Unscharf: Die zukünftige US-Außenpolitik unter Harris/Trump
„America First“ – dass Donald Trump auch im Falle einer Wiederwahl eine isolationistische Politik verfolgen wird und zuvorderst auf die USA schaut, ist gesetzt. Doch angesichts multipler Kriege und globaler Krisenherde bestimmt auch die Außenpolitik den US-Wahlkampf. Wie sich indes Kamala Harris als Präsidentin außenpolitisch positionieren würde, ist weniger absehbar. Die deutsche Journalistin Eva C. Schweitzer lebt seit Jahren in den USA und analysiert von ihrer Wahlheimat New York aus für uns die Lage.
Es ist Januar 2025. Der neue amerikanische Präsident ist im Amt. Ausländische Staatsmänner bitten um Termine für den Antrittsbesuch, darunter auch Wolodymyr Selenskyj, der Präsident der Ukraine. Selenskyj hat Sorgen; sein russischer Gegenspieler Wladimir Putin zieht Truppen zusammen. Er braucht dreißig Milliarden US-Dollar für neue Waffen. Was passiert nun?
Jetzt kommt es sehr darauf an, wer dieser neue Präsident ist. Donald Trump hat seinen Wählern versprochen, Steuergelder nur für amerikanische Interessen auszugeben, und ohnehin hat er angekündigt, er brauche Putin lediglich anzurufen, dann ziehe der seine Truppen zurück. Weniger eindeutig und vorhersehbar wäre eine zukünftige Präsidentin Kamala Harris. Immerhin gibt es Hinweise wie sie agieren würde: Auf ihrer Wahlplattform verspricht sie, Alliierte der USA zu unterstützen, allerdings wird das nur als nachrangiger Unterpunkt genannt. Konkret ausgesprochen hat sie sich auch in einem der wenigen Interviews, die sie gibt, nicht – ähnlich wie bei anderen Politikfeldern, von Wirtschaft bis Justiz. Anders als dem Amtsinhaber Joe Biden ist sie keine ausgesprochene Transatlantikerin, ihr Schwerpunkt sind ökonomische und rechtliche Verbesserungen für Amerikaner. Nun ist in Amerika zwar alles Innenpolitik, aber nicht unbedingt in diesem Wahlkampf: In gleich zwei Kriege sind die USA verwickelt, nicht mit Truppen, aber mit viel Geld.
Entgegen dem Ukrainekrieg sind beim Krieg in Israel, Gaza und nun im Libanon die praktischen Differenzen zwischen den Parteien jedoch nur marginal. Beide Kandidaten haben versprochen, Israel zu unterstützen. Aber beide müssen einen Eiertanz veranstalten, um alle potenziellen Wähler bei der Stange zu halten, denn bei denen gehen die Meinungen weit auseinander. Das kann Konsequenzen für die Wahl haben.
Harris: Schwierige Positionierung im Nahostkonflikt
Insbesondere der Nahostkonflikt hat Auswirkungen auf das Wahlverhalten: So wollen viele arabisch-stämmige Wähler nicht für Harris stimmen. Das „Arab American Political Action Committee“ im US-Bundesstaat Michigan hat wegen des Gaza-Krieges erstmals keine Wahlempfehlung für die Demokraten gegeben. Für Trump allerdings auch nicht. In diesem Swing State leben mehr als 300.000 Arab-Americans – drei Prozent der Bevölkerung –, das könnte Harris hier den Sieg kosten.
Sie muss Rücksicht nicht nur auf die Arab-Americans nehmen, sondern auch auf den linken Flügel, den „Squad“ um Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar und Rashida Tlaib. Von denen fühlen sich viele schwarze und lateinamerikanische Wähler repräsentiert sowie linke jüdische Amerikaner, denen auch Bernie Sanders aus dem Herzen spricht, der (jüdische) Linksaußen der Demokraten.
