Die neue soziale Frage
Bezahlbarer Wohnraum ist ein gesellschaftliches Reizthema geworden, besonders in den Ballungszentren. Wie kann eine pragmatische Lösung aussehen, die sowohl marktwirtschaftliche als auch staatliche Kräfte berücksichtigt?
Bezahlbare Mieten sind immer wieder ein gesellschaftspolitisch kontrovers diskutiertes Thema. Das unterstreicht die jüngste Debatte über die mögliche Enteignung von großen Immobilienunternehmen sehr eindrucksvoll. Bloß auf die Marktkräfte zu verweisen, die angeblich ein ausreichendes Angebot an bezahlbarem Wohnraum sicherstellen, greift zu kurz. Schließlich ist der Wohnungsmarkt kein normaler Markt, der den Gesetzen der Lehrbuchökonomie folgt. Aber vollkommen ignorieren lassen sich die Gesetze der Marktwirtschaft nun auch wieder nicht.
Besonderheiten des Immobilienmarktes
Ausgangspunkt des Marktes für Mietwohnungen ist der Immobilienmarkt. Hier geht es um die Frage, wie viele Häuser es in einer bestimmten Region zu einem bestimmten Zeitpunkt gibt. Immobilien können von deren Eigentümern bewohnt oder als Mietwohnungen angeboten werden. Der Markt für Mietwohnungen ist somit eine Teilmenge des Immobilienmarktes. Aber Immobilien unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht erheblich von normalen Gütern. Die Unterschiede lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Häuser sind lokal gebundene Güter. Der Eigentümer kann sein Haus nicht in einer anderen Region verkaufen, auch wenn er dort wegen der hohen Nachfrage einen höheren Verkaufspreis erzielen könnte.
- Häuser sind langlebige Güter. Ihr Erwerb ist folglich eine Form der Vermögensbildung. Die Aussicht auf mögliche Preissteigerungen macht Immobilien zu einem Spekulationsobjekt, das möglicherweise nur erworben wird, um später Gewinne durch einen Verkauf zu erzielen.
- Häuser haben eine lange Produktionszeit. Selbst wenn die Immobiliennachfrage stark steigt, kann das Angebot darauf nicht sofort mit einer Ausweitung reagieren. Allerdings führt eine höhere Nachfrage kurzfristig zu einem Preisanstieg.
Besonderheiten des Wohnungsmarktes
Während der Immobilienbestand kurzfristig nicht vergrößerbar ist, kann das Angebot an mietbarem Wohnraum etwas schneller ausgeweitet werden. Einerseits können Immobilieneigentümer Räume, die sie in einem von ihnen selbst bewohnten Haus nutzen, als Mietwohnungen anbieten, wenn dies für sie wegen einer steigenden Miete attraktiv ist. Andererseits können Mieter – sofern rechtlich erlaubt – Teile ihrer Wohnung untervermieten. Beide Maßnahmen können aber keinen hohen Nachfrageanstieg kompensieren.
Zwischen dem Immobilien- und dem Wohnungsmarkt gibt es enge Verbindungen: Eine Steigerung des Immobilienangebots führt für sich genommen zu einem sinkenden Immobilienpreis. Auf dem Wohnungsmarkt bewirkt die Erhöhung des Immobilienbestands ein höheres Mietwohnungsangebot – und deshalb sinkt die zu zahlende Miete ebenfalls.
Wohnungsknappheit in Deutschland
Über das konkrete Ausmaß der aktuellen Wohnungsknappheit in Deutschland gibt es keine einheitlichen Aussagen. So ging etwa der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums im Sommer 2018 von einem Wohnungsdefizit von rund einer Million Wohneinheiten aus. Dagegen berechnete die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung im April 2018 mit Blick auf 77 deutsche Großstädte das Fehlen von 1,9 Millionen bezahlbaren Wohnungen. Gleichzeitig stehen auch viele Wohnungen leer, vor allem im Osten Deutschlands.
Egal, wie viele Wohnungen genau in Deutschland fehlen: Unbestritten ist, dass es regionale Defizite bei bezahlbarem Wohnraum gibt – vor allem in den Ballungszentren. Die damit verbundenen sozialen Spannungen verlangen eine gesellschaftspolitische Reaktion.
Instrumente der Wohnungsbaupolitik
Die Erhöhung des privaten Wohnungsangebots kann vor allem durch eine Reduzierung der Wohnungsbaukosten erreicht werden. Hierfür gibt es zahlreiche Instrumente. Zu denken ist etwa an steuerliche Vorteile in Form höherer Abschreibungsmöglichkeiten oder die steuerliche Abzugsfähigkeit der Baukosten, an eine finanzielle Unterstützung des Bausparens, an die Bereitstellung von verbilligtem Bauland, an Wohnungsbaukredite zu ermäßigten Zinsen und an die Senkung der Bürokratiekosten, die bei der Beantragung und Durchführung eines Bauvorhabens anfallen. Zudem ist auch die Verringerung der Grunderwerbsteuer, die bei dem Erwerb von Wohngrundstücken zu zahlen ist, ein mögliches Mittel.
