Wie der Westen Chinas Aufstieg bremsen könnte
China stellt seine Wirtschaftspolitik in den Dienst hegemonialer Ambitionen. Die Zukunft von Freiheit und Demokratie wird davon abhängen, dass der Westen mithält. Doch in Europa erkennt das bislang nur Emmanuel Macron.
Noch vor Jahren wurde China als die billige Werkbank der Welt belächelt. Mittlerweile ist der Hohn des Westens blankem Entsetzen gewichen. Wir erleben eine technologische Wachablösung. Aus der Werkbank wird ein Forschungszentrum. Und im Westen beginnt man, die historische Dimension zu erahnen. In den tausend Jahren zwischen 500 und 1500 n. Chr. war China in zahlreichen Bereichen – Schifffahrt, Landwirtschaft und Militär – überlegen. Erst mit der Aufklärung entwickelte der Westen seine innovative Kraft. Doch die Vorherrschaft neigt sich dem Ende zu. China kehrt auf die technologische Weltbühne zurück.
Europa muss in seiner Wirtschafts- und Digitalpolitik dringend geopolitische Interessen berücksichtigen.
Bei den öffentlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben befand sich Europa im Jahr 2014 noch auf Augenhöhe. Mittlerweile ist das Reich der Mitte an uns vorbeigezogen. Weltweit bringt es 20 Prozent der globalen Forschungsausgaben auf. In einer Schlüsseltechnologie wie der künstlichen Intelligenz werden Unsummen investiert, mehr als in den USA. Im Gegensatz zu Europa boomt auch der Markt für Risikokapital. Ein Drittel der globalen Einhörner (Startups mit einer Marktbewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar) kommen aus China.
China überspringt technologische Stadien
Ideen und Innovationen des Westens wurden durch Firmenübernahmen gekauft oder durch Wirtschaftsspionage raubkopiert. Chinas jährlichen ausländischen Direktinvestitionen haben sich seit 2006 fast verzehnfacht. In Firmen wie den Roboterhersteller Kuka, die Deutsche Bank und Daimler sind chinesische Investoren eingestiegen. Vor allem Baden-Württemberg – Heimat zahlreicher hidden champions und technologischer Weltmarktführer – ist betroffen. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung dokumentiert, dass ein Viertel aller chinesischen Firmenbeteiligungen in Deutschland zwischen 2014 und 2017, ins Ländle gingen.
China konzentriert sich auf die nächste Generation von Technologien. Ein Beispiel: Weil China weiß, dass es auf dem Markt für Verbrennungsmotoren mit deutschen Autoherstellern nicht mithalten kann, legt es den Schwerpunkt auf Elektromobilität und besetzt einen Zukunftsmarkt, den Europa bislang vernachlässigte. Leapfrogging heißt diese Strategie. China überspringt technologische Stadien und setzt sich in Zukunftstechnologien an die Spitze.
Technologische Abhängigkeiten
Bis 2035 will China zur wichtigsten Innovationsmacht der Welt werden. Die Made in China 2025-Strategie stellt die Weichen. Sie ist eine Kampfansage. In zehn Schlüsselbranchen – von Biomedizin und Robotik bis zur künstlichen Intelligenz und alternativen Antriebstechnologien – will China international führend sein. Aber es geht nicht nur darum, den Westen technologisch abzuhängen. China strebt nach technologische Autarkie: „Um zu einer Internet-Supermacht zu werden, brauchen wir unsere eigene Technologie. Und wir müssen sie komplett beherrschen“ – das ist die Devise von Staatschef Xi Jinping. Schon bis 2020 soll der Anteil heimischer Komponente in den wichtigsten Schlüsselbranchen bis zu 70 Prozent des nationalen Marktes ausmachen. Das ist technologischer Protektionismus. Soviel auch zu Xi Jinpings Freihandelsbekenntnis beim Davoser Weltwirtschaftsforum in 2017.
