Der Arbeit­nehmer als Aktionär

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Beleg­schafts­aktie, GmbH-Anteile, Mitar­bei­ter­dar­lehen: Wie können sich mehr Menschen am gesamt­wirt­schaft­lichen Kapital betei­ligen? Mit dieser Frage beschäf­tigen sich zwei Heraus­geber und 26 weitere Autoren in einem Sammelband. Unser Autor hat sich durch die rund 300 Seiten gelesen.

Der unmit­telbare Aufhänger für die Aktua­lität dieses Themas ist das in allen entwi­ckelten Indus­trie­na­tionen zuneh­mende Ausein­an­der­driften der Markt­ein­kommen. Vor allem der verstärkte Einsatz von Kapital und Techno­logie führt in Deutschland dazu, dass der Anteil der Arbeits­ein­kommen an der volks­wirt­schaft­lichen Wertschöpfung sinkt (Kuhn, S. 140). Diese Entwicklung wäre unpro­ble­ma­tisch, wenn der gesamt­wirt­schaft­liche Kapital­stock einiger­maßen gleich­mäßig innerhalb der Bevöl­kerung verteilt wäre. Einkom­mens­ver­luste, die die Bürger als Arbeit­nehmer erleiden, könnten sie als Kapital­ei­gen­tümer ausgleichen. Tatsächlich ist die Vermö­gens­ver­teilung in Deutschland jedoch sehr ungleich.

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung und Lehrbe­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Eine breitere Verteilung des sachlichen Produk­tiv­ver­mögens innerhalb der Gesell­schaft würde folglich helfen, die mit der Digita­li­sierung verbundene Wertschöpfung breiter zu verteilen (vgl. Kluge, S. 194). Die Ungleichheit der Einkom­mens­ver­teilung, die der Markt hervor­bringt, ließe sich so verringern. Zwar weist Jens Südekum zu Recht darauf hin, dass Roboter in Deutschland „bislang noch keine erbar­mungs­losen Jobkiller“ waren. Dennoch haben sie dazu beigetragen, dass die Einkom­mens­un­gleichheit in Deutschland in den letzten Jahren gestiegen ist (Südekum, S. 98).

Sollte sich dieser Trend fortsetzen und verschärfen – was keines­falls garan­tiert ist, aber eben auch nicht ausge­schlossen werden kann – gewinnt die Frage „who owns the robots“ an Bedeutung (Freeman, S. 107). Eine breitere Verteilung des Kapital­ver­mögens würde dann die Ungleich­ver­teilung der Markt­ein­kommen reduzieren und das Volumen der staat­lichen Umver­teilung verringern. Damit ist die Verbes­serung der Mitar­bei­ter­be­tei­ligung ein Thema, das auch auf der gewerk­schaft­lichen Agenda steht (vgl. Kluge, S. 190).

Ordnungs­po­li­tische und sozial­ethische Begründung für die Mitarbeiterbeteiligung

Ein ordnungs­po­li­ti­sches Argument für eine breitere Verteilung des sachlichen Produk­tiv­ver­mögens innerhalb der Bevöl­kerung ergibt sich aus der Beson­derheit vieler digitaler Produkte. Sie weisen häufig hohe Fixkosten und geringe variable Kosten aus. Bei dieser Kosten­struktur kann es zur Monopol­bildung kommen. Der Netzwerk­cha­rakter vieler digitaler Güter verstärkt diese Tendenz: Je mehr Teilnehmer in einem sozialen Netzwerk oder einer Online-Tausch­börse anzutreffen sind, desto attrak­tiver ist es für Nutzer, sich diesem Netzwerk anzuschließen. Es kommt zum „Winner-takes-all“-Phänomen, bei dem sich am Ende nur ein einziger Anbieter durch­setzt. Wenn die voran­schrei­tende Digita­li­sierung also Monopo­li­sie­rungs­ten­denzen hervorruft, kann die Eigen­tums­bildung „in den Händen der breiten Masse der Bevöl­kerung“ dieser Macht­kon­zen­tration entge­gen­wirken (vgl. Müller, S. 24).

