Nachlese zum TV-Duell Voigt – Höcke
Der Brandstifter als Biedermann
Höcke versuchte die AfD als bürgerlich-konservative Kraft zu verkaufen. Gleichzeitig drang seine völkisch-nationalistische Agenda durch alle Poren. Das Duell mit Voigt war insofern lehrreich, weil es das Strickmuster der AfD-Propaganda offenbarte, gegen das die demokratischen Kräfte sich wappnen müssen.
Trotz allem Gekeife war das „TV Duell“ zwischen Björn Höcke und dem CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt durchaus erhellend, und das gleich in mehrerer Hinsicht:
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Höcke versuchte die Quadratur des Kreises: Seine völkisch-nationalistischen, systemoppositionellen Botschaften klangen immer wieder durch; gleichzeitig mühte er sich, die AfD als bürgerlich-konservative, patriotische Kraft zu verkaufen. Er griff die CDU frontal als „Systempartei“ an und umwarb sie zugleich als Koalitionspartner. In seiner Rhetorik hat die „Merkel-CDU“ Deutschland in die Grütze gefahren, das Land steht kurz vor dem Untergang, er propagiert den Austritt aus der EU und das Bündnis mit Russland. Gleichzeitig sprach er Voigt immer wieder als „Kollegen“ an und beteuerte die ausgestreckte Hand zur Union.
Sein Kontrahent eierte in vielen Fragen herum, aber an diesem entscheidenden Punkt zog Voigt einen klaren Trennungsstrich: „Sie sind nicht bürgerlich, sondern völkisch“. Er schloß eine Koalition mit der AfD kategorisch aus, konnte aber nicht sagen, mit wem die Union eine Regierung in Thüringen bilden will, wenn sie zugleich jede Zusammenarbeit mit der „Linken“ ausschließt. Am Horizont tauchte das „Bündnis Sarah Wagenknecht“ auf, zu dem sich Voigt bemerkenswert unklar äußerte. Mit Ramelow keinesfalls, mit den Putin-Freunden und Nationalsozialen des BSW aber doch? Nicht schlüssig.
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Interessanterweise kam Höcke gerade dann ins Stolpern, als der Moderator ihn mit völkisch-rassistischen Passagen seines Buchs „Nie zweimal in denselben Fluß“ (2018) konfrontierte. Als er mit einschlägigen Zitaten zur Abschiebung von Migranten mit deutschem Pass konfrontiert wurde, eierte er herum und mochte er sich nicht mehr genau erinnern. Höcke kam genau dann ins Schwimmen, als es um den Kern seiner völkischen Weltanschauung von einem ethnisch, kulturell und religiös homogenen deutschen Volk ging. Offenbar ist ihm bewusst, dass er mit dieser Ideologie zwar im AfD-Milieu begeisterten Applaus ernten kann, sich aber in der demokratischen Öffentlichkeit zum Außenseiter macht.
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In dieser Passage war Voigt am stärksten. Er hielt Höcke vor, dass jeder vierte Arzt an Thüringer Kliniken einen Migrationshintergrund hat und seine fremdenfeindliche, deutschtümelnde Agitation Investoren und Fachkräfte vertreibt: „Mit einem Reichskanzler Höcke wird kein ausländisches Unternehmen mehr einen Betrieb im Thüringen eröffnen.“ Es war auch der einzige Punkt, an dem Voigt eine fundamentale Wertedifferenz markierte und die unteilbare Menschenwürde gegen Höckes Einteilung in erwünschte und unerwünschte Menschen verteidigte.
Ansonsten versuchte er Höcke und die AfD als Gefahr für den Wohlstand im Land zu attackieren. Das ist in der Sache nicht verkehrt. Aber es fiel auf, dass Voigt gegenüber Höckes Polemik zu Energiepreisen, dem drohenden wirtschaftlichem Niedergang, Bürokratismus, Altersarmut und Überlastung der kleinen und mittleren Einkommen mit Steuern und Abgaben kaum aus der Defensive herauskam.
