Wahlkampf für Erdoğan: Die Grauen Wölfe in Deutschland
Der Wahlerfolg Erdoğans und der AKP in Deutschland ist auch der Unterstützung durch die Grauen Wölfe zu verdanken, eine der größten rechtsextremen Bewegungen in Deutschland. Till Schmidt hat mit Experten zu türkischem Nationalismus über Organisationsstrukturen und Einfluss der Grauen Wölfe gesprochen.
Deutschland hat für die türkische Politik einen besonderen Stellenwert – umso mehr, wenn es um jede Stimme geht. Trotz Verluste können sich die hiesigen Wahlergebnisse für Erdogan und die AKP nach wie vor sehen lassen. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen votierten in Deutschland 65,5 Prozent für Erdogan. Bei den zeitgleich stattfindenden Parlamentswahlen kam die AKP auf 50,4 Prozent. Damit sind die AKP und Erdogan in Deutschland weiterhin bedeutend erfolgreicher als in der Türkei.
Seit Monaten hatte die AKP um die Stimmen der 1,5 Millionen wahlberechtigten DeutschtürkInnen geworben – und dabei auf etablierte Netzwerke und über Jahrzehnte gewachsene Strukturen zurückgegriffen. „Organisiert wurde der Pro-Erdogan-Wahlkampf vor allem von der AKP-Lobbyorganisation Union Internationaler Demokraten, kurz: UID“, erklärt Erkan Pehlivan. Der Journalist hatte den türkischen Wahlkampf in Deutschland umfassend und investigativ begleitet.
Im Verbund mit DITIB, der Türkisch-Islamischen Union, der Anstalt für Religion, hatte die UID „mehrere hundert Wahlkampfveranstaltungen organisiert“, sagt Pehlivan. Am Pro-Erdogan-Wahlkampf stark beteiligt waren auch der Unternehmerverband MÜSİAD, sowie Milli Görüs, eine bundesweit aktive islamistische Organisation, die sich mittlerweile als gemäßigt präsentiert und vielerorts ein zentraler Akteur in der lokaler Islampolitik ist. Eine wichtige Rolle spielen aber auch Organisationen aus dem Spektrum der Grauen Wölfe.
Zentralrat der Muslime in Deutschland: Allianz mit Rechtsextremen
Die Grauen Wölfe („Ülkücü“) sind eine der größten rechtsextremen Bewegungen in Deutschland. Ihr werden bis zu 18.500 Personen zugerechnet. Die Mehrheit der „Ülkücü“ gehört drei großen Dachverbänden – der Türk Federasyon (ATK), der Türkisch-Islamischen Union Europa (ATIB) und der Türkischen Union Europas (ATB) – an, die allesamt seit langem von den Verfassungsschutzämtern beobachtet werden.
Der Verband ATIB ist Gründungsmitglied und einer der mitgliederstärksten Verbände im Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), wo er wichtige Funktionen bekleidet. Brisant ist, dass der Zentralrat zwar nur einen sehr kleinen Teil der in Deutschland lebenden Muslime repräsentiert, von Medien und Politik jedoch seit langem als zentraler Ansprech- und Kooperationspartner angesehen wird – trotz der Mitgliedschaft von ATIB sowie weiterer laut Bundesverfassungsschutz islamistischer Organisationen.
Über 300 Vereine der Grauen Wölfe
Der von Kemal Bozay verfassten Studie des American Jewish Committee Berlin (AJC) zufolge existieren bundesweit über 300 Vereine der Grauen Wölfe, die als Selbsthilfeorganisationen, Moscheegemeinden, Eltern- und Kulturvereine Einfluss auf das hiesige soziale Leben nehmen.
Das parteipolitische Zuhause der Grauen Wölfe ist die MHP, die in der Türkei mit Erdogans AKP eine Allianz eingegangen und auch an der amtierenden (und wohl auf zukünftigen) Koalitionsregierung beteiligt ist. Bei den Parlamentswahlen 2023 erreichte die MHP in Deutschland 12,6 Prozent der abgegebenen Stimmen, was knapp 91.400 WählerInnen entspricht.
Etablierte Netzwerke
Über Jahrzehnte konnten die Grauen Wölfe ihre Netzwerke ausbauen und ein starkes Selbstbewusstsein entwickeln – weil man sie gewähren ließ und zu Beginn in den 1970ern sogar als Gegenpol zu linken und sich politisierenden Gastarbeiter:innen unterstützte.
Im November 2020 aber verabschiedete der Bundestag einen interfraktionellen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, der die Bundesregierung dazu aufforderte, ein Verbot von den Grauen Wölfen zuzurechnenden Organisationen zu prüfen.
