Eigentum für alle! Vermö­gens­ver­tei­lung und Vermö­gens­po­litik in Deutschland

Zur aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirt­schafts­for­schung (DIW) über die Vertei­lung von Vermögen in Deutschland.

It‘s a rich man’s world: Folgt man einem aktuellen Forschungs­be­richt des Deutschen Instituts für Wirt­schafts­for­schung (DIW), sind die Vermögen in Deutsch­land extrem ungleich verteilt. Nach dieser Rechnung besitzen die obersten zehn Prozent knapp 64 Prozent des Volks­ver­mö­gens, das top ein Prozent rund ein Drittel und die reichsten 45 Haushalte im Land 4,7 Prozent – etwa so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevöl­ke­rung. Während die Einkom­mens­ver­tei­lung innerhalb der letzten Dekade entgegen der gefühlten öffent­li­chen Wahr­neh­mung eini­ger­maßen stabil geblieben ist, hat sich die Kluft zwischen Vermö­genden und Habe­nichtsen weiter geöffnet.

Der Börsen- und Immo­bi­li­en­boom hat die Vermö­gens­werte aufge­blasen – wer hat, dem wird gegeben, wer allein von seinem Gehalt leben muss, kann keine großen Sprünge machen. Dieser Trend wird durch die unter­schied­liche Besteue­rung von Arbeits- und Kapi­tal­ein­kommen noch verstärkt.

Aller­dings werden in der DIW-Studie Renten- und Pensi­ons­an­sprüche nicht erfasst – das verzerrt die Statistik zugunsten der „Reichen“. Selbst­stän­dige müssen für ihre Alters­vor­sorge privates Vermögen bilden, während Ange­stellte und Beamte indi­vi­du­elle Ansprüche auf ein kollek­tives Vermögen erwerben. Wer über eine gut dotierte Pension verfügt, ist im Alter oft besser dran als Klein­un­ter­nehmer oder Frei­be­rufler, die von ihrem Kapital leben müssen.

Außerdem sind gerade in Deutsch­land mit seiner mittel­stän­di­schen Wirt­schafts­struktur große Vermögen häufig in Fami­li­en­un­ter­nehmen gebunden, die Tausenden von Menschen Beschäf­ti­gung und Einkommen bieten und vor Ort Steuern zahlen. Ihr Reichtum kommt also durchaus dem Gemein­wohl zugute.

Vertei­lungs­ge­rech­tig­keit zählt

Beides sollte man bedenken, bevor man ange­sichts der DIW-Zahlen in Schnapp­at­mung ausbricht. Dennoch bleibt die Schief­lage der Vermö­gens­ver­tei­lung eine Tatsache, über die man nicht achsel­zu­ckend hinweg­sehen kann. Sie unter­gräbt die Chan­cen­gleich­heit, schafft völlig getrennte Lebens­welten, die kaum noch mitein­ander in Berührung kommen und bläht den speku­la­tiven Finanz­sektor auf.

Da Kapi­tal­ein­kommen tenden­ziell stärker steigen als Löhne und Gehälter, vergrö­ßert eine starke Ungleich­heit von Vermögen lang­fristig auch die Ungleich­heit bei der Einkom­mens­ent­wick­lung. Es spricht einiges dafür, dass die Konzen­tra­tion von Einkommen und Vermögen am oberen Ende der Gesell­schaft die Wachs­tums­dy­namik der Wirt­schaft dämpft. Dazu kommt ein nicht zu unter­schät­zendes politisch-psycho­lo­gi­sches Moment: Wenn die Mehrheit der Bürger den Eindruck hat, dass es nicht mehr gerecht zugeht, zerstört das die Legi­ti­ma­tion einer frei­heit­li­chen Wirtschaftsordnung.

Die soziale Markt­wirt­schaft beruht auf dem Verspre­chen vom „Wohlstand für alle“. Wenn ein großer Teil der Leute, die sich jeden Tag abrackern, auf der Stelle tritt, während die Vermö­genden immer reicher werden, ist das Wasser auf die Mühlen der Popu­listen von links und rechts. Das alles sind Gründe, weshalb eine ausge­wo­ge­nere Vertei­lung von Vermögen auf die poli­ti­sche Tages­ord­nung gehört.

Wer in der Wieder­ein­füh­rung der Vermö­gen­steuer den Königsweg zu mehr Vertei­lungs­ge­rech­tig­keit sieht, springt aller­dings zu kurz. Wenn Vermö­gen­steuern eine signi­fi­kante Vertei­lungs­wir­kung haben sollen, müssen sie so hoch angesetzt werden, dass sie empfind­lich in Betriebs­ver­mögen eingreifen und die Alters­vor­sorge von Selbst­stän­digen angreifen. Beides ist wirt­schafts- und gesell­schafts­po­li­tisch kontra­pro­duktiv. Gleich­zeitig setzt die Vermö­gens­be­steue­rung nur bei den Symptomen an, statt die Ursachen des Problems anzugehen: die mangelnde Vermö­gens­bil­dung breiter Bevölkerungsschichten.

