer Annexion kommt. Aber auch immer mehr andere Länder, wie Japan, die Euro­päi­sche Union, Austra­lien, mögli­cher­weise auch Indien, machen sich ernst­hafte Gedanken darüber, was ihre Rolle wäre, wenn es zu einem bewaff­neten Konflikt kommen würde.

Hat das taiwa­ni­sche Militär denn eine Chance gegen China ohne garan­tierte externe Hilfe?

Das hängt davon ab, wie man einen Sieg definiert. Und von der Art des mili­tä­ri­schen Angriffs, mit dem Taiwan konfron­tiert ist. Dass Taiwan die Volks­be­frei­ungs­armee alleine besiegt, ist sehr unwahr­schein­lich. Die große Frage ist, wie viele Soldaten China bereit ist zu verlieren? Taiwan bereitet sich seit Jahr­zehnten auf einen Angriff vor und wäre auch in der Lage Ziele in China zu treffen. Das chine­si­sche Militär steht immer noch vor vielen Heraus­for­de­rungen bei der Kriegs­füh­rung in einem High-Tech-Umfeld. Außerdem ist es sehr schwierig 120 Kilometer Wasser zu über­queren, um eine Insel einzu­nehmen. Da hatte es Russland einfacher die Landes­grenze zur Ukraine zu über­queren. Taiwan zu besetzen ist nicht so einfach wie es immer geschil­dert wird.

Bis wann könnte China tech­no­lo­gisch aufholen und einen Angriff wagen?

Laut Xi Jinping ist das Ziel dafür das Jahr 2027. Aber das bedeutet nicht, dass dann ein Angriff erfolgt. Taiwan und seine Partner werden sich bis dahin weiter­ent­wi­ckeln, um der Moder­ni­sie­rung der Streit­kräfte in China entge­gen­zu­wirken. Die Lage ist dynamisch. Die Haupt­rolle von Taiwans Militär besteht derzeit darin, die Chinesen abzu­schre­cken und sie davon zu über­zeugen, dass ein Angriff zu kost­spielig wäre. Und darauf zu hoffen, dass China ein Mitmi­schen der USA und Japan in diesem Konflikt nicht riskieren möchte, welches auch seiner Wirt­schaft enorm schaden würde.

Warum sollten sich Deutsch­land und Europa für den Konflikt zwischen China und Taiwan interessieren?

Ein Grund sind natürlich die Halb­leiter, ohne die keine Autos, Laptops oder Smart­phones produ­ziert werden können. Der Haupt­grund sollte aber sein, dass sich jedes freie, frei­heits­lie­bende Land, jede Demo­kratie, jedes Land das Menschen­rechte achtet, für das Schicksal anderer ähnlicher Länder inter­es­sieren sollte, weil sie eine Alter­na­tive zu auto­ri­tären Ländern wie China darstellen. Taiwan ist eines der seltenen, äußerst erfolg­rei­chen Expe­ri­mente in gleich­zei­tiger Demo­kra­ti­sie­rung und wirt­schaft­li­cher Moder­ni­sie­rung. Es ist ein Beispiel für viele andere Länder, die eines Tages entscheiden könnten, diesen Weg zu gehen. Die inter­na­tio­nale Gemein­schaft hat die Verant­wor­tung zu zeigen, dass es Konse­quenzen hat, wenn auto­ri­täre Staaten versuchen, Demo­kra­tien zu annek­tieren. Deutsch­land, die Euro­päi­sche Union, die USA, Kanada und Austra­lien, müssen ganz klare Signale an Peking senden, dass dieses Verhalten inak­zep­tabel ist.

Die deutsche Regierung wird dieses Jahr eine neue „China-Strategie“ veröf­fent­li­chen, die die Volks­re­pu­blik als „System­ri­valen“ bezeichnet. Wenn China Taiwan annek­tieren würde, würde das auto­ri­täre System weltweit wachsen.

Ja, das würde es. Weltweit werden die Demo­kra­tien immer weniger. Deutsch­land spricht von System-Konkur­renz mit China, die USA spricht von Ideo­lo­gien, die gegen­ein­ander antreten. Aber letzt­end­lich sprechen wir über zwei Länder, die in bestimmten Bereichen kompa­tibel, in anderen jedoch höchst inkom­pa­tibel sind. Und Taiwan fällt in eine Kategorie, die sehr stark westlich liberal orien­tiert ist.

Die Taiwaner leben seit Jahr­zehnten mit der Bedrohung Chinas. Sind sie dadurch abge­stumpft oder ist die Kriegs­ge­fahr ein großes Thema im Land?

Die Taiwaner sprechen viel über Politik. Ihnen ist bewusst, dass China eine Bedrohung ihrer Freiheit und Lebens­weise darstellt. Aber sind sie von dem Thema besessen? Nein. Haben sie Angst? Sind sie in Panik? Absolut nicht. Die Taiwaner sind ziemlich pragmatisch.

Gleich­zeitig würde ich sagen, dass die Tatsache, dass China ihnen seit Jahr­zehnten droht, aber nie ange­griffen hat, einige Leute zu dem Schluss kommen lassen, dass diese Dynamik auf unbe­stimmte Zeit anhalten wird. Doch seitdem Russland in die Ukraine einge­fallen ist, denken viele Taiwaner anders. Seitdem wissen die Taiwaner, dass man nicht unbe­grenzt davon ausgehen kann, dass Führer wie Xi Jinping nach unserem Verständnis rational handeln. Bedeutet das aller­dings, dass China morgen einen Angriffs­krieg beginnen wird? Absolut nicht. Aber die Taiwaner müssen auf alles vorbe­reitet sein.

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