Warum Viktor Orban noch besiegt werden könnte
Am Sonntag wird in Ungarn das Parlament neu gewählt. Obwohl Fidez in Meinungsumfragen über einen guten Vorsprung verfügt und alle Institutionen des immer autokratischeren politischen Systems der regierenden Partei Unterstützung leisten, ist der Wahlausgang offen. Die Wahlen können erneut mit einer Zweidrittelmehrheit für die Fidesz enden – oder damit, dass aus Fidesz eine Minderheitspartei wird; und zwar aus drei Gründen:
1. Fidesz verfügt über eine parlamentarische Mehrheit. Doch sie verfügt über keine Mehrheit in der Gesellschaft
Die Mehrheit von Fidesz im Parteiensystem erklärt sich dadurch, dass die die Partei lange Zeit eine große Wählerschaft von fast 2 Millionen Ungarn hinter sich hatte, während die Opposition zersplittert war. Viktor Orbán bezeichnet diese Konstellation als „zentrales Kraftfeld“. Die Oppositionspartei rechts der Fidesz ist Jobbik, während die Linke geteilt ist und aus vielen miteinander konkurrierenden Parteien besteht (Ungarische Sozialistische Partei [MSZP], Demokratische Koalition [DK], Politik kann anders sein [LMP], Dialog [PM], Gemeinsam [Együtt], Momentum usw.). Das ungarische Wahlsystem bevorteilt die stärkste Partei; 106 der 199 Sitze der Nationalversammlung repräsentieren Wahlkreise, für die jeweils nur ein Vertreter gewählt werden kann. Wenn also die Oppositionsparteien nicht eng zusammenarbeiten, verteilen sich die Stimmen der Oppositionswähler auf viele Kandidaten verschiedener Parteien und die Fidesz gewinnt das Mandat mit großer Mehrheit. So siegte die Fidesz 2014 in 96 der 106 Wahlbezirke mit nur einem Mandat und für die Opposition blieben nur 10 Sitze übrig, obwohl die Opposition insgesamt mehr Stimmen als die Fidesz erhalten hatte (für letztere wurden in der Liste der nationalen Parteien 44 % der Stimmen ausgewiesen, während die Liste der damaligen Mitte-Links-Parteien, Jobbik und LMP insgesamt 52 % der Stimmen erhalten hatte). 2014 sicherte dies der Fidesz eine Zweidrittelmehrheit in der Nationalversammlung, obwohl die Partei nur von einer Minderheit der Bevölkerung unterstützt wird. Darüber hinaus gelang es der Fidesz selbst bei dem gegenwärtig gültigen Wahlsystem trotz ihrer stabilen Popularitätswerte nicht, bei wichtigen Nachwahlen im Zeitraum von 2014 bis 2018 einen Sieg zu erringen. Falls die Opposition eine auch nur mäßige Zusammenarbeit zustande bringt und die Wahlbeteiligung hoch ist, wird die stabile, jedoch kaum zu vergrößernde Wählerbasis der Fidesz für einen Wahlsieg nicht ausreichen. Demzufolge hängt das Ergebnis der bevorstehenden Wahlen vor allem vom Umfang der Wahlbeteiligung ab. Wenn diese mehr als 70 % erreicht, könnte die regierende Partei in eine schwierige Lage geraten.
2. Die Opposition kann sich bis zum letzten Moment auf Einheitskandidaten einigen
Zwar wird es keine umfassende Abstimmung zwischen den Oppositionspartien hinsichtlich einer Zusammenarbeit in den Wahlkreisen mit nur einem Mandat geben – insbesondere nicht zwischen Jobbik und linksgerichteten Parteien. Jedoch können Kandidaturen bis zum letzten Moment zurückgezogen werden. Solche Entscheidungen werden vor allem von Vertretern kleiner Parteien gefällt und wahrscheinlich wird dies bis zu den Wahlen noch häufiger geschehen. Darüber hinaus wird es Wahlkreise geben, in denen zwar Kandidaturen nicht wirklich zurückgezogen werden, aber Parteien ihre Wähler auffordern, „den Oppositionskandidaten zu finden, der die größten Gewinnchancen hat“. Es ist offensichtlich, dass die Oppositionsparteien in den Wahlkreisen mit nur einem Mandat unter großem Druck stehen, ihre Kandidaten zugunsten der jeweils anderen Oppositionsparteien zurückzuziehen. Die meinungsbildenden Kräfte der Opposition und eine beträchtliche Zahl aktiver Wähler wollen die Parteien dazu zwingen, sich in den Wahlkreisen mit nur einem Mandat abzustimmen. Die Parteien sind daran nicht immer interessiert; sie streben nach Oppositionsführerschaft und nicht nach einem Wahlsieg. Außerdem fürchten sie, sie könnten ihre Kernwählerschaft verlieren. Sie sind nicht sicher, ob die Aussicht, dass ein Einheitskandidat der Opposition genug neue Wähler mobilisieren würde. Auch gibt es in den Oppositionsparteien und in ihrem Umfeld viele Personen, die das Interesse der Regierung vertreten und die Wählermeinung beeinflussen. Auch sie stellen ein Hindernis für die Zusammenarbeit dar.
3. Etliche Korruptionsskandale schaden dem Image von Fidesz
Es gab in Ungarn noch nie eine Wahlkampagne, bei der Korruptionsskandale der Regierung mit so großer Intensität offengelegt worden sind. Es geht hier nicht um einige wenige Fälle, sondern um eine Vielzahl von Skandalen, in die Politiker der Fidesz verwickelt sind. Dies ist zum einen dadurch zu erklären, dass die systemische Korruption in den vergangenen Jahren ein Rekordhoch erreicht hat. Zum anderen hat sich Lajos Simicska, der früher der Fidesz verbundene Oligarch und Medienmogul, vom Premierminister abgewandt und die Veröffentlichung von entsprechenden Informationen offensichtlich auf den Ablauf der Wahlkampagne abgestimmt. Allerdings ist die Wirkung dieser Offenlegungen auf die Wählerschaft nicht genau vorherzusagen. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Unterstützer der Fidesz ihre Meinung nicht ändern werden, solange keine unmittelbar gegen Viktor Orbán sprechenden und völlig unwiderlegbaren Beweise auftauchen.
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