Deutsche Waffen­lie­fe­rungen an die Ukraine

Foto: Milan Sommer /​ Shutter­stock

Deutsche Waffen­lie­fe­rungen – eine Frage der Solida­rität und Überzeugung, Hilfe den Ukrainern, der Ukraine, Europa und der Deutsche Waffen­lie­fe­rungen – eine Frage der Solida­rität und Überzeugung, Hilfe den Ukrainern, der Ukraine, Europa und der eigenen Glaubwürdigkeit.

Dieser Text wurde vor der Entscheidung der Bundes­re­gierung zu Waffen­lie­fe­rungen an die Ukraine geschrieben.

Viele Menschen in Deutschland finden furchtbar, was in der Ukraine passiert, sind aber gegen Waffen­lie­fe­rungen. Viele kämpfen mit der Frage, ob Waffen helfen, und entscheiden sich für Vorsicht. Genau jetzt ist der Moment, die eigene Meinung intel­lek­tuell rigoros zu prüfen. Sprechen die eigenen Überzeu­gungen, wenn man sie auf die Situation heute anwendet, für oder gegen Waffen für die Ukraine?

Mir scheint, wer für Demokratie ist, frei leben möchte, und für Solida­rität ist (also dafür, dass Menschen sich helfen), wird – vielleicht schweren Herzens, vielleicht besorgt über die Folgen – zu dem Ergebnis kommen, dass Deutschland der Ukraine jetzt Waffen liefern muss. Aber gerade viele Menschen, die sich für eine lebendige Demokratie, für Minder­heiten, Schwä­chere, Gerech­tigkeit einsetzen, haben auch heute Zweifel, ob Waffen­lie­fe­rungen richtig sind.

Durch die Entwicklung der letzten Tage sind Alter­na­tiven, die manchen besser schienen, offen­sichtlich verschwunden.

  • Es gilt nicht mehr, was erfahrene Außen­po­li­tiker noch vor nicht langer Zeit meinten, dass ein festes, aber nicht provo­zie­rendes Auftreten gegenüber Russland eine bewaffnete Ausein­an­der­setzung verhindern kann. Seit gestern findet ein Überfall auf ein fried­liches Land statt. Trotz inten­sivster Bemühungen der europäi­schen Staats- und Regierungschefs.
  • Es gilt nicht mehr, dass, solange man spricht, die Kanonen nicht schießen, denn die Kanonen schießen inzwi­schen auch auf Häuser, in denen Zivilisten leben.
  • Es ist auch nicht so, dass Waffen „nur das Leiden verlängern“. Ukrai­nische Soldaten vertei­digen ihr Land. Viele Experten sagten noch vor kurzem, die russische Armee könne, wenn sie wolle, natürlich jederzeit innerhalb weniger Stunden Kiew einnehmen. Das hat sich als falsch erwiesen.

Und auch wenn Kiew erobert wird, wird nach allem, was man bisher gesehen hat, die Vertei­digung weiter­gehen. Irgendwann als Gueril­la­krieg. Die Ukrainer werden nicht aufgeben. Russland kann in der Ukraine auf Dauer nicht gewinnen. Die Frage ist nur, wie lange der Weg zu dieser Einsicht dauert.

Viele wichtige Parameter, die gegen Waffen­lie­fe­rungen sprechen, treffen heute nicht zu.

Die Wirklichkeit in der Ukraine ist von der Wirklichkeit unseres Lebens und unserer Gefühle in Deutschland oft immer noch weit entfernt: Uns Deutschen fällt es oft schwer, uns einen Zustand wirklich vorzu­stellen, in dem man einem Angriff ausge­liefert ist und sein Leben verliert, wenn man sich nicht mit den eigenen Händen wehrt. Zumindest gilt das für die Jüngeren. Denn das Deutschland, in dem wir heute leben, ist ein großes und reiches Land. Deutschland ist in der NATO und in der EU. In unserem Land sind ameri­ka­nische Soldaten statio­niert. Wir sind so sicher, wie nur irgendein Land in der Welt. Ob wir in einen Konflikt und Krieg eintreten, ist unsere Entscheidung. Bewaffnete Inter­vention gegen das Milosevic-Regime, Inter­vention in Afgha­nistan, Teilnahme am Krieg gegen Saddam Hussein? Eine Frage der Moral, der Überzeugung, der Kosten-Nutzen-Rechnung, eine Wahl.

Doch ein großer Teil der Ukrainer hat keine Wahl. Sie müssen kämpfen, oder verlieren die Möglichkeit, ihr Leben selbst­be­stimmt zu leben. Uns Deutschen ist auch nicht augen­scheinlich, in welchem Umfang ein ukrai­ni­scher Staats­bürger oder eine ukrai­nische Staats­bür­gerin, der oder die unter russische Oberherr­schaft kommt, das Lebens­werte in seinem oder ihrem Leben verliert. Viele, auch hochge­bildete Deutsche kennen Russland und die Ukraine beide als slawische Länder, reiche Kulturen, und mit Korruption behaftet. Aber der funda­mentale Unter­schied zwischen beiden ist für viele Deutsche oft schwer wirklich zu empfinden: Die Ukraine ist ein demokra­ti­sches Land mit vielen Problemen – aber mit Freiheit. Wie unbezahlbar bedeutend das ist, kann man schwer verstehen, wenn – wie zum Glück die meisten Deutschen – wirkliche Unfreiheit nicht kennt.

