„Trumps jüngste Äuße­rungen zur NATO lösen auch in Asien Sorgen aus“

Donald Trumps jüngste Einladung an Russland, euro­päi­sche Verbün­dete anzu­greifen, erschüt­terte die NATO-Länder. Wie wurde diese Nachricht in Asien aufge­nommen? Die Sicher­heits­expertin Chen-Yi Tu im Interview aus Taiwan über Reak­tionen und poten­zi­elle Auswir­kungen auf Sicher­heit und Bündnisse in Asien.

Frau Tu, Donald Trump scho­ckierte die NATO-Länder mit seiner Einladung an Russland, Verbün­dete in Europa anzu­greifen. Gab es auch in Asien eine Schockwelle?

Trumps jüngste Äuße­rungen zur NATO lösen auch in der Region Sorgen und Befürch­tungen aus und erinnern an seine Forderung während seiner Präsi­dent­schaft nach einer Erhöhung der Vertei­di­gungs­aus­gaben in Ländern wie Japan und Korea.

Wenn man die gesamte Region betrachtet, haben Länder von Indien bis Austra­lien ihre Mili­tär­bünd­nisse in den letzten Jahren verstärkt, weil China immer aggres­siver wird. Wie wurde Trumps Erklärung Ihrer Einschät­zung nach in Peking aufgenommen?

Peking hat noch nicht direkt auf Trumps Erklärung reagiert. Man muss jedoch bedenken, dass die Nachricht während des chine­si­schen Neujahrs­festes veröf­fent­licht wurde – ein Zeitpunkt, zu dem sich die chine­si­schen Medien auf das Neujahrs­fest in Fest­land­china und in den chine­si­schen Gemeinden in Übersee konzen­trieren. Dennoch nutzte Außen­mi­nister Wang Yi bei seinem jüngsten Besuch in Europa die Gele­gen­heit, China als einen stabi­leren und zuver­läs­si­geren Sicher­heits­partner als die USA zu präsentieren.

Manila hat in den letzten Wochen mehr Druck von Peking zu spüren bekommen. Unter der Biden-Präsi­dent­schaft hat das Land ein breiteres mili­tä­ri­sches Enga­ge­ment der USA auf den Phil­ip­pinen erreicht. Was würde ein Rückzug Trumps von den Phil­ip­pinen für den west­lichsten Zipfel des Pazifiks bedeuten? Würde China schließ­lich Erfolg haben und die Region besetzen, die es das Südchi­ne­si­sche Meer nennt?

Auch wenn es außer Frage steht, dass China seine maritimen Ansprüche auf das Südchi­ne­si­sche Meer geltend macht, gibt es doch viele Unwäg­bar­keiten hinsicht­lich der Zukunft dieser Region mit verschie­denen betei­ligten Parteien. Die vorherige Trump-Regierung hat sich zwar aus der Trans­pa­zi­fi­schen Part­ner­schaft zurück­ge­zogen, aber auch fast alle maritimen Ansprüche Pekings im Südchi­ne­si­schen Meer zurück­ge­wiesen. Es ist zu früh, um diese Fragen zu beurteilen.

Taiwan ist ein wichtiger Teil der ersten Insel­kette, die den kriegs­lüs­ternen chine­si­schen Diktator Xi Jinping auf Distanz hält. Wenn Taiwan fällt, hätte das erheb­liche Auswir­kungen auf die Sicher­heit in Asien und den globalen Handel. Im Gegensatz zu Joe Biden sagte Donald Trump, er werde den Insel­staat mögli­cher­weise nicht vertei­digen. Wie sieht die neue Regierung in Taiwan eine mögliche Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus? 

Ich würde sagen, dass die neue Regierung – und damit eine bislang beispiel­lose dritte Amtszeit der Demo­kra­ti­schen Fort­schritts­partei (DPP) – den Prozess des Regie­rungs­wech­sels einge­leitet und sich auf alle möglichen Ergeb­nisse in diesem Wahljahr vorbe­reitet hat. Dies war die Realität in den Bezie­hungen zwischen den USA und Taiwan. Das Wich­tigste ist, den demo­kra­ti­schen Prozess von Taiwans Verbün­deten und gleich­ge­sinnten Partnern zu respektieren.

Die taiwa­ne­si­sche Armee hat ihre Fähigkeit, einen chine­si­schen Angriff abzu­wehren, in den letzten Jahren erheblich verbes­sert. Könnte sie im Falle eines Inva­si­ons­ver­suchs auf die Unter­stüt­zung anderer regio­naler Akteure wie Japan und Austra­lien zählen?

Taiwans Mili­tär­stra­tegie beruht als Insel beruht auf der Tatsache, dass Taiwan sich selbst vertei­digen muss. Taiwan würde jede mögliche Unter­stüt­zung und Hilfe von Verbün­deten und gleich­ge­sinnten Partnern begrüßen, aber das ändert nichts an der Tatsache und dem Ziel der Stärkung der eigenen Fähigkeiten.

Peking hat behauptet, die Verei­nigten Staaten würden eine „asia­ti­sche NATO“ bilden wollen. In Wirk­lich­keit unterhält Washington eine Vielzahl von Bünd­nissen mit einzelnen Ländern in Asien wie Vietnam und mit ausge­wählten kleineren Gruppen, wie durch die Quad- oder AUKUS-Part­ner­schaft, die jedoch nicht annähernd der Verpflich­tung nach Artikel 5 der NATO-Charta entspre­chen. Wäre die Schaffung einer solchen asia­ti­schen NATO im Interesse der asia­ti­schen Nationen und würde sie Peking letztlich abschrecken?

Im Vergleich zur NATO zeigen die asia­ti­schen Staaten ange­sichts ihrer Unter­schiede und der poli­ti­schen Realität im Allge­meinen keine ausge­prägte Soli­da­rität bei der Bewäl­ti­gung von Sicher­heits­her­aus­for­de­rungen. Auch wenn ein NATO-ähnliches Vertrags­bündnis noch einen langen Weg vor sich hätte, ist Peking vorsichtig gegenüber allen Arten von Verbin­dungen, die innerhalb einer Region und darüber hinaus aufgebaut werden – solange es selbst nicht eine der betei­ligten Parteien ist.

 

Dr. Chen-Yi (Crystal) Tu ist Assistant Research Fellow in der Abteilung für Cyber­si­cher­heit und Simu­la­tion von Entschei­dungs­pro­zessen am Institut für nationale Vertei­di­gungs- und Sicher­heits­for­schung (INDSR) in Taiwan. Ihre Forschung konzentriert sich auf Infor­ma­ti­ons­ope­ra­tionen, Strategie, neue Tech­no­lo­gien und deren Auswir­kungen auf den geopo­li­ti­schen Wett­be­werb. Sie gehört zur „Inaugural Group of McCain Fellows for Freedom“ des Inter­na­tional Repu­blican Institute, USA. Bevor sie zum INDSR kam, arbeitete Dr. Tu als Beraterin im Bereich Data Science und daten­ge­steu­erte Entschei­dungs­fin­dung für den öffent­li­chen und privaten Sektor in Taiwan.

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