Zudem gibt es ein sozial­ethi­sches Argument: Die indivi­duelle Freiheit gehört zur Würde des Menschen. Eine entschei­dende Basis für diese Freiheit sind Eigen­tums­rechte – folglich muss die Eigen­tums­ver­teilung breit gestreut sein (vgl. Jähnichen, S. 30f.). Noch kürzer formu­liert es Joachim Fetzer: „Vermögen ermög­licht Freiheit“, denn Vermögen schafft Handlungs­frei­räume und „entlastet auch von Handlungs­zwängen“ (Fetzer, S. 58).

Betriebs­wirt­schaft­liche Gründe für die Mitarbeiterbeteiligung

Entscheidend für die Anwendung der Mitar­bei­ter­be­tei­ligung in der betrieb­lichen Praxis sind letzt­endlich deren Vorteile für Beschäf­tigte und Unter­nehmen – und davon gibt es eine Menge (vgl. vor allem Beck, S. 148, Beyer, S. 121f., Kluge, S. 191, Leuner, S. 161f., Pross, S. 153, Theurer, S. 50, Zimmer, S. 44):

  • Die Betei­ligung am Unter­nehmen erhöht die Bindung der Arbeit­nehmer an ihren Betrieb. Dies hat betriebs­wirt­schaft­liche Vorteile, die die Produk­ti­vität des Unter­nehmens und damit auch dessen Wettbe­werbs­fä­higkeit steigern: eine geringere Fluktuation, also geringere Kosten für die Wieder­be­setzung von Stellen und für die Abfindung von Mitar­beitern, der Erhalt von betrieb­lichem Know-how und Erfah­rungs­wissen und last but not least eine höhere Leistungs­be­reit­schaft der Mitarbeiter.
  • Die Gewinn­be­tei­ligung und die Betei­ligung an Wertstei­ge­rungen des Unter­nehmens sind eine zusätz­liche Motiva­ti­ons­stei­gerung und gleich­zeitig ein Instrument der Mitar­bei­ter­ge­winnung – ein Argument, das im Zuge des demogra­fisch bedingten Fachkräf­te­mangels zunehmend an Relevanz gewinnen dürfte. Insgesamt kann die Mitar­bei­ter­be­tei­ligung die Arbeits­zu­frie­denheit und die Mitar­bei­ter­loya­lität steigern.
  • Eine Stärkung der betrieb­lichen Eigen­ka­pi­tal­basis ohne eine Abhän­gigkeit von insti­tu­tio­nellen Inves­toren schafft Stabi­lität, weil Arbeit­nehmer in der Regel einen längeren Zeitho­rizont haben als Investoren.
  • Schließlich bietet sich die Mitar­bei­ter­be­tei­ligung auch als Finan­zie­rungs­basis für Start-ups an

Der Beitrag von Marc Muntermann und Michael Wolff zur Mitar­bei­ter­be­tei­ligung bei der Siemens AG zeigt, dass diese Vorteile nicht nur graue Theorie sind. Auch die langfristige finan­zielle Profi­ta­bi­lität für die Mitar­beiter lässt sich bei börsen­no­tierten Unter­nehmen in Deutschland in den meisten Fällen nachweisen (vgl. Hinderlich und Fuß, S. 236).

Wie lässt sich die Mitar­bei­ter­be­tei­ligung praktisch umsetzen?

Für eine Betei­ligung der Beschäf­tigten an ihrem Unter­nehmen bieten sich zahlreiche Varianten an. Neben der bekann­testen – der Beleg­schafts­aktie – gibt es GmbH-Anteile, Genos­sen­schafts­an­teile, Mitar­bei­ter­dar­lehen und Schuld­ver­schrei­bungen, Genuss­rechte sowie stille Betei­li­gungen (vgl. Beyer, S. 122 ff., Anken­brand, S. 215). Auch für den Mittel­stand, der wegen seiner typischen Rechts­formen in der Regel nicht mit Beleg­schafts­aktien arbeiten kann, gibt es somit hinrei­chend viele Betei­li­gungs­mög­lich­keiten (Beyer und Lambach, S. 250). Im Start-up-Bereich ist zudem an virtuelle Geschäfts­an­teile bzw. virtuelle Options­pro­gramme zu denken (vgl. Franke, S. 255 sowie Beyer, S. 125).