In Russland werden Menschen einge­sperrt oder in ihrer wirtschaft­lichen Existenz vernichtet, weil sie den Präsi­denten kriti­sieren, oder weil sie schwul sind, oder weil sie dagegen aufbe­gehren, wenn Staats­beamte sie erpressen oder ihnen ihre Firma oder ihren Arbeits­platz wegnehmen. Wer aufbe­gehrt, ist erledigt. Es ist aus. Keine Polizei, keine unabhän­gigen Gerichte, Zeitungen oder Fernseh­sta­tionen, an die man sich mit seinem gerechten Anliegen wenden kann.

Einfach vorbei.

Neben diesem funda­men­talen Unter­schied verblassen sprach­liche und kultu­relle Überlap­pungen zwischen Russland und der Ukraine. Wer frei leben, seine Meinung sagen oder offen einer Minderheit angehören will, der muss alles, wirklich alles tun, um nicht dem russi­schen Staat ausge­liefert zu sein. Das ist auch der Grund, warum die Ukrainer 2013/​14 auf den Maidan gegangen sind, nachdem der damalige ukrai­nische Präsident Januko­witsch sich Russland zuwandte. Die Demons­tranten wurden von Scharf­schützen beschossen. Sie blieben trotzdem. Die Ukrainer waren durch Januko­witschs Schritt vor die Alter­native gestellt worden, unter russi­scher Herrschaft oder Kampf. Sie wählten den Kampf, auch wenn er nicht sehr aussichts­reich schien. Die Alter­native war nicht lebenswert. Heute vertei­digen sich die Ukrainer gegen einen russi­schen Überfall und werden sich nicht mit einer russi­schen Herrschaft abfinden, weil diese Alter­native nicht lebenswert ist.

Wie man am Beispiel Afgha­ni­stans oder des Irak sieht, ist es nicht so, dass eine große Armee ein kleineres Land dauerhaft unter Kontrolle bringen kann. Man mag erstmal den Kopf über den Vergleich schütteln, aber die große Mehrheit der jüngeren und aktiven Ukrainer wird nicht akzep­tieren, in einer russi­schen Diktatur oder in einer Diktatur im russi­schen Stil zu leben. So wie Sie und ich es auch nicht akzep­tieren würden. Und wie auf dem Maidan werden viele in letzter Konse­quenz bereit sein, für ihre Freiheit zu sterben. Auch, wenn die ukrai­nische Armee in ihrer jetzigen Form den Krieg verloren haben sollte.

Wenn die Ukrainer von Deutschland keine Waffen bekommen, werden sie sich nicht in ihr Schicksal fügen.

Viele Ukrainer werden weiter kämpfen. Es wird nicht gelingen, 40 Millionen Menschen zu beherr­schen, wenn die große Mehrheit diese Herrschaft nicht will und ein signi­fi­kanter Teil bereit ist, sein Leben zu opfern.

Man mag meinen, realis­tisch gesagt verlängern Waffen­lie­fe­rungen nur das Leiden. Realismus funktio­niert anders­herum. Je mehr Verluste der Angreifer erleidet, desto eher wird er bereit zu einer Verhand­lungs­lösung sein. Den Ukrainern hilft jede Waffe. Deshalb scheint mir: Wer Pazifist in dem Sinne ist, dass er sich selbst nicht mit Gewalt gegen Gewalt wehren würde, der mag gegen Waffen­lie­fe­rungen sein. Das hat seine Logik und ist zu respek­tieren. Wer aber sich selbst gegen brutale Angriffe, wenn nötig, mit Gewalt vertei­digen (oder in Deutschland: die Polizei anrufen) würde, der wird es schwer finden, gegen Waffen­lie­fe­rungen gute Argumente zu finden. Wer die Weigerung mit der deutschen Geschichte begründet, dem sollte ehrli­cher­weise auch vor Augen stehen, dass die treffende Analogie aus der deutschen Geschichte der Überfall Deutsch­lands auf die Tsche­cho­slo­wakei und Polen ist.

Die deutsche Politik, keine Waffen in Krisen­ge­biete zu liefern,  bewegt sich oft in einer Grauzone und wird nicht strikt durch­ge­halten. Waffen­lie­fe­rungen sind ein Zeichen, dass man denen helfen will, die für ihre Freiheit zu kämpfen bereit sind. Waffen­lie­fe­rungen sind der Moment, in dem man dem Opfer des Überfalls hilft. Deshalb wäre jetzt der Moment für alle Freunde der Demokratie, Solida­rität und Gerech­tigkeit, ihre Haltung zu überdenken.

Morgen wird es nicht zu spät sein, denn nach allem, was wir bisher gesehen haben, werden die Ukrainer, solange weiter­kämpfen, bis sie ihre Besatzung abgeschüttelt haben. Aber heute hilft es viel mehr, als es morgen helfen wird – den Ukrainern, der Ukraine, Europa und der eigenen Glaubwürdigkeit.

Textende

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