Es gibt die Zukunft nicht

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Roboter, Algorithmen, Big Data: Für manche Wissen­schaftler verleiht die Digita­li­sierung dem Arbeits­markt ein mensch­liches Antlitz. Andere fürchten, sie könne einen sozial­dar­wi­nis­ti­schen Kampf entfesseln. Warum klaffen Zukunfts­pro­gnosen so weit auseinander?

Zahlreiche Stimmen zur Zukunft des Arbeits­markts sind pessi­mis­tisch. Die berüch­tigte Studie der Forscher Carl Benedict Frey und Michael Osborne von der Elite-Univer­sität Oxford  ist das promi­nen­teste Beispiel für eine Zukunfts­pro­gnose, der zufolge Algorithmen und Roboter uns die Arbeit abnehmen werden und der Arbeits­markt zusam­men­brechen wird. Die Arbeits­menge, die Menschen noch bewäl­tigen, wird sich nach Einschätzung der Studien in den nächsten 20 Jahren um 20 bis 50 Prozent verkleinern. Eine ganze Reihe von Berufen und Berufs­gruppen im Bereich der indus­tri­ellen Produktion werde verschwinden. Ebenfalls würden Berufe im Dienst­leis­tungs­be­reich in großem Stil automa­ti­siert, etwa im arbeits­in­ten­siven Hotel- und Gaststät­ten­ge­werbe. Im Verwal­tungs­be­reich würden recher­che­in­tensive Berufe entbehrlich, in den Medien würden Journa­listen und Kommen­ta­toren durch Big Data-Algorithmen ersetzt. Die sozialen Siche­rungs­systeme seien nicht mehr finan­zierbar, das Vertrauen in das demokra­tische Gemein­wesen werde abnehmen und populis­tische Kapita­lismus- und Globa­li­sie­rungs­kritik noch mehr Befür­worter gewinnen. Die deutsche Demokratie, nach dem Zweiten Weltkrieg mühsam aufgebaut und über Jahrzehnte stabil gewachsen, könne in eine Existenz­krise geraten. 

Portrait von Armin Grunwald

Armin Grunwald ist Physiker, Philosoph und Technik­fol­gen­ab­schätzer. Er leitet mehrere deutsche Einrich­tungen der Technikfolgenabschätzung.

Anderer­seits: Ist das nicht übertrieben? Mensch­liche Arbeit verändert sich seit der Erfindung von Technik – also seit Beginn der Mensch­heits­ge­schichte. Techni­scher Fortschritt wirkte immer als Jobwandler. Technik- oder Freilicht­museen gewähren einen Eindruck von den Arbeits­welten früherer Zeiten. Sie zeigen ausge­storbene Berufe wie Hufschmied, Strumpf­wirker und Gerber. Es entstehen neue Berufe, heute vor allem im Bereich der digitalen Technik. Frühere Automa­ti­sie­rungs­wellen sind auf lange Sicht immer glimpflich, ja positiv verlaufen. Optimis­tische Studien nehmen deshalb an, dass auch die Gesamt­bilanz auf dem Arbeits­markt in der zukünf­tigen Welt der Industrie 4.0 mindestens ausge­glichen sein wird. Und die Autoren dieser Studien glauben, dass es vielleicht sogar mehr, zumindest aber quali­tativ bessere Arbeit für Menschen geben könne.  Digital befeu­ertes Wirtschafts­wachstum und Wertschöpfung könnten den Arbeits­markt insgesamt vergrößern. Auch wenn Roboter und Algorithmen einen wachsenden Teil davon übernähmen, bleibe für uns Menschen genug oder sogar mehr als genug übrig. Denn: Dass Roboter uns ein Stück vom Kuchen wegnehmen, macht nichts, wenn der Kuchen größer wird.

Wir sollten von „Zukünften“ sprechen

Was stimmt denn nun? Müssten nicht die Wissen­schaftler und Zukunfts­for­scher heraus­be­kommen, welche Erzäh­lungen über die Zukunft der Arbeit richtig und falsch sind? Wie kommen mitein­ander unver­einbare Zukunfts­pro­gnosen zu Stande? Richten Wissen­schaftler ihre Schluss­fol­ge­rungen nach den Wünschen der Auftrag­geber; sind sie käuflich? Oder gibt es gute und weniger gute Zukunfts­for­scher? Oder ist die Forschung einfach noch nicht weit genug? Braucht sie mehr Geld und mehr Daten, um die Zukunft voraussagen?