Auch wenn diese Formen der Betei­ligung am eigenen Unter­nehmen zahlreiche Vorteile haben, darf die Gefahr des doppelten Risikos, das auch „Klumpen­risiko“ genannt wird, nicht außer Acht gelassen werden: Im Falle einer Unter­neh­mens­pleite verlieren die Beschäf­tigten nicht nur ihren Job, sondern auch ihre Kapital­anlage (Kluge, S. 191, Theurer, S. 51). Kurt Beck schlägt daher mit dem „Deutsch­land­fonds“ eine überbe­trieb­liche Lösung vor, um das Kapital­ver­lust­risiko zu verringern (vgl. Beck, S. 148ff.).

In die ähnliche Richtung geht die Idee eines Teilha­be­fonds. Neben der breiteren Risiko­streuung durch die Betei­ligung an mehreren Unter­nehmen zeichnet sich diese Überlegung dadurch aus, dass sie über die reine Vermö­gens­be­tei­ligung hinausgeht und die Ausübung der Eigen­tums­rechte stärker in den Mittel­punkt stellt (vgl. Pross, S. 156ff.).

Weitere Voraus­set­zungen für eine stärkere Betei­ligung am Produktivvermögen

Im europäi­schen Vergleich ist die Betei­ligung der Mitar­beiter an den Unter­nehmen in Deutschland nur unter­durch­schnittlich stark ausge­prägt (vgl. Beck, S. 147, Beyer, S. 129, Szebel-Habig, S. 199). Gleiches gilt für den Aktien­anteil am Geldver­mögen (vgl. Kuhn, S. 135f.).

Für eine umfang­rei­chere Kapital­be­tei­ligung der Beschäf­tigten braucht Deutschland daher auch eine neue Aktien­kultur. Vor dem Hinter­grund der immer noch nachwir­kenden Enttäu­schungen mit „der als Volks­aktie angeprie­senen T‑Aktie“ (Theurer, S. 48) und den massiven Kursein­brüchen im Zuge der Dotcom-Blase und der Lehman-Pleite stellt dies eine enorme Heraus­for­derung dar. Das fehlende Vertrauen der Mehrheit der deutschen Haushalte in die Finanz­märkte ist ein nachvoll­zieh­bares Argument für das „sehr sicher­heits- und liqui­di­täts­ori­en­tierte Sparver­halten“ der Deutschen (vgl. Holzhausen, S. 81). Damit verzichten die Sparer jedoch auch auf höhere Renditen, die sich aus der Risiko­prämie ergeben, die mit einer Betei­ligung am unter­neh­me­ri­schen Kapital verbunden ist (vgl. Naumer, S. 89).

Persön­liche Bewertung

Der im Vorwort des Sammel­bandes beschriebene Weg der Autoren – „Teilhabe durch Kapital­be­tei­ligung“ (S. VII) – adres­siert zweifellos ein Thema von hoher gesell­schaft­licher Relevanz. Auch wenn die genaue Ausge­staltung der zukünf­tigen Produk­ti­ons­pro­zesse ungewiss ist, steht für mich außer Frage: Perspek­ti­visch wird die Bedeutung von Kapital und Techno­logie in der Produktion zunehmen. In Deutschland geraten dadurch vor allem die Markt­ein­kommen gering quali­fi­zierter Menschen unter Druck. Aber auch in Teilen der gesell­schaft­lichen Mitte wird die Einkom­mens­un­si­cherheit größer.

Bei einem zu starken Ausein­an­der­driften der Markt­ein­kommen droht die gesell­schaft­liche Akzeptanz der Sozialen Markt­wirt­schaft verloren zu gehen. Die Folge könnten soziale Spannungen und politische Polari­sie­rungen sein. Die breitere Betei­ligung aller Bürger an den Produk­ti­ons­fak­toren Kapital und Techno­logie – und dadurch auch an den damit verbun­denen Einkommen – ist eine Möglichkeit, dieser Entwicklung der Einkommen zumindest teilweise entgegenzuwirken.