Deshalb betont Harris, dass eine Zweistaaten-Lösung notwendig sei, allerdings ohne einen Weg dorthin zu weisen. Und sie spricht gelegentlich von den Leiden der Palästinenser. Die Unterstützung für Israel aber ist für ihren Wahlsieg essenzieller, schließlich gibt es bei den Demokraten traditionell einen großen pro-israelischen Flügel, auch bei den Lobbyisten und Wahlkampfunterstützern. Letztlich ist es ihre Strategie, so zu tun, als könne sie es allen recht machen, ohne konkret zu werden.
Wie bei Trump traten auch bei Harris‘ Nominierungsparteitag die Eltern des von der Hamas verschleppten Hersh Goldberg-Polin auf. Harris fand bewegende Worte, sprach aber nur von den Israelis. “Die Mutter des entführten Sohnes hatte mehr Mitgefühl mit den Palästinensern als Harris”, entfuhr es einer Frau von dem schmalen pro-palästinensischen Block auf dem Parteitag.
Amtsinhaber Joe Biden hat nun angekündigt, US-Truppen nach Israel zu schicken; zunächst nur 100, die ein mitgeliefertes Raketenabwehrsystem bedienen, aber das Pentagon hat 1000 bis 2000 Soldaten vorgeschlagen. Das könnte Harris schaden. Viele Wähler fühlen sich an das Debakel des Vietnamkriegs erinnert, der auch damit begann, dass US-Präsident Dwight D. Eisenhower – respektive sein Außenminister John Foster Dulles – nur einige wenige Berater nach Saigon schickte.
Allerdings: Das persönliche Verhältnis zwischen Biden und Bibi Netanyahu ist restlos zerrüttet, spätestens seit bekannt wurde, dass Biden hinter verschlossenen Türen über den israelischen Premier schimpft, während Trump mit ihm täglich am Telefon spricht – zumindest behauptet er das. Das wiederum dürfte Harris nutzen, denn selbst bei pro-israelischen Demokraten ist Netanyahu selber ziemlich unbeliebt.
Trump: Evangelikale Wählerschaft einerseits, Kriegsmüdigkeit andererseits
Und Trump? Welche Auswirkungen hat der sich zuspitzende Nahostkonflikt auf ihn und seine Wählerschaft? Auch Trump sitzt in der Zwickmühle. Seine Basis besteht einerseits aus konservativen Evangelikalen, die glauben, in Israel finde bald „Armageddon“ statt, der biblische Endkampf zwischen Gut und Böse, deshalb müsse die US-Regierung Israel unterstützen. Manche sehen ihn gar als Wiedergeburt des persischen Königs Kyros, der die alten Israeliten aus der babylonischen Gefangenschaft geführt hat. In dessen Tradition habe Trump Jerusalem als Hauptstadt anerkannt, meinen sie. Sie unterstützen Israel blind, denn selbst wenn die Menschheit in einem Dritten Weltkrieg untergehen sollte, wäre das nur die Erfüllung einer biblischen Prophezeiung – und sie selbst kämen sofort in den Himmel.
Ganz anders denken “America Firsters”. Sie wählen Trump, weil sie finden, Amerika solle seine Ressourcen nur für die eigenen Leute verwenden, und nicht für andere Länder. Seinen ursprünglichen Höhenflug verdankte Trump der Tatsache, dass viele Wähler die Kriege der Bush-Regierung im Mittleren Osten satthatte. Denen verkauft Trump sich als Friedenspräsident. Das hat ihm geholfen, den isolationistischen Flügel, um den früheren Abgeordneten Ron Paul einzubinden.
