KI made in Germany? Fehlanzeige!
Eine Erfindung, so bahnbrechend wie die Elektrizität: Künstliche Intelligenz (KI) wird unsere Volkswirtschaften umkrempeln. Doch Deutschland droht auf dem Sprung ins KI-Zeitalter den Anschluss zu verlieren.
Technologie prägt die globale wirtschaftliche Hackordnung. Sie entscheidet über Wirtschaftskraft, Wertschöpfung und Wohlstand. Die Prosperität Deutschlands ruht auf seinen technologischen Durchbrüchen. Ob Automobil, Maschinen, Elektrotechnik oder Chemie – deutsche Erfindungen haben die Welt geprägt. Aber dieser technologische Vorsprung gilt nicht mehr; eine weltverändernde Basistechnologie ist auf dem Vormarsch und schreibt ein neues Kapitel der Technologiegeschichte. Mit ihr betreten wir eine neue Welt. Computer lernen zu lernen: Alles, was künstlich ist, wird intelligent.
Mit Künstlicher Intelligenz (KI) lassen sich Datenanalysen verbessern, Abläufe automatisieren und optimieren, Muster finden und daraus Vorhersagen treffen. Sie ist Grundlage für das autonome Fahren, neue gesundheitliche Diagnosemöglichkeiten und die Robotik. KI verändert die Art zu leben, zu arbeiten und zu wirtschaften. Für den Google-CEO Sundar Pichai ist die Erfindung der Künstlichen Intelligenz sogar tiefgreifender als die Erfindung der Elektrizität oder des Feuers. Diese Basistechnologie wird ganze Branchen umkrempeln, neue Geschäftsmodelle schaffen und eine neue Wirtschaftsdynamik auslösen. Laut den Wirtschaftsprüfern von PricewaterhouseCoopers kann KI das deutsche Bruttoinlandsprodukt bis 2030 um 430 Milliarden Euro steigern. Die Frage ist: Wer macht zuerst den Sprung ins KI-Zeitalter – und mit KI das große Geschäft?
Was Öl für Saudi-Arabien ist, sind Daten für China
Deutschland und der alte Kontinent Europa drohen den Anschluss zu verlieren. Es könnte das erste Mal in der modernen Technologiegeschichte sein, dass eine industrielle Revolution außerhalb Europas stattfindet. Denn die gegenwärtige KI-Weltordnung ist von Bipolarität geprägt: die USA und China dominieren. Sie liefern sich einen Wettkampf um die KI-Vorherrschaft. 2017 gingen 50 Prozent der weltweiten KI-Investitionen nach China und rund 40 Prozent in die USA. Europa rangiert unter ferner liefen. Laut der Denkfabrik Merics hat China 2018 sogar zweieinhalb Mal so viele Patente im Bereich KI angemeldet wie die USA.
China ist stolz auf diesen technologischen Fortschritt. Zum ersten Mal seit langer Zeit ist das Land wieder Technologieführer und kann bei einer industriellen Revolution mitmischen. Bei KI hat China gute Voraussetzungen. Es ist das Saudi-Arabien der Daten, hat keine Schuldenbremse, investiert Milliarden in den Bereich, bildet jedes Jahr zahlreiche KI-Forscher aus und hat eine junge, hungrige Unternehmerschicht.
Deutschland wird allem Anschein nach als analoge, verlängerte Werkbank betrachtet. Chinesische Parteikader haben mir – leicht schmunzelnd – gesagt, dass sich Deutschland und China wirtschaftlich gut ergänzen: Deutschland habe die Industrieprodukte, China die Technologie. Deutschland kümmere sich um das Künstliche, China um die Intelligenz. Wenn uns dieses Szenario als zukünftiger Zulieferer erspart bleiben soll, müssen wir Gas geben, um auf Augenhöhe mitspielen zu können.
China lacht über unsere KI-Strategie
Dabei sollten die Chancen eigentlich nicht schlecht stehen. Schließlich ist Europa die Wiege zahlreicher technologischer Grundlagen der KI. Das automatische Rechnen, die Mustererkennung, der Transistor, all das ist auf dem Kontinent erfunden worden. Am autonomen Fahren wurde in Deutschland schon in den Achtzigerjahren getüftelt. Woran es fehlt, ist die Umsetzung. Wir haben die Erfindungsphase der KI hinter uns gelassen und befinden uns nun in einer Umsetzungsphase, mahnt Kai-Fu Lee, der frühere Präsident von Google China, in seinem jüngsten Buch „AI Superpowers: China, Silicon Valley, and the New World Order“. Das ist kein Marathonlauf, sondern ein Sprint. Wer als erster mit KI neue Geschäfte erschließt, wird die Nase vorn haben.
Aber genau in diesem Bereich tut sich Deutschland traditionell schwer. Es ist beängstigend, wie wenig die deutsche Wirtschaft anscheinend auf KI setzt. Laut einer aktuellen Umfrage des Digitalverbands Bitkom ist nur jedes vierte deutsche Unternehmen an KI interessiert, 50 Prozent glauben nicht, dass KI disruptive Veränderungen mit sich bringen wird. Eine beauftragte Studie der Bundesregierung kommt sogar zu dem Schluss, dass nur fünf Prozent der Industriebetriebe in Deutschland KI einsetzen.
