Warum Viktor Orban noch besiegt werden könnte

Quelle: Annika Haas (EU2017EE)/Flickr

Am Sonntag wird in Ungarn das Parlament neu gewählt. Obwohl Fidez in Meinungs­um­fragen über einen guten Vorsprung verfügt und alle Insti­tu­tionen des immer autokra­ti­scheren politi­schen Systems der regie­renden Partei Unter­stützung leisten, ist der Wahlausgang offen. Die Wahlen können erneut mit einer Zweidrit­tel­mehrheit für die Fidesz enden – oder damit, dass aus Fidesz eine Minder­heits­partei wird; und zwar aus drei Gründen:

1. Fidesz verfügt über eine parla­men­ta­rische Mehrheit. Doch sie verfügt über keine Mehrheit in der Gesellschaft

Die Mehrheit von Fidesz im Partei­en­system erklärt sich dadurch, dass die die Partei lange Zeit eine große Wähler­schaft von fast 2 Millionen Ungarn hinter sich hatte, während die Opposition zersplittert war. Viktor Orbán bezeichnet diese Konstel­lation als „zentrales Kraftfeld“. Die Opposi­ti­ons­partei rechts der Fidesz ist Jobbik, während die Linke geteilt ist und aus vielen mitein­ander konkur­rie­renden Parteien besteht (Ungarische Sozia­lis­tische Partei [MSZP], Demokra­tische Koalition [DK], Politik kann anders sein [LMP], Dialog [PM], Gemeinsam [Együtt], Momentum usw.). Das ungarische Wahlsystem bevor­teilt die stärkste Partei; 106 der 199 Sitze der Natio­nal­ver­sammlung reprä­sen­tieren Wahlkreise, für die jeweils nur ein Vertreter gewählt werden kann. Wenn also die Opposi­ti­ons­par­teien nicht eng zusam­men­ar­beiten, verteilen sich die Stimmen der Opposi­ti­ons­wähler auf viele Kandi­daten verschie­dener Parteien und die Fidesz gewinnt das Mandat mit großer Mehrheit. So siegte die Fidesz 2014 in 96 der 106 Wahlbe­zirke mit nur einem Mandat und für die Opposition blieben nur 10 Sitze übrig, obwohl die Opposition insgesamt mehr Stimmen als die Fidesz erhalten hatte (für letztere wurden in der Liste der natio­nalen Parteien 44 % der Stimmen ausge­wiesen, während die Liste der damaligen Mitte-Links-Parteien, Jobbik und LMP insgesamt 52 % der Stimmen erhalten hatte). 2014 sicherte dies der Fidesz eine Zweidrit­tel­mehrheit in der Natio­nal­ver­sammlung, obwohl die Partei nur von einer Minderheit der Bevöl­kerung unter­stützt wird. Darüber hinaus gelang es der Fidesz selbst bei dem gegen­wärtig gültigen Wahlsystem trotz ihrer stabilen Popula­ri­täts­werte nicht, bei wichtigen Nachwahlen im Zeitraum von 2014 bis 2018 einen Sieg zu erringen. Falls die Opposition eine auch nur mäßige Zusam­men­arbeit zustande bringt und die Wahlbe­tei­ligung hoch ist, wird die stabile, jedoch kaum zu vergrö­ßernde Wähler­basis der Fidesz für einen Wahlsieg nicht ausreichen. Demzu­folge hängt das Ergebnis der bevor­ste­henden Wahlen vor allem vom Umfang der Wahlbe­tei­ligung ab. Wenn diese mehr als 70 % erreicht, könnte die regie­rende Partei in eine schwierige Lage geraten.

2. Die Opposition kann sich bis zum letzten Moment auf Einheits­kan­di­daten einigen

Zwar wird es keine umfas­sende Abstimmung zwischen den Opposi­ti­ons­partien hinsichtlich einer Zusam­men­arbeit in den Wahlkreisen mit nur einem Mandat geben – insbe­sondere nicht zwischen Jobbik und links­ge­rich­teten Parteien. Jedoch können Kandi­da­turen bis zum letzten Moment zurück­ge­zogen werden. Solche Entschei­dungen werden vor allem von Vertretern kleiner Parteien gefällt und wahrscheinlich wird dies bis zu den Wahlen noch häufiger geschehen. Darüber hinaus wird es Wahlkreise geben, in denen zwar Kandi­da­turen nicht wirklich zurück­ge­zogen werden, aber Parteien ihre Wähler auffordern, „den Opposi­ti­ons­kan­di­daten zu finden, der die größten Gewinn­chancen hat“. Es ist offen­sichtlich, dass die Opposi­ti­ons­par­teien in den Wahlkreisen mit nur einem Mandat unter großem Druck stehen, ihre Kandi­daten zugunsten der jeweils anderen Opposi­ti­ons­par­teien zurück­zu­ziehen. Die meinungs­bil­denden Kräfte der Opposition und eine beträcht­liche Zahl aktiver Wähler wollen die Parteien dazu zwingen, sich in den Wahlkreisen mit nur einem Mandat abzustimmen. Die Parteien sind daran nicht immer inter­es­siert; sie streben nach Opposi­ti­ons­füh­rer­schaft und nicht nach einem Wahlsieg. Außerdem fürchten sie, sie könnten ihre Kernwäh­ler­schaft verlieren. Sie sind nicht sicher, ob die Aussicht, dass ein Einheits­kan­didat der Opposition genug neue Wähler mobili­sieren würde. Auch gibt es in den Opposi­ti­ons­par­teien und in ihrem Umfeld viele Personen, die das Interesse der Regierung vertreten und die Wähler­meinung beein­flussen. Auch sie stellen ein Hindernis für die Zusam­men­arbeit dar.

3. Etliche Korrup­ti­ons­skandale schaden dem Image von Fidesz

Es gab in Ungarn noch nie eine Wahlkam­pagne, bei der Korrup­ti­ons­skandale der Regierung mit so großer Inten­sität offen­gelegt worden sind. Es geht hier nicht um einige wenige Fälle, sondern um eine Vielzahl von Skandalen, in die Politiker der Fidesz verwi­ckelt sind. Dies ist zum einen dadurch zu erklären, dass die syste­mische Korruption in den vergan­genen Jahren ein Rekordhoch erreicht hat. Zum anderen hat sich Lajos Simicska, der früher der Fidesz verbundene Oligarch und Medien­mogul, vom Premier­mi­nister abgewandt und die Veröf­fent­li­chung von entspre­chenden Infor­ma­tionen offen­sichtlich auf den Ablauf der Wahlkam­pagne abgestimmt. Aller­dings ist die Wirkung dieser Offen­le­gungen auf die Wähler­schaft nicht genau vorher­zu­sagen. Am wahrschein­lichsten ist, dass die Unter­stützer der Fidesz ihre Meinung nicht ändern werden, solange keine unmit­telbar gegen Viktor Orbán sprechenden und völlig unwider­leg­baren Beweise auftauchen.

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