Historisch gesehen ist das nicht ungewöhnlich: Mit Ausnahme der Bush-Präsidenten war Amerika unter Demokraten immer kriegsaffiner, denn unter Republikanern, vom Krieg gegen Mexiko in 1846 über beide Weltkriege bis zu Korea und Vietnam. Trumps Lösung ist: Sobald er Präsident ist, tun die Staatsführer aller Länder von selber, was er will – auch nicht gerade realistisch, aber das spricht zu seiner Basis. Derweil positionieren sich viele führende Neokonservative und „Never-Trumper“ – Republikaner aus dem Bush-Lager – gegen Trump und für die Demokraten. Dazu gehören die alte Garde wie Liz Cheney, Bill Kristol oder David Frum. Aus dieser Ecke kommt etwa auch der New York Times-Kolumnist Bret Stephens, der zwar Harris wählen will, aber sagt: „Meine Stimme ist 99,999 Prozent gegen Trump und 0,001 Prozent für Harris.
Trump, der Friedenspräsident
Nicht nur habe Amerika unter ihm keinen neuen Krieg geführt, sagt Trump oft, er betont auch, er habe die US-Truppen aus dem Irak abgezogen. Und: Es habe keinen Krieg in Gaza gegeben, als er Präsident war. Das ist zwar richtig, aber das war eher ein glückliches Timing für ihn. Nach dem 7. Oktober 2023 hätte Trump genauso gehandelt wie Biden. Zudem blieben unter Trump die US-Truppen in Afghanistan, er unterstützte den Waffengang der Saudis gegen den Jemen und dass er nicht in den Syrienkrieg verwickelt wurde, war ebenfalls glücklicher Zufall.
Was den Iran betrifft, vertritt er die härtere Linie – er bezichtigt Teheran öffentlich, die eigentliche Macht hinter der Hisbollah zu sein, während Harris sich bedeckt hält. Als Präsident cancelte er nicht nur den unter seinem Vorgänger Barack Obama ausgehandelten Atomkompromiss, er befahl auch einen Anschlag auf Qasem Soleimani, Kommandeur einer Abteilung der iranischen Revolutionsgarde in Bagdad. Das gefällt einerseits vielen älteren Amerikanern, die dem Iran noch der Geiselaffäre von 1979 wegen gram sind, aber auch den Evangelikalen, die das Land in der Tradition einer jahrtausendealten biblischen Feindschaft sehen. Die Isolationisten hingegen wollen weder einen Irankrieg, noch mögen sie Netanyahu.
Dabei ist Trump sogar manchen seiner eigenen (ehemaligen) Leute zu forsch. Sein früherer Stabschef John Kelly bezeichnete ihn kürzlich als „Faschisten“ und sagte, Trump habe sich gewünscht, „Hitlers Generäle“ zu haben (Trump bestreitet das).
Trumps Nähe zu Putin
Auch Trumps Verhältnis zu Russland ist widersprüchlich. Im zwanzigsten Jahrhundert waren die Demokraten eher russlandfreundlich, insbesondere in beiden Weltkriegen, als sie von Stalin als „Uncle Joe“ sprachen. Die Republikaner hingegen unterstützten die Reaganschen Terminologie vom “Reich des Bösen”.
Die republikanische Nähe zu Russland ist also neu, aber im Kontext des Aufstiegs des Rechtspopulismus nicht unlogisch: Der russische Präsident Wladimir Putin gilt heute der neuen globalen Rechten als Schutzpatron der Christen gegen den Islam.
Und wie wird auf den Ukrainekrieg geschaut? Der ist aus dem öffentlichen Bewusstsein der USA fast verschwunden. Zwar halten die Demokraten im Kongress – und auch altgediente Republikaner wie Lindsay Graham – an den Militärhilfen fest. Aber die Zeiten, als die blau-gelbe Flagge überall wehte, blau-gelbe Lichtaktionen das Stadtbild prägten, Künstler Solidaritätskonzerte für Kiew gaben und Selenskyj im US-Fernsehen auftrat, sind lange vorbei.
Beide Parteien haben ihre eigene Geschichte mit der Ukraine. Nach dem Maidan-Aufstand machte Trumps Wahlkampfchef Paul Manafort Lobbyarbeit für ein Millionenhonorar für Viktor Janukowitsch, den putintreuen Präsidenten, während die Demokraten die orangene Revolution unterstützten – aber auch dies nicht immer uneigennützig. Ausgerechnet Bidens Sohn Hunter bekam einen millionenschweren Beratervertrag mit der ukrainischen Energiefirma Burisma.