Zweitens soll die technologische Führungsrolle es China ermöglichen, neue Abhängigkeiten zu schaffen. Die neue Seidenstraße, Pekings ambitionierte Infrastrukturoffensive entlang der Route nach Europa, soll um eine digitale Komponente erweitert werden. China will auch die digitale Infrastruktur in anderen Ländern ausbauen und eine „Schicksalsgemeinschaft im Cyberspace“ schaffen, wie der chinesische Vize-Minister für Informationstechnologien sagt. China will Technologien und Standards im Ausland durchsetzen, um technologische Abhängigkeiten zu schaffen und den digitalen Raum der betroffenen Länder gegenüber anderen Mächten abzuriegeln. In zahlreichen afrikanischen Staaten bietet China capacity building beim cyber governance an. Und zwar nach Chinas autoritären Vorstellungen: Tansania verabschiedete ähnliche Cybergesetze und Internetkontrollen, wie sie in China gelten. Auch bringt sich China in den internationalen Normungsgremien ein. Es hat sich für das Sekretariat des neuen Normungsausschusses zu KI bei der Internationalen Organisation für Normung (ISO) beworben. 20 chinesische Standards zu Robotik und KI sind zur selben Zeit von der ISO übernommen worden. Peking spielt digitales Wei Qi, wie das populäre Umzingelungsbrettspiel heißt, bei dem es darauf ankommt, leere Räume einzukreisen und zu besetzen.
Handelskrieg als Antwort
Trumps Handelskrieg ist auch eine Antwort auf die technologische Kräfteverschiebung. Die US-Regierung verhängt Strafzölle auf chinesische Hoch- und Industrietechnologien und verweigert jungen Chinesen, die an amerikanischen Universitäten, in technologisch-relevanten Bereichen wie Robotik und Künstliche Intelligenz tätig sind, die Einreise. Chinesische Investitionen will die Regierung einhegen. Auch stimmte der US-Senat kürzlich dafür, den Export von US-High-Tech-Gütern an den chinesischen Telekommunikationsriesen ZTE verbieten, was den chinesischen Technologiekonzern in die Pleite treiben könnte.
Was macht Europa? Jahrelang beschränkte man sich, auf freien Marktzugang in China zu pochen. Absurderweise ignorierte man, dass der nur im Gegenzug für die Preisgabe exklusiven technologischen Wissen zu haben war. Man nahm das Risiko in Kauf, für die kurzfristigen kommerziellen Chancen des gewaltigen chinesischen Marktes mittelfristig von chinesischen Unternehmen mit denselben Technologien auf dem Weltmarkt verdrängt zu werden.
Der Fehler Europas war bislang, dass es Wirtschaftspolitik rein kommerziell verstand und nicht – wie China – als economic statecraft. Zu lange hat man verkannt, dass auf die wirtschaftliche Spitzenrolle Chinas seine politische Hegemonie folgen wird.
Inzwischen empfinden laut einer FAZ-Umfrage zwei Drittel der befragten Führungskräfte in Deutschland die zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit von China als beunruhigend. Auch die EU will nun chinesische Investitionen genauer kontrollieren und die EU-Regeln für Investitionskontrollen stärken. Die EU-Kommission hat auch ein Verfahren gegen China vor der WTO eingereicht, weil ihrer Auffassung nach die chinesische Gesetzgebung ausländische Unternehmen zum Technologietransfer zwingt.
Wacht die EU auf?
Das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Peking kritisiert diese Maßnahmen als „protektionistische Tendenzen“. Tatsächlich handelt es sich um eine Abkehr von wirtschaftspolitischer Naivität. China ist noch nicht allmächtig und immer noch technologisch abhängig – das Land der Mitte importiert mittlerweile mehr Halbleiter als Öl.
Damit Europa nicht ins Hintertreffen gerät, reicht es aber nicht, nur chinesische Investitionen strategisch zu prüfen und eine WTO-Klage einzureichen. Europa muss selbst technologisch voranschreiten. Die Startup- und Technologiepolitik der französischen Regierung zeigt, dass zumindest Präsident Macron Lehren gezogen hat. Mit der „Station F“ in Paris hat er das weltweit größte Zentrum für Startups geschaffen. Er wirbt für ein europäisches Zentrum für disruptive Innovation und trifft sich regelmäßig mit den CEOs der Technologie-Welt. Macron versteht: der Fortbestand von Freiheit und Demokratie hängt von der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des Westens ab.
Europa muss in seiner Wirtschafts- und Digitalpolitik dringend geopolitische Interessen berücksichtigen. Es geht darum die globale digitale Ordnung zu prägen, ohne eine Eskalation zu suchen. Europa muss in Zukunftstechnologien investieren, bei der internationalen Normung vorangehen und auch andere Staaten beim Aufbau der digitalen Infrastruktur unterstützen. Es könnte ja, wie Kommissionspräsident Juncker für den Balkan vorschlägt, ebenfalls massiv in den Ausbau der digitalen Infrastruktur in Afrika investieren. Den technologischen Aufstieg Chinas kann man nicht verhindern, aber die technologische Expansion Chinas in andere Staaten muss man nicht einfach hinnehmen.
Der Text gibt Roderick Kefferpütz‘ persönliche Meinung wieder.
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