Georgien: Nächste Schritte auf dem Weg
in die Euro­päi­sche Union

Foto: Tamar Korakhashvili

Am 4. Mai 2023 disku­tierten Marie­luise Beck und Rebecca Harms im Schrift­steller-Haus in Tiflis mit den Mitglie­dern des EU-Ausschusses des Deutschen Bundes­tages und Vertre­te­rinnen und Vertre­tern der geor­gi­schen Regie­rungs­partei, Oppo­si­tion und Zivil­ge­sell­schaft zu Beitritts­per­spek­tiven und Stand der Reformen in Georgien.

Die Podi­ums­dis­kus­sion „Georgien: Nächste Schritte auf dem Weg in die Euro­päi­sche Union“ fand im Rahmen des vom Auswär­tigen Amt geför­derten Projekts „Östliche Part­ner­schaft Plus“ statt und wurde vom Zentrum Liberale Moderne in Koope­ra­tion mit der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit organisiert.

Eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Georgiens sieht die Zukunft des Landes seit langem in der Euro­päi­schen Union. Trotz wech­selnder Regie­rungen bleibt diese Mehrheit im Land stabil, denn die euro­päi­schen Werte sind tief in der geor­gi­schen Gesell­schaft und Kultur verankert.

Im Juni 2022 war deshalb die Enttäu­schung groß, als Georgien – im Gegensatz zur Ukraine und Moldau – keinen EU-Kandi­da­ten­status erhielt. Die Euro­päi­sche Union eröffnete Georgien jedoch eine Perspek­tive zum EU-Kandi­da­ten­status und machte dies von der Umsetzung von 12 Empfeh­lungen abhängig.

Extreme Pola­ri­sie­rung

In diesem histo­ri­schen Moment ist das Land jedoch extrem pola­ri­siert. Die Regierung schränkt demo­kra­ti­sche Rechte ein und scheint die Umsetzung der EU-Empfeh­lungen zu torpe­dieren – obwohl im geor­gi­schen Parlament die durch Oppo­si­tion und Zivil­ge­sell­schaft erar­bei­teten Geset­zes­ent­würfe zu rechts­staat­li­chen Reformen bereits vorliegen. Darüber hinaus herrscht im Lande eine wachsende anti­west­liche Rhetorik, die nicht zuletzt durch russische Propa­ganda befeuert wird.

Die Veran­stal­tung wurde vom Botschafter der Bundes­re­pu­blik Deutsch­lands in Georgien, S.E. Ernst Peter Fischer, eröffnet. In seiner Begrüßung betonte der Botschafter die Bedeutung des Besuches des EU-Bundes­tags­aus­schusses in Tiflis und der an die Bundes­re­gie­rung gerich­teten Stel­lung­nahme der Parla­ments­de­le­ga­tion für die Entschei­dung der Verlei­hung des EU-Kandi­da­ten­status im Dezember 2023. Er unter­strich dabei, dass die EU- und Nato-Inte­gra­tion Georgiens in der geor­gi­schen Verfas­sung (Art. 78) verankert sei.

Wider­spruch zwischen Regie­rungs­han­deln und pro-euro­päi­scher Bevölkerung

Moderiert von Marie­luise Beck disku­tierten im ersten Panel Christian Petry (SPD), Ralph Brinkhaus (CDU), Harald Weyel (AfD) und Ana Nats­vlish­vili (LELO) über die Heraus­for­de­rungen Georgiens auf dem Weg in die EU, den Wider­spruch zwischen der öffent­li­chen, deutlich pro-euro­päi­schen Meinung und dem Regie­rungs­han­deln sowie die Möglich­keiten Deutsch­lands und der EU, Georgien auf diesem Weg zu unterstützen.

Die über­wie­gende Mehrheit der geor­gi­schen Bevöl­ke­rung ist bereit, weiter und konti­nu­ier­lich für eine euro­päi­sche Zukunft zu kämpfen und entschieden gegen die anti­west­li­chen Prozesse vorzugehen. 

Die Oppo­si­ti­ons­po­li­ti­kerin Ana Natz­v­lish­vili, wies darauf hin, wie wichtig die Unter­stüt­zung der deutschen Politik für die geor­gi­sche Bevöl­ke­rung sei und verwies auf die Äußerung der deutschen Außen­mi­nis­terin Baerbock in Tiflis, dass „die Tür zum EU-Kandi­da­ten­status weit geöffnet ist.“ Dies sei eine histo­ri­sche Chance und gleich­zeitig eine große Verant­wor­tung, sowohl für die Politiker als auch für die Bürge­rinnen und Bürger Georgiens.

Ich persön­lich würde mich von Herzen freuen, wenn Georgien im Dezember 2023 Kandi­da­ten­status bekommen könnte. Ich sehe dazu gute Chancen. 

Der Bundes­tags­ab­ge­ord­nete Christian Petry (SPD) betonte, dass der EU-Beitritt aus mehreren Schritten bestehe: „Der erste Schritt zum Beitritt ist der Kandi­da­ten­status. Ich persön­lich würde mich von Herzen freuen, wenn Georgien im Dezember 2023 den Kandi­da­ten­status bekommen könnte. Ich sehe dafür gute Chancen.“

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Da Georgien eine zentrale Stellung im Mittleren Korridor als wichtiger Logis­tikhub in der Region hat, ist es wichtig zu betonen, welchen Mehrwert Georgien der EU bieten kann, z. B. Grüne Energie. 

