Solida­ri­sches Grund­ein­kommen – Alter Wein in neuen Schläuchen?

Foto: stanjourdan, Paris [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons

Die grüne Sozial­po­li­ti­kerin und ehemalige Gesund­heits­mi­nis­terin Andrea Fischer zur aktuellen Debatte um Hartz IV und öffent­liche Beschäftigungsprogramme.

Solida­ri­sches Grund­ein­kommen – mit dieser Idee des Berliner Bürger­meisters macht die SPD sich gerade kollektiv glücklich. Die rheinland-pfälzische Minis­ter­prä­si­dentin Malu Dreyer träumt sogar vom „Ende von Hartz IV“. Im Koali­ti­ons­vertrag heißt das Ganze prosaisch “sozial­ver­si­che­rungs­pflichtig bezuschusste Arbeits­ver­hält­nisse im sozialen Arbeits­markt“, wofür die Koalition in den nächsten vier Jahren vier Milli­arden Euro reser­viert hat. Der nüchterne Hubertus Heil spricht von „gesell­schaftlich sinnvollen Aufgaben für Langzeitabeitslose“.

Ende von Hartz IV – das klingt für viele Menschen verlo­ckend. Aber davon kann bei den aktuell disku­tieren Vorschlägen keine Rede sein. Es geht um eine überschaubare Zahl staatlich finan­zierter Arbeits­plätze. Die Erinnerung an die depri­mie­renden Ergeb­nisse der Arbeits­be­schaf­fungs­maß­nahmen der 90er Jahre wirkt ernüch­ternd. Die damaligen „ABM-Programme“ wurden ja genau deshalb 2011 einge­stellt, weil sich heraus­stellte, dass sie die Betei­ligten zwar vorüber­gehend in eine mehr oder weniger sinnvolle Beschäf­tigung brachten, aber nicht an den ersten Arbeits­markt heran­führten. Bislang hat noch niemand die Frage beant­wortet, warum das bei einem neuen Versuch anders werden sollte. Überdies gab es Lohnkos­ten­zu­schüsse für Langzeit­ar­beitslose auch bislang. Der neue Ansatz wird daher voraus­sichtlich nur Ersatz für das bisherige Programm sein.

900 000 Menschen sind derzeit langzeit­ar­beitslos. Aber warum sind sie das? In aller Regel finden sie deshalb keinen Arbeits­platz, weil sie persön­liche Handicaps aufweisen: sie sind psychisch oder körperlich nicht belastbar, haben Alkohol- oder andere Sucht­pro­bleme oder sind überschuldet. An der Behebung dieser indivi­du­ellen Probleme müsste jede Strategie ansetzen, sie wieder an reguläre Beschäf­tigung heran­zu­führen. An Nachfrage an Arbeits­kräften fehlt es ja nicht – die Zahl der offenen Stellen liegt bei über einer Million, Tendenz steigend.

Michael Müller hat vorge­schlagen, dass die staatlich geför­derte Beschäf­tigung gesell­schaftlich relevant sein solle. Er nannte die Betreuung von Klein­kindern, die Mitarbeit in Flücht­lings­ein­rich­tungen oder als Helfer in Schulen und anderen kommu­nalen Einrich­tungen. Es ist bereits jetzt absehbar, wie die Debatte verlaufen wird, wenn die Idee Gestalt annimmt. Dann werden sich die betref­fenden Berufs­gruppen dagegen verwahren, dass ihre Arbeit von Menschen mit den genannten Defiziten und ohne hinrei­chende Ausbildung gemacht wird. Zugleich wird darüber geschimpft werden, dass der Staat (in diesem Fall eine Kommune) keine „ordent­lichen“ Arbeits­plätze schafft und auf Kosten der Kinder, der Flücht­linge oder der Schulen sparen will.

Wirklich gelin­gende Programme für Langzeit­ar­beitslose werden weniger sexy sein: Die bereits bestehenden Angebote, in denen Langzeit­ar­beitslose in speziell auf sie zugeschnittene Programm vermittelt werden und ihnen zugleich bei ihren konkreten Problemen geholfen wird, werden verbessert und ausge­weitet werden müssen. In solchen Programmen gibt es auch Arbeits­plätze, die aber nicht Vollzeit ausgeübt werden müssen, das zusätz­liche Geld erhalten die Arbeits­losen weiter vom Staat. Gleich­zeitig braucht es eine Reform der Jobcenter, damit  sie weniger Kontrolleur und Schikaneur und mehr Partner von Arbeits­su­chenden sind.

Es ist eine der charman­testen Ideen des Berliner Bürger­meisters, dass die angebotene Beschäf­tigung freiwillig sein soll. Das wäre sicher umsetzbar angesichts der beträcht­lichen Differenz von 900.000 Langzeit­ar­beits­losen zu 150.000 neu geschaf­fenen Arbeits­plätzen. Aber die Frage wird sein, ob diese Arbeits­plätze die Menschen wirklich in den ersten Arbeits­markt führen werden. Andern­falls müsste man sich von diesem Ziel verab­schieden und über einen dauer­haften „zweiten Arbeits­markt“ sprechen, der aus Steuer­mitteln finan­ziert wird. Wie dieser öffent­liche Beschäf­ti­gungs­sektor aller­dings vom ersten Arbeits­markt abgegrenzt werden soll, statt reguläre Beschäf­tigung zu verdrängen, bleibt eine offene Frage. Niemand hat bisher eine überzeu­gende Antwort auf die Frage gegeben, weshalb ein neuer Anlauf in dieser Richtung bessere Ergeb­nisse als die geschei­terten Modelle der Vergan­genheit liefern sollte.

Der neue Arbeits- und Sozial­mi­nister Hubertus Heil kündigt einen Dialog ohne „heilige Kühe“ an. Dieser Dialog ist notwendig, aber er wird die SPD enttäu­schen. Auch wenn im Rahmen dieses Dialogs über ein Grund­ein­kommen und struk­tu­relle Verän­de­rungen der Arbeitswelt geredet werden wird – es ist nicht erkennbar, dass grund­stür­zende Verän­de­rungen von dieser Bundes­re­gierung gewollt sind. Deshalb ist ein Ende von Hartz IV nicht in Sicht. Vielleicht wird es möglich, freiwillige Arbeits­ge­le­gen­heiten mit finan­zi­eller Unter­stützung der öffent­lichen Hand zu konstru­ieren, was zweifellos erfreulich wäre. Aber jeder Traum von einem bedin­gungs­losen Grund­ein­kommen wird daran zerschellen, dass es keine gesell­schaft­liche Mehrheit dafür geben wird, Leistungen vollkommen von jeder Gegen­leistung zu entkoppeln.

Das wäre auch nicht erstre­benswert. Erwerbs­arbeit hat eine Bedeutung für Menschen, sie gibt ihnen Selbst­achtung, Würde und Stolz. Und: Jede Sozial­leistung wird von arbei­tenden Menschen mit ihren Steuern gezahlt. Sie würden sich zurecht fragen, warum sie für die bloße Selbst­ver­wirk­li­chung von anderen Menschen aufkommen sollten.

Der Begriff des „solida­ri­schen Grund­ein­kommens“ ist daher vor allem ein PR-technisch gelun­gener Coup, zwei positiv besetzte Begriffe zusam­men­zu­führen. Das verführt zu den schönsten Träumen – dabei steckt allen­falls ein verbes­sertes öffent­liches Arbeits­be­schaf­fungs­pro­gramm dahinter. Über das was und wie muss noch gründlich disku­tiert werden.

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