Gründet Le Pen eine rechte Sammlungsbewegung?

Quelle: Shutter­stock

Marine Le Pen ist angeschlagen. Im Duell mit Macron erwies sie sich als Dilet­tantin. Jetzt wagt die Extre­mistin den Befrei­ungs­schlag. Die Umbenennung ihres „Front National“ in „Rassem­blement National“ deutet an, dass sie die Unter­stützung von Bündnis­partnern sucht, um beim nächsten Mal die Wahl zu gewinnen.

Es ist paradox: der Front National fuhr bei der Wahl 2017 im ersten Wahlgang zwar 7,6 Millionen Wähler­stimmen ein – so viele wie noch nie – empfand diesen Erfolg jedoch als schmerz­hafte Niederlage. Entspre­chend stand für Marine Le Pen beim Parteitag Mitte März einiges auf dem Spiel. Trotz Wiederwahl an der Partei­spitze und zweier gelun­gener PR-Coups blieb der erhoffte Neuanfang jedoch aus.

Was das Wort „rassem­blement“ – vielleicht am besten als „Sammlungs­be­wegung“ verstanden – in der Tat subli­minal ausdrückt, ist die Offenheit zur Zusam­men­arbeit mit Koali­ti­ons­partnern. Allein wird man es im Mehrheits­wahl­recht der franzö­si­schen Präsi­dent­schafts- und Parla­ments­wahlen nicht schaffen. 

Dass es den Front National nach seinem spekta­ku­lären Höhenflug der vergan­genen Jahre überhaupt nach einem Neuanfang dürstet, ist der Drama­turgie des franzö­si­schen Wahlkampfs geschuldet. Das Versagen der Partei­chefin im Finale, kurz vor dem großen Triumph, hat bei vielen Partei­ge­nossen Spuren hinter­lassen, die heute noch nachwirken (wie auch mehrere aktuelle Umfragen deutlich bestä­tigen, siehe hier oder hier). Dass nun ausge­rechnet Marine Le Pen den Neuanfang verkörpern will, obwohl sie sich im TV-Duell als ökono­misch inkom­petent, intel­lek­tuell überfordert und für das Präsi­den­tenamt charak­terlich ungeeignet erwies, kann ein Gutteil der Basis nicht nachvollziehen.

Was bezweckt Le Pen?

Zwei der Höhepunkte des Parteitags von Lille am 10. und 11. März sind auch inter­na­tional ausgiebig kommen­tiert worden. Zum einen der Überra­schungs-Auftritt von Steve Bannon, der sich und seines­gleichen mit markigen Worten als Vorläufer einer weltweiten Bewegung präsen­tierte, der aber wohl mehr als Showeinlage denn als program­ma­ti­scher Vordenker einge­laden wurde. Mit Trump kann man selbst bei den Wutbürgern Frank­reichs nicht nachhaltig punkten.

Zum anderen der Vorschlag zur Namens­än­derung: geht es nach dem Willen der Chefin, werden die Mitglieder in den kommenden Wochen dem neuen Namen „Rassem­blement National“ zustimmen. Doch wie häufig, wenn eine Neuheit monatelang in den Nebel des Geheim­nisses gehüllt wird, entpuppt sie sich schließlich als trivial. Nicht nur, weil in sozialen Netzwerken noch am selben Tag faschis­toide Split­ter­gruppen ausge­graben wurden, denen dieser Name bereits in der Vergan­genheit gedient hat, sondern auch, weil unklar bleibt, auf welche Weise diese wenig einfalls­reiche Umtaufe zum Abbau von Vorbe­halten poten­ti­eller Wähler beitragen soll.