Noch keine Entscheidung über ein Verbot
Spätestens seit diesem Bundestagsantrag und dem Verbot in Frankreich kurz zuvor sind die Grauen Wölfe stärker in das hiesige mediale und politische Blickfeld gerückt. „Inzwischen sind die Ülkücü kein reines Nischenthema mehr“, sagt der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli, der seit langem zu türkischem Rechtsextremismus forscht, publiziert und berät.
Zwar gibt es vonseiten der Bundesregierung bislang noch immer keine Entscheidung über ein Verbot. Doch mittlerweile seien immerhin gerade im Bereich der Präventionsarbeit bundesweit einige wichtige neue Projekte entstanden, erklärt Küpeli. Dazu gehören Hintergrundpublikationen, Beratungsangebote oder auch Fachtage. Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit war ebenfalls zentraler Bestandteil des umfänglichen Bundestags-Antrages aus dem Jahr 2020
Wahlkampf für die eigene Klientel
In den letzten Monaten hatten die Grauen Wölfe auf einen intensiven Straßenwahlkampf oder auf die offensive Einschüchterung politischer Gegner „weitgehend verzichtet“, sagt Küpeli. Der Politikwissenschaftler erklärt sich diese Zurückhaltung als strategische Entscheidung vor dem Hintergrund der gestiegenen öffentlichen Sensibilisierung gegenüber türkischem Rechtsextremismus. Gerade schlechte Presse wollte man um jeden Preis vermeiden. Noch im Januar hatte ein AKP-Abgeordneter in einer Ülkücü-Moschee in Neuss gefordert, die Gegner Erdogans überall in der Welt zu vernichten. Der Fall wurde bundesweit bekannt.
Stattdessen versuchten die Grauen Wölfe, möglichst unauffällig und innerhalb der bestehenden Strukturen und Netzwerke ihre eigene Klientel zu mobilisieren – über Kulturveranstaltungen etwa, Haustürwahlkampf oder auch mit Bustransporten zu Wahllokalen. „Es war keine Seltenheit, dass sich bei öffentlichen Veranstaltungen an der Seite von UID- und AKP-Funktionären auch Ülkücü-Vertreter zeigten“, sagt Kemal Bozay, Sozialwissenschaftler und Experte für türkischen Nationalismus. Über die Kooperation von AKP und MHP in der Türkei hätten letztlich „auch die verschiedenen Gemeinden und Organisationen in Deutschland noch näher zueinandergefunden“, so Bozay.
„Politisch naiv und brandgefährlich“
Erkan Pehlivan hat in seiner investigativen Arbeit immer wieder beobachtet, wie deutsche PolitikerInnen vor allem auf lokaler Ebene nicht nur mit AKP- und DITIB-Funktionären, sondern auch mit Vertretern der Grauen Wölfe auf Tuchfühlung gehen. Dies hält er für „brandgefährlich“. Häufig seien den PolitikerInnen die Einschätzungen aus den verschiedenen Verfassungsschutzberichten bekannt. Immer wieder werde sich jedoch darauf berufen, dass die Organisationen sich gemäßigt zeigen oder sich sogar in Vereinbarungen offiziell zum Grundgesetz bekannt haben. Pehlivan hält dies für „politisch naiv“.
Zivilgesellschaftliche Beobachtung und Symbolverbot
Ismail Küpeli plädiert dafür, über die Arbeit der Sicherheitsbehörden hinaus zu gehen. Er hofft auf eine stärkere und differenzierte Beobachtung der Ülkücü durch die Zivilgesellschaft – im Idealfall über einen längeren Zeitraum abgesichert durch ein Demokratiefördergesetz. Gerade die Aktivitäten der Grauen Wölfe auf Social Media würden noch viel zu wenig in den Blick genommen, so Küpeli. Auch Kemal Bozay beklagt, dass Erscheinungsformen des türkischen Rechtsextremismus sowie die Ursachen und Beweggründen für eine Hinwendung zu den Grauen Wölfen noch viel zu wenig erforscht sind. Dies betreffe gerade das in der Ülkücü-Szene zentrale Thema Geschlecht.
Das American Jewish Committee Berlin (AJC), das 2021 eine umfassende Studie von Kemal Bozay zu den Ülkücü veröffentlicht hat, fordert aktuell ebenfalls eine Ausweitung der Grundlagenforschung zum türkischen Rechtsextremismus – auch mit Blick auf Präventionskonzepte für jüngere Zielgruppen. Im Falle eines umfassenden Verbots der Grauen Wölfe hält es Johannes Sarcher vom AJC für essenziell, auch gegen Ersatz- und Nachfolgestrukturen der Ülkücü vorzugehen. Bis dahin könnten und sollten das Zeigen ihrer zentralen Symbole untersagt werden. Das bekannteste Erkennungszeichen ist der sogenannte Wolfsgruß. Auch auf hiesigen Pro-Erdogan-Wahlveranstaltungen war er immer wieder zu sehen.
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