Diese Fragen führen in die Irre. Es ist eine falsche Annahme, dass sich Zukunft erfor­schen lasse wie eine Chemi­kalie im Labor. Man kann Zukunft nicht beobachten, nicht mit dem Fernrohr und nicht mit dem Mikroskop. Es gibt keine Daten aus der Zukunft. Denn es gibt die Zukunft nicht. Der Kirchen­vater Augus­tinus brachte das vor 1600 Jahren auf den Punkt: „Eigentlich kann man gar nicht sagen: Es gibt drei Zeiten, die Vergan­genheit, Gegenwart und Zukunft. Genau würde man vielleicht sagen müssen: Es gibt drei Zeiten, eine Gegenwart in Hinsicht auf die Gegenwart, eine Gegenwart in Hinsicht auf die Vergan­genheit und eine Gegenwart in Hinsicht auf die Zukunft.“

Demnach existiert nur die Gegenwart, in der wir uns Gedanken über Vergan­genheit und Zukunft machen. Wissen­schaft­liche Prognosen sind keine Tatsa­chen­be­richte. Sie geben wieder, was Wissen­schaftler auf der Basis von Argumenten, Theorien und Trends über die Zukunft denken. Und weil die Gegenwart mannig­faltig ist, ist es auch die Zukunft. Sprechen wir deshalb nicht von Zukunft. Sprechen wir lieber von „Zukünften“.

Zukunft ist gestaltbar

Wir wissen nicht, wie die Zukunft der Arbeit aussehen wird. Das ist kein Anlass zur Klage, im Gegenteil: Wir Menschen leben nicht in einer vorher­be­stimmten und vorher­sag­baren Welt. Positiv ließe sich formu­lieren: Die Unsicherheit des Zukunfts­wissens ist Ausdruck der Gestalt­barkeit der Welt. Wie die Arbeitswelt des Jahres 2030 oder 2040 aussehen wird, hängt von ökono­mi­schen, techni­schen und politi­schen Entschei­dungen ab. Wer sich die Zukunft vorher­sagen lasse, habe aufge­geben, sie gestalten zu wollen, hat Karl Popper einmal gesagt.

Daraus folgt natürlich nicht, dass alle Zukunfts­aus­sagen gleich­wertig sind. Über Plausi­bi­li­täten und Wahrschein­lich­keiten kann man streiten. Und aus dem Streit ergeben sich Anhalts­punkte dafür, welche Zukunfts­aus­sagen valider sind als andere.

Wir können nicht wissen, ob die Digita­li­sierung ein Jobwandler oder Jobver­nichter sein wird. Neue kreative und flexible Arbeits­formen könnten die Arbeit mensch­licher machen – oder einen sozial­dar­wi­nis­ti­schen Kampf ohne Solida­rität entfesseln. Daher gilt das „ethische Vorsor­ge­prinzip“: Wissen­schaft, Gewerk­schaften, Arbeit­geber und Sozial­po­litik sollten den Instru­men­ten­kasten für die Ausge­staltung der Arbeitswelt für alle Fälle ausbauen. Wenn die Digita­li­sierung vor allem Jobwandler und nicht Jobver­nichter sein wird, ist diese Aufgabe nicht allzu schwer: Gute Quali­fi­ka­ti­ons­struktur und stetige Weiter­bildung der Beschäf­tigten sind notwendig, um flexibel auf die techni­schen Verän­de­rungen, aber auch auf mögliche Verschie­bungen in der Beschäf­ti­gungs­struktur reagieren zu können.

Wenn jedoch die Gesamt­menge der mensch­lichen Arbeit drastisch schrumpfen würde, wäre das nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte System gesell­schaft­licher Stabi­lität nicht mehr lebens­fähig. Für eine solche Entwicklung müssten ganz andere Instru­mente entwi­ckelt werden: das erwerbs­freie Grund­ein­kommen, neue gesell­schaft­liche Wertschätzung für Arbeits­formen außerhalb der tradi­tio­nellen Erwerbs­arbeit, die Sicherung der öffent­lichen Finanzen und sozialen Siche­rungs­systeme in Zeiten stark abneh­menden Lohnsteu­er­auf­kommens durch die Besteuerung von Roboter­arbeit, inter­na­tionale Überein­kommen zur Gestaltung der globalen Arbeits­teilung in der digitalen Welt und vieles mehr. Hier sind kreative Wissen­schaftler gefragt, die vorausdenken.

Verweis: A. Grunwald (2018): Der unter­legene Mensch. Digita­li­sieren wir uns mit Robotern, Algorithmen und Künst­licher Intel­ligenz selbst weg? München: RIVA Verlag

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