Anstelle einer Ausein­an­der­setzung mit einzelnen durchaus diskus­si­ons­wür­digen Aussagen in diesem Band stelle ich fünf Thesen zur Kapital­be­tei­ligung der Bürger auf:

  1. Wenn es um die Teilhabe durch Kapital­be­tei­ligung geht, ist die Fixierung auf ein Beschäf­ti­gungs­ver­hältnis zu eng. Selbst­ver­ständlich muss jedes Buch eine thema­tische Abgrenzung treffen. Die Frage, wie auch dieje­nigen, die sich nicht in einem Beschäf­ti­gungs­ver­hältnis befinden, besser am gesamt­ge­sell­schaft­lichen Vermögen beteiligt werden können, darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden.
  2. Eine Förderung der Teilhabe durch Kapital­be­tei­ligung muss auch Lösungen für Beschäf­tigte beinhalten, deren Arbeits­ein­kommen so gering sind, dass eine Erspar­nis­bildung nicht möglich ist. In diesem Fall wäre beispiels­weise zu überlegen, ob „der Staat bestimmten Perso­nen­gruppen Anteile kostenlos überlässt“ (Beck, S. 150). So ein Vorgehen wäre jedoch nur mit einem allen Bürgern offen­ste­henden Fonds in staat­licher Träger­schaft umsetzbar.
  3. Der Umgang mit dem erwähnten Klumpen­risiko stellt einen unauf­lös­baren Zielkon­flikt dar. Die Vermeidung des doppelten Risikos für Arbeit­nehmer (gleich­zei­tiger Arbeits­platz- und Kapital­verlust) spricht für eine risiko­streuende überbe­trieb­liche Lösung. Dies führt dann jedoch nicht mehr zu einer höheren Mitar­bei­ter­loya­lität inklusive der damit verknüpften betriebs­wirt­schaft­lichen Vorteile.
  4. Mehrere Autoren verbinden die Mitar­bei­ter­be­tei­ligung mit der (betrieb­lichen) Alters­vor­sorge (Leuner, S. 161ff., Bangert und Eller, S. 177ff., Beyer und Lambach, S. 247). Dabei darf nicht übersehen werden: Realwirt­schaftlich ist ein Renten­system immer ein Umlage­system: Die Rentner des Jahres 2035 können letzt­endlich nur die Güter und Dienst­leis­tungen konsu­mieren, die die Erwerbs­tä­tigen des Jahres 2035 herstellen. Eine kapital­ge­deckte Alters­vor­sorge kann hierfür nützlich sein, wenn dadurch der Kapital­be­stand wächst und somit die Arbeits­pro­duk­ti­vität steigt. Das grund­le­gende Prinzip eines realwirt­schaft­lichen Umlage­ver­fahrens in der Renten­ver­si­cherung lässt sich jedoch nicht umgehen.
  5. Das mögli­cher­weise größte Hindernis in Deutschland für eine stärkere Betei­ligung aller Bürger am Kapital­ver­mögen könnte weniger das Sicher­heits­ar­gument sein, sondern „eine emotionale Abwehr gegen Aktien“. Abhilfe kann eine Stärkung der finan­zi­ellen Allge­mein­bildung („financial literacy“) leisten.

Die mit diesen fünf Thesen verbun­denen kriti­schen Anmer­kungen trüben den positiven Gesamt­ein­druck dieses Sammel­bandes – wenn überhaupt – nur marginal. All jene, die sich für das Thema Mitar­bei­ter­be­tei­ligung inter­es­sieren, finden hier viele gute Anregungen.

Der rezen­sierte Sammelband „CSR und Mitar­bei­ter­be­tei­ligung. Die Kapital­be­tei­ligung im 21. Jahrhundert – Gerechte Teilhabe statt Umver­teilung“ ist von Heinrich Beyer und Hans-Jörg Naumer heraus­ge­geben worden und bei Springer Gabler erschienen.

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