Indiens Position im Ukrai­ne­krieg – die fragwürdige Nähe zum Kreml

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Sergej Lawrow lobt Indien „keine einseitige Sicht­weise“ bezüglich des Kriegs in der Ukraine zu haben, und fügte hinzu: „Wir sind Freunde“. Entsteht nun ein neuer Block zwischen Russland, China und Indien?

13 Millionen Barrel Rohöl in knapp eineinhalb Monaten – so viel kaufte Indien von Russland seit Kriegs­beginn in der Ukraine laut der Nachrich­ten­agentur „Reuters“. Das entspricht fast der Menge des gesamten letzten Jahres. Denn russi­sches Öl ist dank der westlichen Sanktionen besonders preiswert zu haben. „Ich stelle die natio­nalen Inter­essen und die Energie­si­cherheit meines Landes an erste Stelle. Wieso sollte ich kein Öl kaufen?“, sagte die indische Finanz­mi­nis­terin Nirmala Sitha­raman dem Fernseh­sender „CNBC-TV18“.

Indien werde auch in Zukunft günstiges Öl aus Russland kaufen. Während der Westen schärfere Sanktionen gegen Russland disku­tiert, lädt die Regierung in Neu-Delhi den russi­schen Außen­mi­nister ein. Sergej Lawrow lobte die asiatische Großmacht nach einem Treffen am vergan­genen Wochenende dafür, „keine einseitige Sicht­weise“ bezüglich des Kriegs in der Ukraine zu haben.

Zuvor hatte Lawrow in China mit seinem Amtskol­legen Wang Yi den Ausbau einer „strate­gi­schen Partner­schaft“ in einer „schwie­rigen inter­na­tio­nalen Situation“ angekündigt. Anders als die USA, die EU, Japan und Australien enthält sich Indien bei der Verab­schiedung von UN-Resolu­tionen gegen Russland. Entsteht nun im Angesicht des Ukraine-Kriegs ein neuer Block zwischen Russland, China und Indien?

„Wir sind Freunde“, sagte Lawrow auf einer Presse­kon­ferenz über den indischen Premier Narendra Modi und Außen­mi­nister Subrah­manyam Jaishankar. Er bezog sich damit auch auf Indiens Positio­nierung im Ukraine-Krieg. Indien sehe die Ukraine-Krise in der „Gesamtheit der Fakten und nicht nur einseitig“, sagte Lawrow. Außerdem disku­tierten beide Seiten, wie das günstige Öl trotz Sanktionen bezahlt werden könne. Nämlich direkt in Rupie und Rubel, ohne das vom US-Dollar dominierte inter­na­tionale Bezahl­system SWIFT zu nutzen.

Bislang war die indisch-russische Freund­schaft vor allem eine militä­rische: 55 Prozent aller indischen Waffen­im­porte stammen aus Russland. Diese Abhän­gigkeit von Russland dürfte ein wichtiger Grund für Indiens Zurück­haltung in Bezug auf den Krieg in der Ukraine sein. Neu-Delhi hat zwar wiederholt ein Ende der Gewalt in der Ukraine gefordert, enthielt sich bei verschie­denen UN-Resolu­tionen gegen Russland jedoch der Stimme.

Aus Sicht des Westens verhält sich die Atommacht damit ähnlich wie China. Doch einen einheit­lichen Block werden China, Indien und Russland allein aufgrund des Grenz­kon­flikts zwischen China und Indien im Himalaja nicht bilden. Seit den Gefechten im Galwan-Tal im Jahr 2020 haben beide Seiten militä­risch in der Region aufge­rüstet. Auch dafür hat Indien Waffen aus Russland bezogen.

Viel mehr verbinde Indien und Russland jedoch nicht, meint Harsh V. Pant. Er ist Professor für inter­na­tionale Bezie­hungen am King’s College in London und an der Observer Research Foundation in Neu-Delhi. Die histo­rische Freund­schaft aus Zeiten des Kalten Kriegs „löse sich immer mehr auf“, sagt er. Auch sei Indien nicht von russi­scher Energie abhängig – trotz der jüngsten Großbe­stel­lungen. „Indien bezieht weniger als 2 Prozent seines Rohöls aus Russland“, erklärt Pant. Als „armes Land“ profi­tiere Indien derzeit einfach von den niedrigen Preisen für russi­sches Öl, erklärt Pant. „Mit diesen Käufen wird in keinem Fall die russische Wirtschaft unterhalten“.

Für Indien ist es ein Balan­ceakt: Einer­seits will das Land seine guten Bezie­hungen zu den USA nicht verspielen, anderer­seits will es Russland als wichtigen Waffen­lie­fe­ranten nicht verprellen. Gleich­zeitig bemüht sich Neu-Delhi um ein gutes Verhältnis zu Peking und betrachtet die Annäherung zwischen Russland und China mit großer Sorge, so Experte Pant. Von einem einheit­lichen China-Russland-Indien-Block könne deswegen nicht die Rede sein. „Das ist kaum vorstellbar, solange China seine Truppen im Himalaja nicht abzieht“.

In den USA und Europa trifft dies eher auf Unver­ständnis. Insbe­sondere Washington wünscht sich von der bevöl­ke­rungs­reichsten Demokratie der Welt eine klare Verur­teilung des Kriegs. Auch Deutschland bemüht sich um Indien: Der außen- und sicher­heits­po­li­tische Berater von Bundes­kanzler Scholz, Jens Plötner, reiste kürzlich nach Neu-Delhi. Er sähe Indien gerne „im selben Lager“. Sanktionen sollten nicht unter­graben werden, „um wirtschaft­lichen Vorteil aus dem Krieg zu ziehen“, sagte er der lokalen Presse.

Bisher hat sich Indien jedoch nicht umstimmen lassen. Indien und die USA sind zwar (gemeinsam mit Japan und Australien) Partner im sicher­heits- und militär­po­li­tisch ausge­rich­teten QUAD-Dialog, eine bedin­gungslose Unter­stützung für westliche Werte bedeutet dies aber nicht.

Doch je länger und blutiger der Ukraine-Krieg wird, desto unbequemer wird es für die südasia­tische Großmacht. Vor dem UN-Sicher­heitsrat verur­teilte nun auch Indien die Massen­morde in Butscha. Damit setzt sich Neu-Delhi klar von Peking ab, das keine Kritik an Russland übte. Die Wahrschein­lichkeit ist dennoch hoch, dass sich Indien bei der nächsten Abstimmung zur Ukraine wieder enthalten wird.

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