Nach langem Zögern hat die Bundesrepublik die Notwendigkeit des Handelns erkannt. Es wurde eine KI-Strategie, „KI made in Germany“, veröffentlicht und Kanzlerin Angela Merkel mahnte, man wolle im Wettbewerb bestehen und vorne mit dabei sein. Bis 2025 will die Bundesregierung drei Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Angesichts dieser Kampfansage wird den chinesischen Parteistrategen in Zhongnanhai, der Zentrale der Kommunistischen Partei, die Teetasse aus der Hand gefallen sein. Nicht vor Schreck natürlich, sondern vor Lachen. Die chinesische Hafenstadt Tianjin allein plant einen KI-Fond von rund 13 Milliarden Euro zu gründen. Und bisher hat Finanzminister Olaf Scholz sowieso nur 500 Millionen Euro in seinem Finanzplan vorgesehen. Wir zählen in Reiskörnern, die Chinesen in Reissäcken.
Wenn wir Standards setzen wollen, müssen wir KI können
Mithalten kann man nur im europäischen Verbund. Aber auch hier geht die Bundesregierung nicht voran. Das groß angekündigte deutsch-französische KI-Zentrum ist zu einem virtuellen Netzwerk mit einem Budget von 500 Tausend Euro degradiert worden.
Zahlreiche Baustellen werden in der KI-Strategie nicht behandelt. Die Hardware ist komplett unterbeleuchtet. KI ohne leistungsstarke Chips ist wie rechnen ohne Rechner – man kommt nicht weit. Diese Erkenntnis macht gerade Huawei. Nachdem US-Präsident Donald Trump den Smartphone-Hersteller auf eine schwarze Liste von Unternehmen gesetzt hat, haben zahlreiche Halbleiterfirmen ihre Lieferungen eingestellt. Das berührt den Kern Chinas digitaler Wirtschaft. Denn Halbleiter sind für China ein wichtigeres Importgut als Erdöl. Deutschlands KI-Strategie redet von „Technologiesouveränität“ und hebt zu Recht die Bedeutung der Hardware hervor, macht diesbezüglich allerdings nicht einen einzigen Maßnahmenvorschlag.
Auch im Kampf der Talente droht Deutschland ins Hintertreffen zu geraten. Die Stellenanzeigen für KI-Experten, zeigt der Job-Monitor des Handelsblatts, verdoppeln sich jedes Jahr. Die Großkonzerne der Welt suchen händeringend nach KI-Talenten. Die amerikanischen Tech-Konzerne bieten Traumgehälter, um die besten Forscher anzulocken. Deutschland hat keine Strategie, wie es in diesem Feld bestehen, den brain drain bremsen und neue KI-Talente anwerben kann. Das kanadische Vector-Institute, ein globaler KI-Hotspot in Toronto, allein hat eine Abteilung mit etwa 25 Personen, die sich nur um die weltweite Akquise talentierter KI-Köpfe kümmert. Auch KI-Experten ohne Doktortitel wird der rote Teppich ausgerollt.
Um im KI-Wettlauf zu bestehen, braucht es Daten, Hardware, Talente und Finanzierung. Aber in keinem dieser Bereiche kommen wir angemessen voran. Wir müssen bei der KI international konkurrieren können. Gleichzeitig darf der Wettbewerb nicht aus dem Ruder laufen und zu einer race to the bottom verkommen. Ethische Fragen sollten nicht auf dem Altar der Wettbewerbsfähigkeit geopfert werden. Davor warnte Alibaba-Gründer Jack Ma auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2019, denn technologische Innovation sei auch ein Faktor für globale Konflikte. „Der erste Weltkrieg hat seinen Ausgang nach der ersten technologischen Revolution genommen. Die zweite Technologierevolution war die Grundlage für den zweiten Weltkrieg,“ so Ma. Die technologische Auseinandersetzung erinnert schnell an Liu Cixins dystopische Drei-Sonnen-Trilogie. Dort müssen sich Zivilisationen ständig technologisch weiterentwickeln, um zu überleben und nicht von höherstehenden Wesen ausgelöscht zu werden. Deswegen sollte auch eine internationale KI-Kooperationsstrategie verfolgt werden. Aber auch da bewegt sich bei der Bundesregierung wenig.
KI berührt nicht nur die Zukunft unserer Wirtschaft, sondern auch die Zukunft unserer gesellschaftlichen Ordnung und die Frage, wer das Technologiezeitalter ordnungsrechtlich prägt. Wenn wir ethische Leitlinien und internationale Standards für KI setzen wollen, wenn wir den internationalen Wettbewerb in fruchtbare Bahnen lenken und den Mensch in den Mittelpunkt stellen wollen, dann müssen wir auch diese Technologie beherrschen. Und zwar so gut, dass die anderen KI-Mächte uns mitspielen lassen.
Der Text gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.
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