Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine
Deutsche Waffenlieferungen – eine Frage der Solidarität und Überzeugung, Hilfe den Ukrainern, der Ukraine, Europa und der Deutsche Waffenlieferungen – eine Frage der Solidarität und Überzeugung, Hilfe den Ukrainern, der Ukraine, Europa und der eigenen Glaubwürdigkeit.
Dieser Text wurde vor der Entscheidung der Bundesregierung zu Waffenlieferungen an die Ukraine geschrieben.
Viele Menschen in Deutschland finden furchtbar, was in der Ukraine passiert, sind aber gegen Waffenlieferungen. Viele kämpfen mit der Frage, ob Waffen helfen, und entscheiden sich für Vorsicht. Genau jetzt ist der Moment, die eigene Meinung intellektuell rigoros zu prüfen. Sprechen die eigenen Überzeugungen, wenn man sie auf die Situation heute anwendet, für oder gegen Waffen für die Ukraine?
Mir scheint, wer für Demokratie ist, frei leben möchte, und für Solidarität ist (also dafür, dass Menschen sich helfen), wird – vielleicht schweren Herzens, vielleicht besorgt über die Folgen – zu dem Ergebnis kommen, dass Deutschland der Ukraine jetzt Waffen liefern muss. Aber gerade viele Menschen, die sich für eine lebendige Demokratie, für Minderheiten, Schwächere, Gerechtigkeit einsetzen, haben auch heute Zweifel, ob Waffenlieferungen richtig sind.
Durch die Entwicklung der letzten Tage sind Alternativen, die manchen besser schienen, offensichtlich verschwunden.
- Es gilt nicht mehr, was erfahrene Außenpolitiker noch vor nicht langer Zeit meinten, dass ein festes, aber nicht provozierendes Auftreten gegenüber Russland eine bewaffnete Auseinandersetzung verhindern kann. Seit gestern findet ein Überfall auf ein friedliches Land statt. Trotz intensivster Bemühungen der europäischen Staats- und Regierungschefs.
- Es gilt nicht mehr, dass, solange man spricht, die Kanonen nicht schießen, denn die Kanonen schießen inzwischen auch auf Häuser, in denen Zivilisten leben.
- Es ist auch nicht so, dass Waffen „nur das Leiden verlängern“. Ukrainische Soldaten verteidigen ihr Land. Viele Experten sagten noch vor kurzem, die russische Armee könne, wenn sie wolle, natürlich jederzeit innerhalb weniger Stunden Kiew einnehmen. Das hat sich als falsch erwiesen.
Und auch wenn Kiew erobert wird, wird nach allem, was man bisher gesehen hat, die Verteidigung weitergehen. Irgendwann als Guerillakrieg. Die Ukrainer werden nicht aufgeben. Russland kann in der Ukraine auf Dauer nicht gewinnen. Die Frage ist nur, wie lange der Weg zu dieser Einsicht dauert.
Viele wichtige Parameter, die gegen Waffenlieferungen sprechen, treffen heute nicht zu.
Die Wirklichkeit in der Ukraine ist von der Wirklichkeit unseres Lebens und unserer Gefühle in Deutschland oft immer noch weit entfernt: Uns Deutschen fällt es oft schwer, uns einen Zustand wirklich vorzustellen, in dem man einem Angriff ausgeliefert ist und sein Leben verliert, wenn man sich nicht mit den eigenen Händen wehrt. Zumindest gilt das für die Jüngeren. Denn das Deutschland, in dem wir heute leben, ist ein großes und reiches Land. Deutschland ist in der NATO und in der EU. In unserem Land sind amerikanische Soldaten stationiert. Wir sind so sicher, wie nur irgendein Land in der Welt. Ob wir in einen Konflikt und Krieg eintreten, ist unsere Entscheidung. Bewaffnete Intervention gegen das Milosevic-Regime, Intervention in Afghanistan, Teilnahme am Krieg gegen Saddam Hussein? Eine Frage der Moral, der Überzeugung, der Kosten-Nutzen-Rechnung, eine Wahl.
Doch ein großer Teil der Ukrainer hat keine Wahl. Sie müssen kämpfen, oder verlieren die Möglichkeit, ihr Leben selbstbestimmt zu leben. Uns Deutschen ist auch nicht augenscheinlich, in welchem Umfang ein ukrainischer Staatsbürger oder eine ukrainische Staatsbürgerin, der oder die unter russische Oberherrschaft kommt, das Lebenswerte in seinem oder ihrem Leben verliert. Viele, auch hochgebildete Deutsche kennen Russland und die Ukraine beide als slawische Länder, reiche Kulturen, und mit Korruption behaftet. Aber der fundamentale Unterschied zwischen beiden ist für viele Deutsche oft schwer wirklich zu empfinden: Die Ukraine ist ein demokratisches Land mit vielen Problemen – aber mit Freiheit. Wie unbezahlbar bedeutend das ist, kann man schwer verstehen, wenn – wie zum Glück die meisten Deutschen – wirkliche Unfreiheit nicht kennt.