Der Schlüssel für die Vermö­gens­ver­tei­lung liegt in der Betei­li­gung am Produk­tiv­ka­pital und am Immo­bi­li­en­stock. Die Trenn­linie bei der Vermö­gens­ver­tei­lung verläuft zwischen den Schichten, die Unter­neh­mens­an­teile und attrak­tive Immo­bi­lien besitzen, und denen, die allein auf ihre laufenden Einkommen ange­wiesen sind. Wer die Kluft zwischen „unten“ und „oben“ verklei­nern will, muss das Eigentum an Unter­nehmen und Immo­bi­lien auf breitere Grund­lagen stellen. Nicht „Abschaf­fung des Eigentums“, sondern „Eigentum für alle“ ist die frei­heit­liche Antwort auf die Vermögensfrage.

Vermö­gens­bil­dung fördern

Wie kann die Eigen­tums­bil­dung von Arbeitern und Ange­stellten befördert werden? Zum einen durch höhere Netto­ein­kommen, die auch eine höhere Spar­leis­tung ermög­li­chen. Eine Abfla­chung der „kalten Progres­sion“ bei der Lohn- und Einkom­men­steuer würde hier schon helfen. Die reichlich spru­delnden Steu­er­ein­nahmen bieten Spielraum für eine sehr viel ambi­tio­nier­tere Reform des Steu­er­ta­rifs, als Union und SPD bisher vorhaben.

Der Erwerb von Aktien und Immo­bi­lien durch untere und mittlere Einkom­mens­schichten sollte steu­er­lich stärker gefördert werden. Auch Arbeit­geber und Gewerk­schaften können hier mehr tun, etwa durch den Ausbau vermö­gens­wirk­samer Leis­tungen als Teil von Tarif­er­hö­hungen. So könnte ein Teil der ausge­han­delten Lohn­stei­ge­rungen in über­be­trieb­liche Fonds fließen, die in einhei­mi­sche Unter­nehmen inves­tieren. Lang­fristig würde damit der Anteil breiter Bevöl­ke­rungs­schichten am Volks­ver­mögen expo­nen­tiell wachsen. Auch die inner­be­trieb­liche Betei­li­gung der Mitar­beiter ist ausbau­fähig. Wenn Arbeiter und Ange­stellte zu Mitei­gen­tü­mern werden, stärkt das ihre Iden­ti­fi­ka­tion mit dem Unternehmen.

Nicht zuletzt kommt es auf eine möglichst gute Bildung für möglichst alle an. In einer Wissens­ge­sell­schaft sind Allge­mein­bil­dung und beruf­liche Quali­fi­zie­rung das wich­tigste „Produk­tiv­ver­mögen“. Sie sind der Schlüssel für beruf­li­chen Erfolg, Einkommen und soziale Teilhabe. Deshalb sind Inves­ti­tionen in das öffent­liche Bildungs­system auch ein Beitrag zu einer gerech­teren Gesell­schaft. Teil­ha­be­ge­rech­tig­keit vermit­telt sich nicht nur über private Einkommen und Vermögen, sondern auch über öffent­liche Institutionen.

Wer eine frei­heit­liche Wirt­schafts­ord­nung mit Privat­ei­gentum, Unter­neh­mer­geist und offenen Märkten vertei­digen will, muss sich der Gerech­tig­keits­de­batte stellen. Globa­li­sie­rung und digitale Revo­lu­tion sind keine Garanten für mehr Wohlstand für alle. Wie die Erfahrung zeigt, führen sie eher zu einer wach­senden Pola­ri­sie­rung zwischen Gewinnern und Verlie­rern der neuen Wirt­schafts­welt. Die Verfechter der liberalen Demo­kratie dürfen die Debatte über Vertei­lungs­ge­rech­tig­keit nicht ihren Gegnern überlassen.

Ralf Fücks war über lange Jahre Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Er ist jetzt geschäfts­füh­render Gesell­schafter des neu gegrün­deten Zentrums Liberale Moderne in Berlin

Erschienen in „DIE WELT“, 26. Januar 2018


Quellen:

DIW-Discus­sion Paper „Looking for the Missing Rich: Tracing the Top Tail of the Wealth Distri­bu­tion“, 23. Januar 2018

Spiegel Online: Super­reiche – 45 Deutsche besitzen so viel wie die Hälfte der Bevöl­ke­rung, 23. Januar 2018

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