Solidarisches Grundeinkommen – Alter Wein in neuen Schläuchen?
Die grüne Sozialpolitikerin und ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer zur aktuellen Debatte um Hartz IV und öffentliche Beschäftigungsprogramme.
Solidarisches Grundeinkommen – mit dieser Idee des Berliner Bürgermeisters macht die SPD sich gerade kollektiv glücklich. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer träumt sogar vom „Ende von Hartz IV“. Im Koalitionsvertrag heißt das Ganze prosaisch “sozialversicherungspflichtig bezuschusste Arbeitsverhältnisse im sozialen Arbeitsmarkt“, wofür die Koalition in den nächsten vier Jahren vier Milliarden Euro reserviert hat. Der nüchterne Hubertus Heil spricht von „gesellschaftlich sinnvollen Aufgaben für Langzeitabeitslose“.
Ende von Hartz IV – das klingt für viele Menschen verlockend. Aber davon kann bei den aktuell diskutieren Vorschlägen keine Rede sein. Es geht um eine überschaubare Zahl staatlich finanzierter Arbeitsplätze. Die Erinnerung an die deprimierenden Ergebnisse der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der 90er Jahre wirkt ernüchternd. Die damaligen „ABM-Programme“ wurden ja genau deshalb 2011 eingestellt, weil sich herausstellte, dass sie die Beteiligten zwar vorübergehend in eine mehr oder weniger sinnvolle Beschäftigung brachten, aber nicht an den ersten Arbeitsmarkt heranführten. Bislang hat noch niemand die Frage beantwortet, warum das bei einem neuen Versuch anders werden sollte. Überdies gab es Lohnkostenzuschüsse für Langzeitarbeitslose auch bislang. Der neue Ansatz wird daher voraussichtlich nur Ersatz für das bisherige Programm sein.
900 000 Menschen sind derzeit langzeitarbeitslos. Aber warum sind sie das? In aller Regel finden sie deshalb keinen Arbeitsplatz, weil sie persönliche Handicaps aufweisen: sie sind psychisch oder körperlich nicht belastbar, haben Alkohol- oder andere Suchtprobleme oder sind überschuldet. An der Behebung dieser individuellen Probleme müsste jede Strategie ansetzen, sie wieder an reguläre Beschäftigung heranzuführen. An Nachfrage an Arbeitskräften fehlt es ja nicht – die Zahl der offenen Stellen liegt bei über einer Million, Tendenz steigend.
Michael Müller hat vorgeschlagen, dass die staatlich geförderte Beschäftigung gesellschaftlich relevant sein solle. Er nannte die Betreuung von Kleinkindern, die Mitarbeit in Flüchtlingseinrichtungen oder als Helfer in Schulen und anderen kommunalen Einrichtungen. Es ist bereits jetzt absehbar, wie die Debatte verlaufen wird, wenn die Idee Gestalt annimmt. Dann werden sich die betreffenden Berufsgruppen dagegen verwahren, dass ihre Arbeit von Menschen mit den genannten Defiziten und ohne hinreichende Ausbildung gemacht wird. Zugleich wird darüber geschimpft werden, dass der Staat (in diesem Fall eine Kommune) keine „ordentlichen“ Arbeitsplätze schafft und auf Kosten der Kinder, der Flüchtlinge oder der Schulen sparen will.
Wirklich gelingende Programme für Langzeitarbeitslose werden weniger sexy sein: Die bereits bestehenden Angebote, in denen Langzeitarbeitslose in speziell auf sie zugeschnittene Programm vermittelt werden und ihnen zugleich bei ihren konkreten Problemen geholfen wird, werden verbessert und ausgeweitet werden müssen. In solchen Programmen gibt es auch Arbeitsplätze, die aber nicht Vollzeit ausgeübt werden müssen, das zusätzliche Geld erhalten die Arbeitslosen weiter vom Staat. Gleichzeitig braucht es eine Reform der Jobcenter, damit sie weniger Kontrolleur und Schikaneur und mehr Partner von Arbeitssuchenden sind.
Es ist eine der charmantesten Ideen des Berliner Bürgermeisters, dass die angebotene Beschäftigung freiwillig sein soll. Das wäre sicher umsetzbar angesichts der beträchtlichen Differenz von 900.000 Langzeitarbeitslosen zu 150.000 neu geschaffenen Arbeitsplätzen. Aber die Frage wird sein, ob diese Arbeitsplätze die Menschen wirklich in den ersten Arbeitsmarkt führen werden. Andernfalls müsste man sich von diesem Ziel verabschieden und über einen dauerhaften „zweiten Arbeitsmarkt“ sprechen, der aus Steuermitteln finanziert wird. Wie dieser öffentliche Beschäftigungssektor allerdings vom ersten Arbeitsmarkt abgegrenzt werden soll, statt reguläre Beschäftigung zu verdrängen, bleibt eine offene Frage. Niemand hat bisher eine überzeugende Antwort auf die Frage gegeben, weshalb ein neuer Anlauf in dieser Richtung bessere Ergebnisse als die gescheiterten Modelle der Vergangenheit liefern sollte.
Der neue Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil kündigt einen Dialog ohne „heilige Kühe“ an. Dieser Dialog ist notwendig, aber er wird die SPD enttäuschen. Auch wenn im Rahmen dieses Dialogs über ein Grundeinkommen und strukturelle Veränderungen der Arbeitswelt geredet werden wird – es ist nicht erkennbar, dass grundstürzende Veränderungen von dieser Bundesregierung gewollt sind. Deshalb ist ein Ende von Hartz IV nicht in Sicht. Vielleicht wird es möglich, freiwillige Arbeitsgelegenheiten mit finanzieller Unterstützung der öffentlichen Hand zu konstruieren, was zweifellos erfreulich wäre. Aber jeder Traum von einem bedingungslosen Grundeinkommen wird daran zerschellen, dass es keine gesellschaftliche Mehrheit dafür geben wird, Leistungen vollkommen von jeder Gegenleistung zu entkoppeln.
Das wäre auch nicht erstrebenswert. Erwerbsarbeit hat eine Bedeutung für Menschen, sie gibt ihnen Selbstachtung, Würde und Stolz. Und: Jede Sozialleistung wird von arbeitenden Menschen mit ihren Steuern gezahlt. Sie würden sich zurecht fragen, warum sie für die bloße Selbstverwirklichung von anderen Menschen aufkommen sollten.
Der Begriff des „solidarischen Grundeinkommens“ ist daher vor allem ein PR-technisch gelungener Coup, zwei positiv besetzte Begriffe zusammenzuführen. Das verführt zu den schönsten Träumen – dabei steckt allenfalls ein verbessertes öffentliches Arbeitsbeschaffungsprogramm dahinter. Über das was und wie muss noch gründlich diskutiert werden.
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