Die neue soziale Frage

Leonhard Lenz [CC0]

Bezahl­barer Wohnraum ist ein gesell­schaft­liches Reizthema geworden, besonders in den Ballungs­zentren. Wie kann eine pragma­tische Lösung aussehen, die sowohl markt­wirt­schaft­liche als auch staat­liche Kräfte berücksichtigt?

Bezahlbare Mieten sind immer wieder ein gesell­schafts­po­li­tisch kontrovers disku­tiertes Thema. Das unter­streicht die jüngste Debatte über die mögliche Enteignung von großen Immobi­li­en­un­ter­nehmen sehr eindrucksvoll. Bloß auf die Markt­kräfte zu verweisen, die angeblich ein ausrei­chendes Angebot an bezahl­barem Wohnraum sicher­stellen, greift zu kurz. Schließlich ist der Wohnungs­markt kein normaler Markt, der den Gesetzen der Lehrbuch­öko­nomie folgt. Aber vollkommen ignorieren lassen sich die Gesetze der Markt­wirt­schaft nun auch wieder nicht. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung und Lehrbe­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Beson­der­heiten des Immobilienmarktes

Ausgangs­punkt des Marktes für Mietwoh­nungen ist der Immobi­li­en­markt. Hier geht es um die Frage, wie viele Häuser es in einer bestimmten Region zu einem bestimmten Zeitpunkt gibt. Immobilien können von deren Eigen­tümern bewohnt oder als Mietwoh­nungen angeboten werden. Der Markt für Mietwoh­nungen ist somit eine Teilmenge des Immobi­li­en­marktes. Aber Immobilien unter­scheiden sich in mehrfacher Hinsicht erheblich von normalen Gütern. Die Unter­schiede lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Häuser sind lokal gebundene Güter. Der Eigen­tümer kann sein Haus nicht in einer anderen Region verkaufen, auch wenn er dort wegen der hohen Nachfrage einen höheren Verkaufs­preis erzielen könnte.
  • Häuser sind langlebige Güter. Ihr Erwerb ist folglich eine Form der Vermö­gens­bildung. Die Aussicht auf mögliche Preis­stei­ge­rungen macht Immobilien zu einem Speku­la­ti­ons­objekt, das mögli­cher­weise nur erworben wird, um später Gewinne durch einen Verkauf zu erzielen.
  • Häuser haben eine lange Produk­ti­onszeit. Selbst wenn die Immobi­li­en­nach­frage stark steigt, kann das Angebot darauf nicht sofort mit einer Ausweitung reagieren. Aller­dings führt eine höhere Nachfrage kurzfristig zu einem Preisanstieg.

Beson­der­heiten des Wohnungsmarktes

Während der Immobi­li­en­be­stand kurzfristig nicht vergrö­ßerbar ist, kann das Angebot an mietbarem Wohnraum etwas schneller ausge­weitet werden. Einer­seits können Immobi­li­en­ei­gen­tümer Räume, die sie in einem von ihnen selbst bewohnten Haus nutzen, als Mietwoh­nungen anbieten, wenn dies für sie wegen einer steigenden Miete attraktiv ist. Anderer­seits können Mieter – sofern rechtlich erlaubt – Teile ihrer Wohnung unter­ver­mieten. Beide Maßnahmen können aber keinen hohen Nachfra­ge­an­stieg kompensieren.

Zwischen dem Immobilien- und dem Wohnungs­markt gibt es enge Verbin­dungen: Eine Steigerung des Immobi­li­en­an­gebots führt für sich genommen zu einem sinkenden Immobi­li­en­preis. Auf dem Wohnungs­markt bewirkt die Erhöhung des Immobi­li­en­be­stands ein höheres Mietwoh­nungs­an­gebot – und deshalb sinkt die zu zahlende Miete ebenfalls.

Wohnungs­knappheit in Deutschland

Über das konkrete Ausmaß der aktuellen Wohnungs­knappheit in Deutschland gibt es keine einheit­lichen Aussagen. So ging etwa der Wissen­schaft­liche Beirat des Bundes­wirt­schafts­mi­nis­te­riums im Sommer 2018 von einem Wohnungs­de­fizit von rund einer Million Wohnein­heiten aus. Dagegen berechnete die gewerk­schaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung im April 2018 mit Blick auf 77 deutsche Großstädte das Fehlen von 1,9 Millionen bezahl­baren Wohnungen. Gleich­zeitig stehen auch viele Wohnungen leer, vor allem im Osten Deutschlands.

Egal, wie viele Wohnungen genau in Deutschland fehlen: Unbestritten ist, dass es regionale Defizite bei bezahl­barem Wohnraum gibt – vor allem in den Ballungs­zentren. Die damit verbun­denen sozialen Spannungen verlangen eine gesell­schafts­po­li­tische Reaktion.

