Europawahl: Hat die AfD ein europapolitisches Programm?
Die AfD wird meist als „europafeindlich“ bezeichnet. In der Auseinandersetzung mit den Rechtspopulisten sollte man es sich allerdings nicht zu einfach machen. Das europapolitische Programm der Partei schlägt völkisch-identitäre Töne an. Aber es knüpft an frühere Formen der Zusammenarbeit in Europa an.
Das Entstehen der AfD und ihre Erfolge bei Wahlen sind untrennbar mit ihrer Haltung zum Euro und zur EU verbunden. Beides gehört gewissermaßen zur DNA der Partei. Schon im Bundestagswahlkampf 2013 war ihre Ablehnung der Euro-Rettungspolitik der EU ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sie punktete. In der Berichterstattung wurde die AfD deshalb damals als „euroskeptische“ oder als die „Anti-Euro-Partei“ bezeichnet. Ihre fundamentale Kritik an der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion blieb bis zur Europawahl 2014 der programmatische Kern der AfD und gehört bis heute zum einem der wichtigsten Elemente ihrer Überzeugungen. Allerdings bedeutet diese Einstellung nicht zwingend, dass die AfD, wie manchmal behauptet wird, auch eine „europafeindliche“ Partei ist.
Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass die EU und Europa weder geografisch noch politisch deckungsgleich sind, verbietet sich ein derartiger Kurzschluss. Er verschleiert auch, dass die AfD durchaus europapolitische Vorstellungen hat, die sich nicht in einer Ablehnung der EU erschöpfen. Auch im europäischen Maßstab variieren europapolitische Positionen von rechtskonservativen und rechtspopulistischen Parteien zwischen einer euro-skeptischen, euro-ablehnenden, EU-kritischen und EU-feindlichen Haltung. Nicht jede euroskeptische Partei ist zwangsläufig auch EU-feindlich. Des Weiteren unterscheidet man in der wissenschaftlichen Diskussion zwischen einem „nationalistischen“ und einem „nicht-nationalistischen“ Euroskeptizismus. Von beiden Typen gibt es Untertypen – etwa eine regional-autonomistische Form des Euroskeptizismus, wie sie ansatzweise von der CSU vertreten wird oder eine national-fiskalische, wie sie anfangs vor allem von der AfD formuliert wurde. Davon ist wiederum eine völkisch-identitäre Form zu unterscheiden, wie sie programmatisch in Deutschland zunächst nur von der NPD vertreten wurde.
Es stellt sich nun die Frage, ob sich der national-fiskalische Euroskeptizismus aus den Anfängen der AfD im weiteren Verlauf ihrer programmatischen Radikalisierung zu einer völkisch-identitären EU-Feindlichkeit entwickelt hat. Da die AfD ihr Wahlprogramm zur Europawahl im kommenden Jahr erst im Januar 2019 verabschieden will, kann diese Frage bisher nur auf Basis des letzten Europawahlprogramms, des im Mai 2016 verabschiedeten Grundsatzprogramms und aktueller, in der AfD kursierender Positionsbestimmungen zu Europa und der EU beantwortet werden.
Die EU als ein fremdes Außen
In allen vorliegenden Dokumenten steht nach wie vor der Euroskeptizismus im Zentrum der Kritik an der EU. Während jedoch in den Anfängen vor allem der Ausschluss kriselnder Südländer aus dem Euro-Raum gefordert wurde, soll nun die Bundesrepublik die Transferunion aufkündigen und den Euroraum verlassen. Der Euro wird als „Fehlkonstruktion“ kritisiert, der automatisch in eine Schuldenunion führe. Wenn sich der Bundestag dazu nicht mehrheitlich entscheide, soll eine Volksabstimmung über den Verbleib im Euroraum abgehalten werden.
Inzwischen geht es der AfD aber längst nicht mehr nur um die Kritik am Euro und den Verbleib in der Eurozone, sondern um die Mitgliedschaft Deutschlands in der EU. Im Grundsatzprogramm heißt es dazu: „Wir sind (...) dagegen, die Europäische Union in einen zentralistischen Bundesstaat umzuwandeln. Sollten sich unsere grundlegenden Reformansätze im bestehenden System der EU nicht verwirklichen lassen, streben wir einen Austritt Deutschlands bzw. eine demokratische Auflösung der Europäischen Union (...) an“.
