Von Rinks und lechts

Ist Populismus per se eine Gefahr für die Demokratie?

Zur Auftakt­ver­an­staltung der neuen Fachge­sprächs­reihe „Der Libera­lismus und seine Kritiker“, die Teil des Verbunds­pro­jekts „Schrif­ten­reihe Vordenker der liberalen Moderne“ ist, verortet der Politik­wis­sen­schaftler Philip Manow die Partei­en­land­schaften neu. Karolina Wigura liefert eine Replik und in der gemein­samen Diskussion blickt dabei insbe­sondere auf Osteuropa – und Ralf Fücks lädt dazu ein, kritisch auf die Rolle der verfas­sungs­recht­lichen Insti­tu­tionen der liberalen Demokratien zu schauen.

Wenn es um die Frage nach dem Zustand unserer liberalen Demokratien geht, dann gehört Philip Manow zu den gefrag­testen und profi­lier­testen politi­schen Denkern und Essay­isten der Gegenwart. In seinen Büchern (zuletzt „Unter Beobachtung – Die liberalen Demokratien und ihre Freunde, Suhrkamp2024“) fühlt er den offenen Gesell­schaften und ihren Insti­tu­tionen kritisch auf den Zahn.

Tradi­ti­ons­linien und Umbrüche des Libera­lismus ausloten

Ralf Fücks eröffnete das Fachge­spräch mit einer Einführung in das Verbund­projekt „Schrif­ten­reihe Vordenker der liberalen Moderne“, das vom Bundes­mi­nis­terium für Forschung, Techno­logie und Raumfahrt (BMFTR) in den kommenden fünf Jahren gefördert wird. Das Projekt hat das Ziel, eine umfas­sende Bibliothek (26 Bände) des Libera­lismus im 20. Jahrhundert aufzu­bauen und in beglei­tenden Konfe­renzen und Fachge­sprächen über die Geschichte und den Zustand des Libera­lismus zu reflek­tieren als auch dessen gegen­wärtige Heraus­for­de­rungen zu analy­sieren. Libera­lismus, das machte Fücks klar, ist dabei nicht als geschlos­sener „Ismus“, sondern ein breites, leben­diges Gedan­ken­ge­bäude mit vielen, zum Teil ambiva­lenten Strömungen zu verstehen – all das jedoch stets unter dem Leitstern der Freiheit. Unzwei­felhaft ist Fücks‘ Diagnose: Der Libera­lismus ist angesichts globaler Umbrüche, dem weltweiten Erstarken von Autokratien und einer von vielen Bürge­rinnen und Bürgern gefühlten zuneh­menden Entfremdung unter Druck. Unter massivem Druck. Fazit: Es besteht dringender Aufklä­rungs- und Diskus­si­ons­bedarf – damit soll sich  das Projekt befassen


Grußwort von Ralf Fücks

Keynote von Philip Manow


Replik von Karolina Wigura

 

Rinks und Lechts – Tekto­nische Verschiebung der politi­schen Landschaft

Zur Leitfrage des Gesprächs, ob Populismus per se eine Gefahr für die Demokratie sei lieferte Manow in seiner Keynote Antworten. Dabei sprach er nicht nur über den in seinem jüngsten Buch beschrie­benen Prozess der Verrecht­li­chung, sondern er analy­sierte und verglich in seinem dichten Vortrag die Partei­en­land­schaft in Europa.

Manows Kernthese: Neue populis­tische Parteien in Europa kombi­nieren zunehmend ökono­misch linke Positionen mit gesell­schafts­po­li­tisch rechten Vorstel­lungen – eine ideolo­gische Chiasmus-Kombi­nation, die früher vor allem aus Ost- und Mittel­europa bekannt war (z. B. PiS in Polen, Fidesz in Ungarn), nun aber auch in Westeuropa Verbreitung findet (AfD, Rassem­blement National, Schwedendemokraten).

Diese Parteien profi­tierten vom Ausein­an­der­fallen tradi­tio­neller Spaltungs­linien. Wo früher „links“ oder „rechts“ noch halbwegs klare ideolo­gische Lager bildeten, entstehen heute synkre­tis­tische Positionen – „rinks“ und „lechts“. Neue populis­tische Bewegungen vereinen nun ökono­mi­schen Etatismus mit autori­tären Gesell­schafts­bildern – eine Kombi­nation, die von vielen Wähle­rinnen und Wählern als Alter­native zu einem als elitär empfun­denen Libera­lismus der Mitte wahrge­nommen wird. Parteien wie die AfD oder der Rassem­blement National besetzen erfolg­reich den „leeren Quadranten“ – ökono­misch links, kulturell rechts.

Ein Prozess der wirtschaft­lichen und politi­schen Entgrenzung, so Manows Analyse weiter, habe zu einer schritt­weisen Entmachtung der natio­nal­staat­lichen Demokratien geführt. Der neue Populismus richte sich mit einer „Repoli­ti­sierung des Politi­schen“ gegen die Globa­li­sierung und ihre Auswirkungen.

Mit seiner These wider­spricht Philip Manow einer gängigen, kultur­zen­trierten Populis­mus­theorie: Diese nimmt eine Spaltung zwischen Kosmo­po­li­tismus und Kommu­ni­ta­rismus zum Ausgangs­punkt. Für Manow hingegen ist Populismus nicht nur eine kultu­relle, sondern vor allem eine ökono­misch-soziale Antwort auf den neoli­be­ralen Globalisierungsprozess.