Instru­mente der Wohnungsbaupolitik

Die Erhöhung des privaten Wohnungs­an­gebots kann vor allem durch eine Reduzierung der Wohnungs­bau­kosten erreicht werden. Hierfür gibt es zahlreiche Instru­mente. Zu denken ist etwa an steuer­liche Vorteile in Form höherer Abschrei­bungs­mög­lich­keiten oder die steuer­liche Abzugs­fä­higkeit der Baukosten, an eine finan­zielle Unter­stützung des Bausparens, an die Bereit­stellung von verbil­ligtem Bauland, an Wohnungs­bau­kredite zu ermäßigten Zinsen und an die Senkung der Bürokra­tie­kosten, die bei der Beantragung und Durch­führung eines Bauvor­habens anfallen. Zudem ist auch die Verrin­gerung der Grund­er­werb­steuer, die bei dem Erwerb von Wohngrund­stücken zu zahlen ist, ein mögliches Mittel.

Die Steigerung des staat­lichen Wohnungs­an­gebots erfolgt vor allem durch die Bereit­stellung von Wohnungen durch staat­liche Stellen.

Instru­mente der Mietpolitik

Der Anstieg der Mieten kann als eine gesell­schaftlich unerwünschte Entwicklung angesehen werden, weil Wohnen unbestritten ein lebens­not­wen­diges Gut ist, für das es keinen Ersatz gibt: Wer sich keine Wohnung leisten kann, wird obdachlos.

Ein schnell wirkendes Instrument zur Verhin­derung eines Mietan­stiegs ist die Einführung einer Höchst­miete, die nicht überschritten werden darf. Aller­dings führt das Verhindern eines Mietan­stiegs zu einem perma­nenten Nachfra­ge­überhang, weil die Anbieter wegen der geringen Miete nur eine geringe Menge an Mietwoh­nungen anbieten.

Eine Alter­native dazu ist die Zahlung von Wohngeld. Privat­haus­halte, die die am Markt geltende Miete nicht bezahlen können, erhalten einen staat­lichen Mietzu­schuss. Dieser entspricht der Differenz zwischen der Markt­miete und einer gesell­schaftlich festge­legten Höchst­miete. Netto zahlen die Privat­haus­halte also eine Miete, die der Höchst­miete entspricht. Für wohnungs­su­chende Personen hat das Wohngeld den Vorteil, dass wegen der höheren Brutto­miete ein höheres Angebot an Mietwoh­nungen bereit­steht. Aller­dings sind es die Steuer­zahler, die das Wohngeld aufbringen müssen, was entweder höhere Steuern oder eine Verrin­gerung der staat­lichen Ausgaben an anderen Stellen zur Folge hat.

Wohnungs- und Mietpo­litik in einem markt­wirt­schaft­lichen Dilemma

Die skizzierten Beson­der­heiten des Wohnungs­marktes führen uns in eine Zwick­mühle: Wenn es in einer bestimmten Region zu einer steigenden Nachfrage nach Wohnraum kommt, kann diese kurzfristig nicht durch ein größeres Angebot ausge­glichen werden. Das unaus­weich­liche Resultat des Marktes sind steigende Mieten. Wenn dieses aus gesamt­ge­sell­schaft­lichen Erwägungen als nicht hinnehmbar einge­stuft wird, ergibt sich ein Dilemma:

  • Die Gesell­schaft kann sich für eine staat­liche Begrenzung der Miethöhe einsetzen. Das hilft denen, die bereits eine Wohnung haben. Weil private Anbieter ihr Angebot jedoch wegen der ausblei­benden Mietstei­ge­rungen nicht ausweiten, haben all jene, die noch keine Mietwohnung gefunden haben, ein dauer­haftes Problem. Flankierend ist daher eine Ausweitung des staatlich organi­sierten sozialen Wohnungsbaus erfor­derlich, die wiederum ohne Steuer­gelder nicht durch­führbar ist.
  • Die Gesell­schaft kann sich für eine markt­wirt­schaft­liche Lösung aussprechen, bei der das Wohnungs­an­gebot auf stark steigende Mieten reagiert, indem mehr Mietwoh­nungen gebaut werden – aller­dings mit erheb­licher zeitlicher Verzö­gerung. In der Zwischenzeit kann es zu sozialen Härten kommen, deren Abfederung staat­liche Transfers in Form von Wohngeld­zah­lungen erfordert, was ebenfalls Steuer­gelder kostet.

Wohnungs- und Mietpo­litik im Spannungsfeld der Werturteile

Für die Lösung des skizzierten Dilemmas gibt es keine objektiv richtige Lösung. Daher ist Uneinigkeit über den Umgang mit Wohnraum­mangel vorpro­gram­miert. Dies verdeut­lichen exempla­risch folgende zwei Positionen:

Ein pragma­ti­scher Lösungsmix, der sowohl markt­wirt­schaft­liche als auch staat­liche Instru­mente verwendet, könnte wie folgt aussehen: Soziale Härten, die sich aus hohen Markt­mieten ergeben, sollten nicht durch eine Begrenzung der Mietpreishöhe bekämpft werden, sondern durch ein höheres Wohngeld. Um den Wohnungs­mangel aktiv zu reduzieren, sollte der Staat zudem seine öffent­lichen Inves­ti­tionen für den Wohnungsbau erhöhen. Das derartige Inves­ti­tionen langfristig positive Auswir­kungen auf Wachstum, Beschäf­tigung und die öffent­lichen Finanzen haben, haben Tom Krebs und Martin Scheffel gezeigt. Enteig­nungen machen dabei keinen Sinn, weil sie keinen zusätz­lichen Wohnraum schaffen.

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