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Lehrreich war das Streitgespräch auch deshalb, weil es die rhetorischen Botschaften und die politische Agenda Höckes deutlich machte. Man weiß jetzt genauer, worauf man entgegnen muss. Eine kurze Zusammenstellung:
- Die EU ist eine „Globalisierungsagentur“ und bürokratisches Monster, das durch einen lockeren Verbund souveräner Nationen ersetzt werden muss. Gemeinsamer Markt ja, Preisgabe nationaler Souveränität nein. Großbritannien gehe es seit dem Brexit wirtschaftlich besser als Deutschland (!).
- Die deutsche und europäische Klimapolitik führt ins Verderben: Dekarbonisierung, Kampf gegen den Verbrennungsmotor etc. sind Wohlstandsvernichter und ruinieren die einheimische Wirtschaft.
- Gegen das „Großkapital“, für den Schutz kleiner und mittlerer Unternehmen
- National-Soziale Politik: der in Deutschland erarbeitete Reichtum muss den Deutschen zugutekommen. Es ist genug Geld da, um den Sozialstaat zu finanzieren, wenn man seine Leistungen auf das deutsche Volk begrenzt und aufhört, die ganze Welt mit Entwicklungshilfe zu beglücken.
- Masseneinwanderung ist unser Unglück: horrende Kosten, steigende Kriminalität, Verlust nationaler Identität – „Deutschland löst sich auf wie ein Stück Seife.“ Das „Weltsozialamt Deutschland“ müsse geschlossen werden.
- Insbesondere die Einwanderung aus islamischen Ländern müsse sofort gestoppt werden: „Ich habe nichts gegen den Islam“, aber die Muslime sollen in ihrem Kulturkreis bleiben – „dort will ich mich auch nicht einmischen.“ Ethnopluralismus als globales Ordnungsprinzip: Aufteilung der Welt in ethnisch-kulturell homogene Gemeinschaften.
- Es gebe keinen signifikanten Antisemitismus unter den „autochthonen Deutschen“, der Antisemitismus werde mit der muslimischen Einwanderung importiert.
- Kehrtwende in der Erinnerungspolitik: Aufbau einer positiven nationalen Identität – die Lichtseiten der deutschen Geschichte in den Mittelpunkt stellen bedeute nicht, die Schattenseiten zu leugnen. „Die Deutschen müssen sich wieder mit sich selbst befreunden.“
- Höcke als Nationalpazifist: Die Schlächterei in der Ukraine müsse sofort enden, der Krieg um jeden Preis gestoppt werden. Wer Waffen liefert, will keinen Frieden, sondern verlängert den Krieg.
- Die AfD als Sprachrohr Putins: Die USA führten in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland. Es gehe um Macht und Interessen, nicht um Demokratie und Menschenrechte (beruft sich auf Egon Bahr). „Russland ist ein bedrängtes Land, Russland will Frieden.“ Deutschland müsse sich auf seine Rolle als „Brückenbauer zwischen Ost und West“ besinnen und auf Diplomatie statt Waffen setzen.
- Höcke inszenierte sich durchgehend als der große Missverstandene und verfolgte Unschuld: Das Strafrecht werde immer stärker benutzt, um die Meinungsfreiheit einzuschränken, wer vom etablierten Meinungskartell abweiche, werde ausgegrenzt etc. Das entspricht der AFD-Masche, sich als aggressives Opfer zu geben.
Auch wenn Höcke sich alle Mühe gab, sich als Biedermann zu inszenieren, konnte er den Brandstifter nicht verbergen. Hinter der Fassade des ehemaligen Vertrauenslehrers, dem jeder Hass fremd ist, dampft ein toxisches Gebräu aus völkischen, national-sozialen, antiwestlichen Zutaten; ein radikales Gegenprogramm zu den bisherigen Koordinaten der deutschen Politik. Es passt wie die Faust aufs Auge, dass der angebliche deutsche Patriot Höcke Partei für Putin-Russland ergreift – ausgerechnet der Macht, die dem demokratischen Europa den Krieg erklärt hat.
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