Die Steigerung des staatlichen Wohnungsangebots erfolgt vor allem durch die Bereitstellung von Wohnungen durch staatliche Stellen.
Instrumente der Mietpolitik
Der Anstieg der Mieten kann als eine gesellschaftlich unerwünschte Entwicklung angesehen werden, weil Wohnen unbestritten ein lebensnotwendiges Gut ist, für das es keinen Ersatz gibt: Wer sich keine Wohnung leisten kann, wird obdachlos.
Ein schnell wirkendes Instrument zur Verhinderung eines Mietanstiegs ist die Einführung einer Höchstmiete, die nicht überschritten werden darf. Allerdings führt das Verhindern eines Mietanstiegs zu einem permanenten Nachfrageüberhang, weil die Anbieter wegen der geringen Miete nur eine geringe Menge an Mietwohnungen anbieten.
Eine Alternative dazu ist die Zahlung von Wohngeld. Privathaushalte, die die am Markt geltende Miete nicht bezahlen können, erhalten einen staatlichen Mietzuschuss. Dieser entspricht der Differenz zwischen der Marktmiete und einer gesellschaftlich festgelegten Höchstmiete. Netto zahlen die Privathaushalte also eine Miete, die der Höchstmiete entspricht. Für wohnungssuchende Personen hat das Wohngeld den Vorteil, dass wegen der höheren Bruttomiete ein höheres Angebot an Mietwohnungen bereitsteht. Allerdings sind es die Steuerzahler, die das Wohngeld aufbringen müssen, was entweder höhere Steuern oder eine Verringerung der staatlichen Ausgaben an anderen Stellen zur Folge hat.
Wohnungs- und Mietpolitik in einem marktwirtschaftlichen Dilemma
Die skizzierten Besonderheiten des Wohnungsmarktes führen uns in eine Zwickmühle: Wenn es in einer bestimmten Region zu einer steigenden Nachfrage nach Wohnraum kommt, kann diese kurzfristig nicht durch ein größeres Angebot ausgeglichen werden. Das unausweichliche Resultat des Marktes sind steigende Mieten. Wenn dieses aus gesamtgesellschaftlichen Erwägungen als nicht hinnehmbar eingestuft wird, ergibt sich ein Dilemma:
- Die Gesellschaft kann sich für eine staatliche Begrenzung der Miethöhe einsetzen. Das hilft denen, die bereits eine Wohnung haben. Weil private Anbieter ihr Angebot jedoch wegen der ausbleibenden Mietsteigerungen nicht ausweiten, haben all jene, die noch keine Mietwohnung gefunden haben, ein dauerhaftes Problem. Flankierend ist daher eine Ausweitung des staatlich organisierten sozialen Wohnungsbaus erforderlich, die wiederum ohne Steuergelder nicht durchführbar ist.
- Die Gesellschaft kann sich für eine marktwirtschaftliche Lösung aussprechen, bei der das Wohnungsangebot auf stark steigende Mieten reagiert, indem mehr Mietwohnungen gebaut werden – allerdings mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. In der Zwischenzeit kann es zu sozialen Härten kommen, deren Abfederung staatliche Transfers in Form von Wohngeldzahlungen erfordert, was ebenfalls Steuergelder kostet.
Wohnungs- und Mietpolitik im Spannungsfeld der Werturteile
Für die Lösung des skizzierten Dilemmas gibt es keine objektiv richtige Lösung. Daher ist Uneinigkeit über den Umgang mit Wohnraummangel vorprogrammiert. Dies verdeutlichen exemplarisch folgende zwei Positionen:
- Der bereits erwähnte Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums setzt klar auf marktwirtschaftliche Instrumente. Befürwortet werden Maßnahmen, die die Kosten des Bauens reduzieren, also zum Beispiel eine Verringerung der Grunderwerbssteuer und die Lockerung nicht ausreichend begründeter Bauvorschriften. „Die Mietpreisbremse sollte ersatzlos gestrichen“ und der soziale Wohnungsbau nicht gefördert, sondern zurückgefahren werden.
- Ein Report der Hans-Böckler-Stiftung vom Februar 2019 plädiert hingegen für ein soziales Gegengewicht auf dem Wohnungsmarkt. Dieses entsteht unter anderem durch den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus und Auflagen, die einer Spekulation mit Bauland und Immobilien entgegenwirken.
Ein pragmatischer Lösungsmix, der sowohl marktwirtschaftliche als auch staatliche Instrumente verwendet, könnte wie folgt aussehen: Soziale Härten, die sich aus hohen Marktmieten ergeben, sollten nicht durch eine Begrenzung der Mietpreishöhe bekämpft werden, sondern durch ein höheres Wohngeld. Um den Wohnungsmangel aktiv zu reduzieren, sollte der Staat zudem seine öffentlichen Investitionen für den Wohnungsbau erhöhen. Das derartige Investitionen langfristig positive Auswirkungen auf Wachstum, Beschäftigung und die öffentlichen Finanzen haben, haben Tom Krebs und Martin Scheffel gezeigt. Enteignungen machen dabei keinen Sinn, weil sie keinen zusätzlichen Wohnraum schaffen.
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