Die bürger­liche Rechte als Steigbügelhalter

Was das Wort „rassem­blement“ – im partei­po­li­ti­schen Zusam­menhang vielleicht am besten als „Zusam­men­kunft“ oder „Sammlungs­be­wegung“ verstanden – aller­dings in der Tat subli­minal ausdrückt, ist eine gewisse Offenheit zur Zusam­men­arbeit mit eventu­ellen Koali­ti­ons­partnern. Allein wird man es im Mehrheits­wahl­recht der franzö­si­schen Präsi­dent­schafts- und Parla­ments­wahlen nicht schaffen, Regie­rungs­ver­ant­wortung zu erlangen.

Dem Anspruch, mit Steig­bü­gel­haltern der bürger­lichen Rechten koali­tions- und regie­rungs­fähig zu werden, wohnt der Hauch eines „Déjà-vu“ inne. Der mit der Geschichte des FN vertraute Beobachter erinnert sich an 1998, als das Propor­tio­nal­wahl­recht bei den Regio­nal­wahlen den Front National zum Zünglein an der Waage machte. Gleich fünf konser­vative Kandi­daten ließen sich allen vorhe­rigen Beteue­rungen zum Trotz von den gewogenen Stimmen der FN-Vertreter zum Präsi­denten ihres jewei­ligen Conseil Régional krönen. Das Einknicken der Parteien RPR und UDF, die in den Républi­cains aufgingen, wurde bis heute im bürgerlich-konser­va­tiven Lager nicht aufge­ar­beitet. Deren neuer Anführer, Laurent Wauquiez, versucht derzeit dem Front National Wähler abzuwerben, indem er dessen Themen und Wortschatz kopiert.

Ein zweites „Déjà-vu“ ist die drohende Spaltung. Dazu kam es zum ersten Mal in der Folge der Regio­nal­wahlen 1998, als die Nummer Zwei der Partei, Bruno Mégret, sich mit Jean-Marie Le Pen insbe­sondere wegen dessen Regie­rungs­ver­wei­gerung und gezielt provo­ka­tiven Entglei­sungen überwarf und das sogenannte Mouvement National Républicain (MNR) ins Leben rief. Bei der Präsi­dent­schaftswahl 2002 entfielen immerhin 2,34% der Stimmen auf Mégret, dessen Frau kurzzeitig ein Bürger­meis­teramt in der Provence eroberte, dem es aber nie gelang, den MNR als echte Alter­native zum FN zu etablieren.

Le Pens Gegner: Gründet Philippot ein zweites UKIP?

Heute geht es Marine Le Pen ähnlich: zwar schaffte sie es, die Kongress­teil­nehmer mit erprobter Wut-Rhetorik hinter sich zu bringen, aber bereits im Vorfeld musste sie den Aderlass relativ bekannter Partei­größen hinnehmen. Darunter insbe­sondere ihr ehema­liger Vertrauter Florian Philippot, dem der Erfolg der in Frank­reich so bezeich­neten „Entteu­felung“ („dédia­bo­li­sation“) des Front National zu verdanken ist und der mittler­weile seine eigene Bewegung „Les Patriotes“ gegründet hat.

Philippot, Mitglied des Europa­par­la­ments seit 2014, verfügt natürlich nicht über die Mittel, in kurzer Zeit eine schlag­kräftige Konkur­renz­partei aufzu­bauen. Aber Le Pen täte gut daran, ihn ernst zu nehmen: Philippot ist Absolvent der ENA („Ecole Nationale de l’Administration“), jener Elite­uni­ver­sität, in der auch Emmanuel Macron und Laurent Wauquiez ausge­bildet wurden. Er steht für eine protek­tio­nis­tische Wirtschafts­po­litik, fordert kompro­misslos den Austritt aus der Europäi­schen Union und wird, anders als Le Pen, diese Haltung mit ökono­mi­schem Sachver­stand auch recht­fer­tigen können. Während Le Pen jetzt plötzlich doch nicht mehr zum Franc zurück­kehren will, weil (zu ihrer Überra­schung) große Teile der Bevöl­kerung bis ins eigene Lager hinein die Gemein­schafts­währung befür­worten, bleibt Philippot seiner Überzeugung treu. Bei einem politi­schen Langstre­cken­rennen könnte sich diese Kohärenz auszahlen. Spricht man ihn auf die Split­ter­größe seiner Partei an, verweist Philippot auf die britische UKIP: Auch die habe „ganz klein angefangen“.