Ralph Brinkhaus (CDU) hob hervor, dass neben der Depo­la­ri­sie­rung und Deolig­ar­chi­sie­rung auch die wirt­schaft­liche Dimension eine erheb­liche Rolle bei der EU-Inte­gra­tion spiele. „Wir werden einen gemein­samen Binnen­markt haben bzw. eine gemein­same Wirt­schafts­po­litik. Das beinhaltet gemein­same Gefahren und Heraus­for­de­rungen, aber auch Chancen, wie z.B. Grüne Energie. Da Georgien als wichtiger Logis­tikhub in der Region eine zentrale Stellung im Mittleren Korridor hat, der Alter­na­tive zum Transit über Russland, ist es wichtig zu betonen, welchen Mehrwert Georgien der EU bieten kann.“ Dieser wirt­schaft­liche Aspekt und Zugang zum gemein­samen Markt der EU sei ein wesent­li­cher Teil der EU-Inte­gra­tion, so Ralph Brinkaus.

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Die Perspek­tive der Zivilgesellschaft

Auf dem zweiten Panel disku­tierten Thomas Hacker (FDP), Michael Sacher (Die Grünen), Maka Botcho­rish­vili (GD, Vorsit­zende des EU-Inte­gra­ti­ons­aus­schusses des geor­gi­schen Parla­ments) und Sergi Kapanadze (GRASS), moderiert von Rebecca Harms, die geor­gi­sche Perspek­tive auf die Heraus­for­de­rungen auf dem Weg in die EU und die nächsten Schritte im EU-Integrationsprozess.

Die vier von der EU prio­ri­sierten Empfeh­lungen – Depo­la­ri­sie­rung, Justiz­re­form, Pres­se­frei­heit, Mitwir­kung der Zivil­ge­sell­schaft bei den Reformen – sind von der Regierung nicht ange­gangen oder aktiv verhin­dert worden, so die Analyse von Sergi Kapanadze. Nach Ansicht der Vertre­terin der Regie­rungs­partei Maka Bocho­rish­vili (Georgian Dream) sind hingegen fast alle Empfeh­lungen bereits umgesetzt.

Der Obmann des Medi­en­aus­schusses im Bundestag, Thomas Hacker (FDP), bedauerte, dass er den inhaf­tierten Jour­na­listen Nika Gvaramia trotz der Vermitt­lung der deutschen Botschaft in Tiflis nicht im Gefängnis besuchen konnte: „Es wäre ein gutes Signal gewesen, wenn die geor­gi­sche Regierung bereit gewesen wäre, in diesem Bereich Fort­schritte zu machen.“

Das einhel­lige Fazit des Publikums: Die deut­li­chen Rück­schritte bei Demo­kra­ti­sie­rung und Recht­staat­lich­keit sowie die massive anti­west­liche Kampagne – für die die jetzige Regierung verant­wort­lich ist – sind die Gründe, warum Georgien keinen Kandi­da­ten­status erhalten hat.

Wie geht es weiter?

Die EU steht vor einem Dilemma: Einer­seits gibt es die über­wie­gend proeu­ro­pä­isch einge­stellte Bevöl­ke­rung und ande­rer­seits eine prorus­si­sche Regierung, die sich offiziell für einen euro­päi­schen Kurs des Landes ausspricht, die entspre­chenden Reformen aber schlicht nicht durch­führt. Und die EU kann den Kandi­da­ten­status schließ­lich nicht an die Bevöl­ke­rung verleihen.

Das geopo­li­ti­sche Argument, die EU dürfe Georgien im Kampf gegen Russland nicht allein lassen, wird vor allem von der Zivil­ge­sell­schaft getragen. Diese Sicht­weise ist für die west­li­chen Verbün­deten zwar nach­voll­zierbar, jedoch nicht über­zeu­gend genug, um der geor­gi­schen prorus­si­schen Regierung die Tür in die EU zu öffnen.

Die Zeit zur Umsetzung der EU-Empfeh­lungen ist knapp

Bis zur Veröf­fent­li­chung der Bewer­tungs­be­richte der EU-Kommis­sion bleiben noch 5 Monate. Von der Empfeh­lung der Kommis­sion wird abhängen, ob der Euro­päi­sche Rat der geor­gi­schen Bevöl­ke­rung im Dezember 2023 abermals „Nein“ sagt oder doch den Kandi­da­ten­status zuerkennt. Es ist auch möglich, dass die Entschei­dung erst nach den Parla­ments­wahlen im Jahr 2024 getroffen wird. Die Enttäu­schung nach einer erneuten Ablehnung wäre in jedem Fall enorm.

Die Zeit zur Umsetzung der EU-Empfeh­lungen ist knapp. Es bleibt zu hoffen, dass das euro­päi­sche Georgien weiterhin deutlich zu hören sein wird.


 

Weitere Stationen der Reise von Marie­luise Beck, Rebbecca Harms und Khatia Kika­lish­vili waren die Univer­sität Ilia Tbilisi, ein Treffen mit der parla­men­ta­ri­schen Oppo­si­tion und eine Demons­tra­tion für Medi­en­frei­heit vor dem Präsidentenpalast

Diskus­sion mit Studierenden
an der Univer­sität Ilia Tbilisi

Treffen mit der parla­men­ta­ri­schen Opposition

Demons­tra­tion für Medienfreiheit
vor dem Präsidentenpalast

Marie­luise Beck im Interview zu Pres­se­frei­heit und EU-Perspektive

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Bilder: Tamar Korakhashvili

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