Die zentrale Frage ist aber: Wie nahe stehen sich Trump und Putin eigentlich? Beide kennen sich schon lange, denn schon kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion versuchte Trump, Geschäfte in Moskau zu machen. Erst im Oktober enthüllte der Washingtoner Journalist Bob Woodward, dass Putin mehrere Corona-Tests samt Equipment von Trump bekommen hat. Im letzten Wahlkampf machte ein Dossier des früheren britischen Agenten Christopher Steele die Runde, wonach Putin Trump geholfen habe, Hillary Clinton zu schlagen, etwa auch mithilfe von russischen Bot-Farmen, die Social Media infiltrierten.
Trumps gelegentlich angekündigter Rückzug aus der NATO wird manchmal so interpretiert, als gebe er Putin die Carte Blanche, um in Osteuropa einzumarschieren. Dagegen stünde nicht nur die starke polnische Lobby in den USA, sondern auch die altgedienten Außenpolitiker im Kongress. Ohnehin könnte der US-Präsident nicht ohne die Zustimmung des Kongresses die NATO verlassen. Allerdings könnte er das konkrete, finanzielle Engagement auf fast Null hinunterschrauben. Außerdem: amerikanische Soldaten zu schicken, die gegen die russische Armee kämpfen, um etwa Litauen zu befreien, das wäre für jeden Präsidenten politisch problematisch.
Die deutsch-amerikanische Freundschaft – ein Auslaufmodell
Was den Fernen Osten angeht, sind beide Parteien bereit, Taiwan gegen China zu verteidigen, zumindest verbal. Allerdings attackieren die Republikaner China wegen dessen Handelspolitik. Trump will, anders als Harris, Strafzölle gegen China verhängen, um US-Firmen gegen Billigimporte konkurrenzfähiger zu machen. Ob das etwas bringt, darf man bezweifeln, denn US-Firmen können auf andere Billigländer ausweichen, und wenn nicht, trägt der amerikanische Verbraucher die höhere Preise.
Und Deutschland? Eine große Rolle spielt Deutschland für die USA nicht. Das Land galt einst vielen Republikanern als Vorbild, aber das war vor der Merkel’schen Flüchtlingskrise. Inzwischen tummeln sich in allen deutsch-amerikanischen Freundschaftsvereinen fast nur noch Demokraten, während die Republikaner lieber Victor Orban, Benjamin Netanyahu oder Georgia Meloni einladen. Deutschland in der Ukrainekrise einzubinden hat sich allerdings für Amerika ausgezahlt: Deutschland bezieht nun mehr Gas von den USA als von Russland.
US-amerikanische Außenpolitik spielt sich an eigenen Grenzen ab
Die größte Rolle im Wahlkampf jedoch spielt der Flüchtlingsstrom von Immigranten aus vielen Ländern, vor allem Mexiko, El Salvador, Nicaragua und Venezuela. Bis zu 20 Millionen Illegale seien im Land, behauptet Trump. Die Venezolaner flüchten vor der sozialistischen Wirtschaftspolitik von Nicolás Maduro und den von den USA deshalb verhängten Sanktionen. Die Flüchtlinge belasten die Städte, die sie unterbringen müssen. Und kein Tag vergeht, ohne dass Trump darauf hinweist, dass ein Immigrant einen Amerikaner beraubt, ermordet oder vergewaltigt habe — woran Harris schuld sei. Für die meisten Amerikaner ist das wichtiger als die Ukraine.
Die zukünftige Außenpolitik von Trump beziehungsweise Harris einzuschätzen, gleicht einem Blick in die Glaskugel – zwischen diplomatischem Eiertanz, markigen Sprüchen, neuen und alten Allianzen sowie sehr unterschiedlichen Bedürfnissen der jeweiligen Wählerschaften.
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