In Russland werden Menschen eingesperrt oder in ihrer wirtschaftlichen Existenz vernichtet, weil sie den Präsidenten kritisieren, oder weil sie schwul sind, oder weil sie dagegen aufbegehren, wenn Staatsbeamte sie erpressen oder ihnen ihre Firma oder ihren Arbeitsplatz wegnehmen. Wer aufbegehrt, ist erledigt. Es ist aus. Keine Polizei, keine unabhängigen Gerichte, Zeitungen oder Fernsehstationen, an die man sich mit seinem gerechten Anliegen wenden kann.
Einfach vorbei.
Neben diesem fundamentalen Unterschied verblassen sprachliche und kulturelle Überlappungen zwischen Russland und der Ukraine. Wer frei leben, seine Meinung sagen oder offen einer Minderheit angehören will, der muss alles, wirklich alles tun, um nicht dem russischen Staat ausgeliefert zu sein. Das ist auch der Grund, warum die Ukrainer 2013/14 auf den Maidan gegangen sind, nachdem der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch sich Russland zuwandte. Die Demonstranten wurden von Scharfschützen beschossen. Sie blieben trotzdem. Die Ukrainer waren durch Janukowitschs Schritt vor die Alternative gestellt worden, unter russischer Herrschaft oder Kampf. Sie wählten den Kampf, auch wenn er nicht sehr aussichtsreich schien. Die Alternative war nicht lebenswert. Heute verteidigen sich die Ukrainer gegen einen russischen Überfall und werden sich nicht mit einer russischen Herrschaft abfinden, weil diese Alternative nicht lebenswert ist.
Wie man am Beispiel Afghanistans oder des Irak sieht, ist es nicht so, dass eine große Armee ein kleineres Land dauerhaft unter Kontrolle bringen kann. Man mag erstmal den Kopf über den Vergleich schütteln, aber die große Mehrheit der jüngeren und aktiven Ukrainer wird nicht akzeptieren, in einer russischen Diktatur oder in einer Diktatur im russischen Stil zu leben. So wie Sie und ich es auch nicht akzeptieren würden. Und wie auf dem Maidan werden viele in letzter Konsequenz bereit sein, für ihre Freiheit zu sterben. Auch, wenn die ukrainische Armee in ihrer jetzigen Form den Krieg verloren haben sollte.
Wenn die Ukrainer von Deutschland keine Waffen bekommen, werden sie sich nicht in ihr Schicksal fügen.
Viele Ukrainer werden weiter kämpfen. Es wird nicht gelingen, 40 Millionen Menschen zu beherrschen, wenn die große Mehrheit diese Herrschaft nicht will und ein signifikanter Teil bereit ist, sein Leben zu opfern.
Man mag meinen, realistisch gesagt verlängern Waffenlieferungen nur das Leiden. Realismus funktioniert andersherum. Je mehr Verluste der Angreifer erleidet, desto eher wird er bereit zu einer Verhandlungslösung sein. Den Ukrainern hilft jede Waffe. Deshalb scheint mir: Wer Pazifist in dem Sinne ist, dass er sich selbst nicht mit Gewalt gegen Gewalt wehren würde, der mag gegen Waffenlieferungen sein. Das hat seine Logik und ist zu respektieren. Wer aber sich selbst gegen brutale Angriffe, wenn nötig, mit Gewalt verteidigen (oder in Deutschland: die Polizei anrufen) würde, der wird es schwer finden, gegen Waffenlieferungen gute Argumente zu finden. Wer die Weigerung mit der deutschen Geschichte begründet, dem sollte ehrlicherweise auch vor Augen stehen, dass die treffende Analogie aus der deutschen Geschichte der Überfall Deutschlands auf die Tschechoslowakei und Polen ist.
Die deutsche Politik, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, bewegt sich oft in einer Grauzone und wird nicht strikt durchgehalten. Waffenlieferungen sind ein Zeichen, dass man denen helfen will, die für ihre Freiheit zu kämpfen bereit sind. Waffenlieferungen sind der Moment, in dem man dem Opfer des Überfalls hilft. Deshalb wäre jetzt der Moment für alle Freunde der Demokratie, Solidarität und Gerechtigkeit, ihre Haltung zu überdenken.
Morgen wird es nicht zu spät sein, denn nach allem, was wir bisher gesehen haben, werden die Ukrainer, solange weiterkämpfen, bis sie ihre Besatzung abgeschüttelt haben. Aber heute hilft es viel mehr, als es morgen helfen wird – den Ukrainern, der Ukraine, Europa und der eigenen Glaubwürdigkeit.
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