Die „Diener des Volkes“ können anfangen zu dienen

© Shut­ter­stock

Der Wunsch nach Erneue­rung ist über­wäl­ti­gend: Die Ukraine hat ein neues Parlament gewählt. Wolodymyr Selen­skyjs Partei „Diener des Volkes“ ist der große Gewinner. Doch wer sitzt in der neuen Rada?

Die Ukraine hat gewählt. Die „Diener des Volkes“ haben abgeräumt. Das poli­ti­sche Estab­lish­ment wurde nach Hause geschickt. Darunter viele Banditen – aber auch erfahrene und ehren­werte Leute. Selbst jene, die den Anstoß für die Revo­lu­tion der Würde gaben, werden in der nächsten Rada nicht mehr vertreten sein. Und eine vor vier Jahren noch neue, scheinbar unver­brauchte Kraft wie die Partei „Samo­po­mitsch“ ist nur noch im Null-Komma-Bereich zu finden. 

Portrait von Marieluise Beck

Marie­luise Beck ist Direk­to­rin Ostmitteleuropa/​​Osteuropa am Zentrum Liberale Moderne.

So wie Präsident Wolodymyr Selenskyj noch nicht erkennen lässt, wer er ist und wohin er will, so gilt das nun auch für die Rada. Die „Diener des Volkes“ verfehlten zwar die absolute Mehrheit bei der Wahl nach Partei­listen. Die direkt gewählten Abge­ord­neten geben Selenskyj jedoch die Chance auf eine Allein­re­gie­rung. Bei den Direkt­wahlen in den Wahl­kreisen haben seine Kandi­daten – allesamt Newcomer – noch stärker abgeräumt als bei der Listen­wahl. Der Wunsch nach Erneue­rung ist überwältigend.

Was können wir über diese Wahl sagen?

Nur etwa die Hälfte der ukrai­ni­schen Wahl­be­rech­tigten ging zur Urne. Zu oft sind sie seit dem Fall der Sowjet­union aufge­bro­chen und doch wieder enttäuscht worden. Aber wie schon die Präsi­den­ten­wahl im April war auch dieser Urnengang eine deutliche Abfuhr für die poli­ti­schen Eliten, die wie Petro Poro­schenko mit einem großen Vertrau­ens­vor­schuss gestartet sind und nicht „geliefert“ haben.

Die wirt­schaft­liche Lage ist schlecht, darüber kann auch das glit­zernde Kiewer Zentrum nicht hinweg­täu­schen. Das big game der Olig­ar­chen ging weiter und es war unklar, wie weit der alte Präsident auf diesem Feld mitmischte. Sein Gene­ral­staats­an­walt jeden­falls war kein Garant für den Kampf gegen die Korrup­tion. Der Krieg im Osten geht weiter, fast täglich gibt es weitere Tote und Verwun­dete. Dennoch ist erstaun­lich, dass Poro­schenkos Partei nur knapp neun Prozent der Stimmen erhielt: Er hat das Land auf Kurs gen Westen gehalten, er war ein solider Partner für die EU und den inter­na­tio­nalen Währungs­fonds, und die Been­di­gung des Krieges ist eine mission impos­sible, solange sie vom Kreml nicht gewollt wird. Eine prospe­rie­rende Ukraine ist für Putin ein Albtraum.

Der oppo­si­tio­nelle Block, das Sprach­rohr des Kremls, wird enttäuscht sein. Rund elf Prozent ist ein Absturz gegenüber der letzten Radawahl. Viktor Medwet­schuk mag sich die Frage stellen, ob der öffent­lich zele­brierte Schul­ter­schluss mit Putin wirklich eine gute Idee war. Am stärksten wurde die Partei im Südosten der Ukraine gewählt, dort ist das Vertrauen in Kiew offenbar am geringsten. Auch Julia Timo­schenko, die sich im Kampf um das Präsi­den­tenamt noch Hoff­nungen auf ein Comeback machen konnte, wird mit ihren rund sieben Prozent poli­ti­sche Geschichte sein. Dabei hatten ihre Parla­men­ta­rier sich schon in einer Koalition mit Selenskyj gesehen.

Bleibt neben dem Schau­spieler Selenskyj der Rock­sänger Swja­to­slaw Wakart­schuk. Auch er steht für etwas Unver­brauchtes, zugleich aber auch für ein gerüttelt Maß an Uner­fah­ren­heit. Man hatte erwartet, dass er den „Euro­op­ti­misten“, der ersten Gene­ra­tion von Maidan-Abge­ord­neten im Parlament, eine poli­ti­sche Heimat geben würde. Aber er entschied sich für das Modell „alles neu“ und bediente damit den Antiestab­lish­ment-Impuls im Volk. Nur: Auf diesem Feld war Selenskyj unschlagbar. Es blieben knappe sieben Prozent für Wakartschuk.

Es ist Zeit, die Kreml-Legende von der „faschis­ti­schen Ukraine“ zu begraben

Eine große Über­ra­schung ist der Blick auf die Regionen. Nicht im Osten, im Donbas, haben die prorus­si­schen Parteien viel Zuspruch erfahren, sondern vor allem im Süden. Das muss einer neuen Regierung Selenskyj zu denken geben.

Darf man in Deutsch­land, wo so viele Stimmen vor dem Rechten Block, den Anti­se­miten und Faschisten in der Ukraine warnten, noch kurz die nicht einmal drei Prozent entge­gen­halten, die ultra­rechte Parteien einge­fahren haben? In Sachsen wären wir über solche beschei­denen Ergeb­nisse der AfD erleich­tert. Es wird Zeit, die Kreml-Legende vom „faschis­ti­schen Putsch in der Ukraine“ zu begraben.

Was bleibt? Wir werden uns gedulden müssen. Die Frage „Wer ist Selenskyj?“ wird nun ergänzt um die Frage „Wer sitzt in der neuen Rada?“. Aber der Vorhang wird sich lüften. Wird tatsäch­lich ein unver­brauchter Reformer Minis­ter­prä­si­dent, wie von Selenskyj ange­kün­digt? Wer wird Gene­ral­staats­an­walt? Welche Spiel­räume bekommt die Anti­kor­rup­ti­ons­be­hörde NABU? Was wird aus dem Ringen um Ihor Kolo­mo­js­kyjs „Privat­bank“?

Und: Wird die ange­kün­digte Aufhebung der Immunität der Abge­ord­neten ein fatales Droh­in­stru­ment gegen die poli­ti­schen Gegner des Präsi­denten? Oder wird der Korrup­tion im Parlament damit der Kampf angesagt?

Die „Diener des Volkes“ können beginnen zu dienen. Hoffen wir, dass sie nur Gutes im Schilde führen. Die EU hat es in der Hand, Selenskyj bei den ange­kün­digten Reformen zu unter­stützen, politisch wie finan­ziell. Europa hat jedes Interesse an einer demo­kra­ti­schen und wirt­schaft­lich erfolg­rei­chen Ukraine.

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