Wider­spruch mit Blick auf Osteuropa

Eine pointierte Replik lieferte Karolina Wigura, die Sozio­login, Ideen­his­to­ri­kerin und Assis­tenz­pro­fes­sorin an der Univer­sität Warschau und Mither­aus­ge­berin von „Kultura Liberalna“, einer politi­schen Stiftung, die eines der führenden Online-Wochen­ma­gazine in Polen herausgibt, blickte dabei insbe­sondere auf die Entwick­lungen in Osteuropa: Als Populis­mus­expertin wider­sprach sie der These, dass osteu­ro­päische populis­tische Parteien wie PiS oder Fidesz genuin ökono­misch „links“ seien. Vielmehr hätten deren Umver­tei­lungs­po­li­tiken oft neoli­berale Effekte.

Sie skizzierte globale Paral­lelen, von Trump bis zu Bolsonaro. Populismus sei hier weit mehr als eine Reaktion, sondern vielmehr ein Projekt, das anti-plura­lis­tisch und anti-insti­tu­tionell vorgeht und äußerst gefährlich für die liberalen Demokratien sei. Sie plädierte für eine umfas­sendere Definition von Populismus, die dessen anti-elitären, anti-plura­lis­ti­schen und autoritär-adminis­tra­tiven Charakter in den Mittel­punkt stellt. Populismus ist keine (Re-)Demokratisierung, sondern eine „Elite gegen Elite“-Strategie, die sich gegen die insti­tu­tio­nellen Siche­rungen liberaler Demokratien richte.

Reprä­sen­ta­ti­ons­krise als Brandbeschleuniger

Einigkeit herrschte darüber, dass sich hinter dem Populismus ein tiefer­lie­gendes Problem verbirgt: die Reprä­sen­ta­ti­ons­krise der Demokratie. Populisten würden soziale Medien nutzen, um sich als digitale Bewegungen zu insze­nieren und damit klassische Formen demokra­ti­scher Reprä­sen­tation unter­laufen. „Warum sollen andere für mich sprechen?“, fragte Wigura. Populisten böten einfache Antworten – und nutzten die neuen Kommu­ni­ka­ti­ons­formen effek­tiver als klassische Parteien.

System­fragen, Verfas­sungs­ge­richts­barkeit und Globalisierung

Im Anschluss disku­tierten die Panelisten mit dem Publikum über die Folgen von Globa­li­sierung, die Krise der Reprä­sen­tation und die Rolle verfas­sungs­recht­licher Insti­tu­tionen sowie über das Selbst­ver­ständnis liberaler Demokratie. Ralf Fücks fragte provokant, ob die Antwort auf die Krisen eine Rückkehr zum Natio­nal­staat sein könne – oder ob nicht vielmehr gerade trans­na­tionale Gover­nance unver­zichtbar sei.

Ein zentraler Diskus­si­ons­punkt waren auch die Prozesse der zuneh­menden Verrecht­li­chung und Techno­kra­ti­sierung politi­scher Entschei­dungen – etwa durch Verfas­sungs­ge­richte oder supra­na­tionale Insti­tu­tionen. Diese verlagern demokra­tische Entschei­dungs­pro­zesse in juris­tische, supra­na­tionale und techno­kra­tische Räume und entziehen der demokra­ti­schen Arena wesent­liche Gestal­tungs­spiel­räume, so Manow. Die Kritik an dieser „Verrecht­li­chung“ der Politik sei nicht gleich­zu­setzen mit einem autori­tären Angriff – könne aber von Populisten leicht genutzt werden. Manow warnte vor einer „Juris­to­kratie“, in der demokra­tische Gestal­tungs­spiel­räume durch nicht gewählte Instanzen überlagert würden.

Dem wider­sprach das Publikum teilweise heftig – unter anderem durch den Hinweis, dass Rechts­staat­lichkeit und Gewal­ten­teilung konsti­tutive Elemente einer liberalen Demokratie seien.

Die Gretchen­frage: Rückbau oder Reform?

Das Publikum forderte die Disku­tanten schließlich zu einer politi­schen Klärung: Was tun? Kann man Insti­tu­tionen zurück­bauen, ohne die Demokratie zu beschä­digen? Gibt es einen Weg zwischen Re-Natio­na­li­sierung und trans­na­tio­naler Entfremdung?

Wigura warnte abschließend vor der Falle populis­ti­scher Rhetorik: Sie sei oft präzise in der Analyse, aber zerstö­re­risch in der Lösung. Überall dort, wo Populisten regieren, werde ihre Demokra­tie­ver­achtung deutlich – ob in Polen, Ungarn oder den USA unter Trump. Ihre Mahnung: Die liberale Demokratie muss sich erneuern – aber nicht kapitulieren.

„Kämpfe­ri­scher Libera­lismus“ – so lautete am Ende die Losung des Abends. Fücks schloss das Fachge­spräch mit der Forderung nach einer selbst­be­wussten Vertei­digung der liberalen Demokratie – nicht als nostal­gische Rückschau, sondern aus dem Wissen heraus, dass Freiheit keine Selbst­ver­ständ­lichkeit ist. Fazit: Wer den Libera­lismus gegen seine Gegner vertei­digen will, muss ihn zuerst ernsthaft infrage stellen.

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