Emmanuel Macron: Läuft der Präsident den Franzosen davon?

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Pragma­tismus, Effizienz und die Lösung von Blockaden sind Frank­reichs neue Leitwerte. Doch auf Dauer wird das nicht genügen, meint Albrecht Sonntag. Ein dem Management entlehnter Regie­rungsstil ergibt noch keine sinnstif­tende politische Doktrin. Über die Erfolge des „Macro­nismus“ – und seiner Schwachstelle.

Am 18. Juni 2017 wurde jeder der sieben Wahlkreise des westfran­zö­si­schen Dépar­te­ments Maine-et-Loire, in dem der Autor dieser Zeilen seine Stimme abgab, vom Kandi­daten der Bewegung En Marche ! gewonnen, deren Name nur vierzehn Monate zuvor, im April 2016, öffentlich vorge­stellt worden war. Unter den neuge­wählten Abgeord­neten war lediglich einer mit Politik-Erfahrung: ein ehema­liger Grüner, der Macron von Beginn an unter­stützt hatte und sich in der Stadt Angers (knapp 200 000 Einwohner) durch­setzte. Alle anderen Abgeord­neten stammten aus der Zivil­ge­sell­schaft: zum Beispiel eine frisch pensio­nierte Kranken­schwester, eine 35-jährige Infan­terie-Offizierin, ein 36-jähriger Ingenieur und Geschäfts­führer eines mittel­stän­di­schen Unter­nehmens. Alle behaup­teten sie, keine politische Karriere zu planen, sondern von der Idee beseelt zu sein, den neu gewählten Präsi­denten bei der „Umwandlung“ der franzö­si­schen Gesell­schaft zu unterstützen.

Eine öffentlich ausge­tragene inner­par­tei­liche Debatte ist von den Gründern der République en marche nicht vorge­sehen. Im Gegenteil: die nach briti­schem Vorbild einge­setzten „whips“ sind sympto­ma­tisch für das vertikale Parteimanagement. 

Dass die mittler­weile als La République en marche geführte Regie­rungs­partei im März 2016 ursprünglich unter dem Namen „Verei­nigung für die Erneuerung des politi­schen Lebens“ einge­tragen wurde, erscheint unter diesen Umständen prophe­tisch. Denn die Erneuerung des politi­schen Personals, sowohl auf den Regie­rungs­bänken als auch in den ehrwür­digen Rängen der Assemblée Nationale im Palais Bourbon, vollzog sich mit atembe­rau­bender Geschwindigkeit.

Ein Sonderfall: Eupho­rische Befür­worter der Globalisierung

Zunächst war „En Marche !“ nur als Webdomain gedacht: eine Anspielung auf den Ruck, der nach Jahren des Still­stands durch das Land gehen sollte und auf die Initialen des Gründers – Emmanuel Macron. Wegen ihres rasanten Aufstiegs und der vom Wahlsystem begüns­tigten massiven Mehrheit, die eine von allen Koali­ti­ons­zwängen befreite Umsetzung des Partei­pro­gramms erlaubt, ist La République en marche ein Sonderfall unter den Bewegungs­par­teien Europas. En Marche ! unter­scheidet sich auch dadurch von anderen Bewegungen, dass sie nicht eine trotzig-nostal­gische Wieder­be­lebung völki­scher oder sozia­lis­ti­scher Ideale verspricht, sondern, im Gegenteil, die Globa­li­sierung und die europäische Integration eupho­risch befürwortet. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Albrecht Sonntag ist Professor für Europa­studien an der ESSCA Ecole de Management in Angers, Frankreich.

Schon vor den Wahlen 2017 stach die Profes­sio­na­lität ins Auge, mit der En marche ! insze­niert und positio­niert wurde. Die im Frühjahr 2016 von 4000 Freiwil­ligen – den sogenannten „Marschie­renden“ – durch­ge­führte Meinungs­um­frage durch landes­weites Klinken­putzen verhalf der Partei zu genauem Wissen über die Erwar­tungen der Mittel­schicht, die vom tradi­tio­nellen Politik­be­trieb mehrheitlich frustriert war. Die Intuition von Macron, die Bewegung quer zum Rechts-Links-Schema als liberale Antwort auf den Natio­na­lismus zu positio­nieren, wurde durch belastbare Daten bestätigt.