Mobili­sie­rungs­po­tential ist hoch

Ob Le Pen oder Philippot, es wäre töricht, aus der Führungs­schwäche des Natio­nal­po­pu­lismus franzö­si­scher Prägung ein vermin­dertes Mobili­sie­rungs-Potential abzuleiten. Drei Trumpf­karten haben die Natio­nal­po­pu­listen im Ärmel:

Erstens kommt die Auflösung der klassi­schen Links-Rechts-Kategorien als Orien­tie­rungs­punkte des politi­schen Spektrums, von Emmanuel Macron mit dem Bulldozer in Richtung Müllhaufen der Geschichte geschoben, auch den Natio­na­listen zugute: Plötzlich wirkt es glaubhaft, das Etikett „extrême-droite“ als nichts­sagend zurück­zu­weisen und sich jenseits alter Partei­grenzen als Vertei­diger von Blut, Boden und Identität zu positio­nieren, wider das globa­li­sie­rungs­hörige, vater­landslose „Nomadentum“ (O‑Ton Le Pen), wie es Macron angeblich verkörpert.

Macrons Optimismus könnte Ressen­ti­ments weiter anstacheln

Zweitens hat die Bewegung eine durchaus beein­dru­ckende Führungs­per­sön­lichkeit in Reserve: Marion Maréchal-Le Pen, die Nichte Marines, hat sich zwar im Moment aus dem Politik­be­trieb zurück­ge­zogen, wird aber von vielen Partei­mit­gliedern als Zukunfts­hoffnung betrachtet. Die Zeit der 29-Jährigen wird noch kommen, und sie hat das Zeug zur charis­ma­ti­schen Chefin, mit der Gabe, ihre Partei über den angestammten Anhang hinaus wählbar zu machen.

Drittens wird das kultur­pes­si­mis­tische Grund­rau­schen, aus dem sich der franzö­sische Natio­na­lismus nährt, bestehen bleiben. Macrons erstaun­liche Optimismus-Ausstrahlung vermag vielleicht Globa­li­sie­rungs­ängste zu mildern, wird aber die Themen Migration, Islam und Sicherheit nicht von der Tages­ordnung streichen. Auch könnten Macrons Regie­rungs­jahre Ressen­ti­ments gegen Eliten und Intel­lek­tuelle noch verstärken. Das soziale Gefälle zwischen dynami­schen Metro­polen und abgehängter Peripherie wird auch er nicht vollständig einebnen können.

Der franzö­sische Natio­nal­po­pu­lismus hat einen Durch­hänger, aber wie der Kultur­his­to­riker Jean-François Sirinelli vor 20 Jahren zusam­men­fasste, folgte auch im 20. Jahrhundert auf jede Schwä­che­phase sein erneutes Erstarken; immer dann, „wenn die Gärstoffe der Desta­bi­li­sierung am Werk waren: eine längere Stagnation der Wirtschaft, daraus resul­tie­rende soziale Spannungen, ein zunehmend bohrender Zweifel an der liberalen Demokratie.“ Der Erfolg der Präsi­dent­schaft von Emmanuel Macron wird daran zu messen sein, ob es ihm gelingt, die „pathogene Situation“ (Sirinelli), in der ein nicht unwesent­licher Teil der franzö­si­schen Gesell­schaft für Identitäts-Ängste anfällig wird, nachhaltig zu entschärfen.

Seit dem 1. Juni ist die Umbenennung des Front National in Rassem­blement National offiziell. Partei­chefin Le Pen sprach von einem „histo­ri­schen Moment im Leben unserer Bewegung“. Der neue Name stehe für eine strate­gische, metho­dische und politische Neuaus­richtung ihrer Partei.

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