Sowohl in der Begründung für den Austritt aus dem Euro-Raum als auch aus der EU wird ein Muster deutlich, dass sich durch die gesamte Haltung der AfD zieht: Die EU ist ein fremdes Außen, dass die Souveränität der Nationalstaaten in unverantwortlicher Weise einschränkt. Schon der erste Satz im Grundsatzprogramm lässt an dieser Position keinen Zweifel aufkommen, wenn es heißt: „Wir stehen für die Freiheit der europäischen Nationen von fremder Bevormundung. Rechtsstaatliche Strukturen, wirtschaftlicher Wohlstand und ein stabiles, leistungsgerechtes Sozialsystem gehören in die nationale Verantwortung. (...) Wir lehnen die ‚Vereinigten Staaten von Europa‘ ebenso ab wie eine EU als Bundesstaat, aus der kein Austritt mehr möglich ist.“ Erneuert und präzisiert wird diese Einstellung zur EU im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017: „Mit den Verträgen von Schengen, Maastricht und Lissabon wurde rechtswidrig in die unantastbare Volkssouveränität eingegriffen. Ein Staat, der das Grenzregime und damit die Hoheit über sein Staatsgebiet aufgibt, löst sich auf. Er verliert seine Eigenstaatlichkeit“.
„Unverzichtbare Identifikationsräume“
Betrachtet man die Entwicklung der europapolitischen Programmatik der AfD, lässt sich sowohl in Bezug auf Haltung als auch auf Wortwahl der AfD ein Übergang von einer euroskeptischen Position zu einer EU-feindlichen Position feststellen, die zunehmend völkisch-identitäre Züge annimmt. So werden im Grundsatzprogramm „unverzichtbare Identifikationsräume“ beschworen, die in Jahrhunderten geschichtlicher Entwicklung „aus Kulturen, Sprachen und nationalen Identitäten“ entstanden seien.
Dass die AfD die EU als „völkerrechtswidriges“ Subjekt und „Träger eines antieuropäischen Geistes“ ablehnt, bedeutet jedoch nicht, dass sie prinzipiell gegen Formen der Kooperation und Gemeinschaft der Völker Europas ist. Von den Sprechern der AfD-Landtagsfraktionen wird vielmehr in einer vor kurzem verabschiedeten gemeinsamen Erklärung betont, dass „Europa in keiner Weise identisch ist mit der heutigen Europäischen Union“. Zwar habe die AfD seit ihrer Gründung im Jahr 2013 wegen der stetig zunehmenden Zentralisierung bewusst „EU-skeptische und Euro-kritische“ Positionen vertreten, jedoch impliziere dies mitnichten eine „kategorische Ablehnung Europas“. An die Stelle der EU solle vielmehr ein „Europa der Vaterländer“ treten, in dem „alle Nationen das Recht haben, sich in souveränen Staaten zu organisieren“. Als solche könnten sie völkerrechtlich überstaatliche Verbindungen eingehen und „gemeinsame Interessen als Staatengemeinschaft wahrnehmen“. Schließlich sei es in einer „globalisierten Welt von äußerster Bedeutung, mit gemeinsamer Stimme zu sprechen – und dies auch zu bewahren!“ Als Vorbild schwebt der AfD die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vor, wie sie vor den Verträgen von Maastricht und Lissabon bestand. „Die Europapolitik der AfD“, so heißt es in der Erklärung, „orientiert sich daher bewusst an der konstruktiven Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten in EWG und EG, die in den 90er Jahren per Federstrich endete“. Und im Grundsatzprogramm bekräftigt die AfD, dass ihr Ziel ein souveränes Deutschland sei, „dass die Freiheit und Sicherheit seiner Bürger garantiert, ihren Wohlstand fördert und seinen Beitrag zu einem friedlichen und prosperierenden Europa leistet“.
Man sollte es sich also in der Auseinandersetzung mit der AfD nicht zu einfach machen. Einerseits hat sie sowohl ihre Programmatik als auch ihre Haltung zur EU radikalisiert und schlägt in ihrer prinzipiellen Ablehnung eines integrierten europäischen Staatenbundes völkisch-identitäre Töne an. Andererseits ist sie keinesfalls prinzipiell als „europafeindliche“ Partei zu skizzieren. Ihre Vorstellungen von einer Kooperation „europäischer Nationalstaaten“ knüpft an frühere Formen der Zusammenarbeit in Europa an und betont das Prinzip der Subsidiarität und des Föderalismus. Damit sind die europapolitischen Vorstellungen der AfD anschlussfähig an Positionen, wie sie auch von rechtskonservativen oder sogar linken Parteien in Europa vertreten werden, aber auch an weiterhin bestehende nationalstaatliche Orientierungen in der Bevölkerung. Interessant ist auch, dass sich in der Programmatik der AfD zwar ein Bekenntnis zur NATO findet, aber eine Europäischen Verteidigungsgemeinschaft strikt als „Irrweg“ und „rücksichtslose EU-Zentralisierungspolitik“ abgelehnt wird. Die Nähe zu Wladimir Putins Russland dürfte einer der Gründe dafür sein.
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