Wohin führt der Marsch?

Dennoch stellen sich nach einem Jahr in der Regierung gemischte Gefühle ein. Nicht, dass La République en marche wortbrüchig wäre: das massive Reform-Programm und seine rasend schnelle Umsetzung waren deutlich angekündigt worden. Macrons Partei ist ständig „in Bewegung“. Vielen Bürgern gefällt das. Allein wüssten sie gerne, wohin En Marche ! sie führt. Pragma­tismus, Effizienz und die Lösung von Blockaden sind die neuen Leitwerte. Doch auf Dauer wird das nicht genügen: ein dem Management entlehnter Regie­rungsstil ergibt noch keine sinnstif­tende politische Doktrin. Viele Bürger, die von den festge­fah­renen Antago­nismen zwischen links und rechts genug hatten, sind jetzt doch desori­en­tiert, nachdem Macron die weltan­schau­lichen Wegpfosten abmon­tiert hat.

Der Präsident und seine République en marche werden um eine deutlicher kontu­rierte Definition des „Macro­nismus“ nicht herum­kommen. Einer aus Protest oder Frustration entstan­denen Sammel­be­wegung mag der diffuse Wunsch nach Verän­derung genügen, um zu mobili­sieren. Eine Regie­rungs­partei, die fünf Jahre lang nahezu freie Hand hat, wird andere Quellen der Legiti­mität benötigen, vor allem, wenn sie wieder­ge­wählt werden will.

Insofern marschieren Regierung und Parla­ments­mehrheit auf Kredit. Beide stehen unter immensem Druck, ihren Legiti­ma­tions-Vorschuss durch den angekün­digten wirtschaft­lichen Aufschwung zu recht­fer­tigen. Dabei wird die Regierung Macron die in Frank­reich besonders hohe Empfind­lichkeit gegenüber sozialer Ungleichheit berück­sich­tigen müssen – volks­wirt­schaft­liche Stärke allein wird zur Wiederwahl nicht genügen.

Verti­kales Parteimanagement

Dass Wachstum und Rückgang der Arbeits­lo­sigkeit ausbleiben, ist aller­dings nicht die einzige Gefahr für En Marche. Auch die Zentri­fu­gal­kräfte innerhalb der Partei könnten schnell zum Problem werden. Schon beschweren sich Überläufer aus dem Lager der Sozial­de­mo­kraten wegen der vermeint­lichen Rechts­las­tigkeit der Reformen. Eine öffentlich ausge­tragene inner­par­tei­liche Debatte ist von den Gründern der République en marche aller­dings nicht vorge­sehen. Im Gegenteil: die nach briti­schem Vorbild einge­setzten „whips“ sind sympto­ma­tisch für das vertikale Partei­ma­nagement unter der Leitung von Richard Ferrand und Chris­tophe Castaner, die zugleich erfahrene Politik­profis und „marcheurs“ der ersten Stunde sind. Auslän­dische Beobachter kriti­sieren die Abgeord­neten von République en marche häufig als parla­men­ta­ri­schen Erfül­lungs­ge­hilfen des Präsi­denten. Doch so ist die Fünfte Republik nun einmal konzi­piert; auch andere Präsi­denten regierten über das Parlament hinweg.

Bei den in den kommenden Jahren anste­henden Wahlen in den Dépar­te­ments, den Regionen und den Kommunen werden die seit langem vor Ort veran­kerten Konkur­renten gegenüber den „Macro­nisten“ im Vorteil sein. Auch finden diese Wahlen in Frank­reich landesweit am selben Tag statt, was die Franzosen regel­mäßig dazu verleitet, sie als „Denkzettel“ für die Regierung zu gebrauchen. Welche Dynamik sich aus einer möglichen Niederlage bei den Regional- und Kommu­nal­wahlen ergibt, ist noch nicht abzusehen. Gut möglich, dass der „Marsch“ ins Stocken gerät. Anderer­seits wäre es nicht das erste Gesetz der franzö­si­schen Politik, das Emmanuel Macron und En Marche ! außer Kraft setzen.

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