Ist der Aufstieg Chinas eine Illusion?
Pekings Politik beruht auf falschen Annahmen, denn sie erfasst keine realistischen demografischen Daten, kritisiert Fuxian Yi. Die alternde Gesellschaft und geringe Geburtenrate werden sich negativ auf die Wirtschaft auswirken.
Das hatten sich viele Chinesen lange gewünscht: 2016 wurde endlich die Ein-Kind-Politik abgeschafft. Seither dürfen Paare zwei, seit Juli 2021 sogar drei Kinder bekommen. Und doch bekommen die meisten Chinesen nur ein Kind oder verzichten ganz auf Nachwuchs. Mitten in der Pandemie, die in China kein Ende nimmt, in Zeiten hoher Jugendarbeitslosigkeit und steigenden Lebensunterhalts- und Bildungskosten schieben viele Paare das Heiraten und Kinderkriegen auf.
Im Jahr 2020 wurden offiziell nur zwölf Millionen Babys geboren, so wenige wie zuletzt 1960. In diesem Jahr erwarten Demografen ein Rekordtief – und stellen alle bisherigen Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung in China infrage.
„Nach meinen Berechnungen wurden 2021 nicht 1,16, sondern nur 0,9 Kinder pro Frau geboren“, sagt Fuxian Yi, Experte für Geburtshilfe und Gynäkologie an der University of Wisconsin. Er ist ein bekannter Kritiker von Pekings Familienpolitik, demografische Daten aus China hält er nicht für verlässlich.
„Die Zahl der Geburten in China wird seit 1990 überschätzt und die der Gesamtbevölkerung dementsprechend auch“, sagt Yi. In China lebten heute keine 1,41 Milliarden Menschen, wie die Behörden behaupten, sondern weniger als 1,28 Milliarden.
Für seine Berechnungen, die er in seinem Buch „Big Country with an Empty Nest“ vorstellt, vergleicht er unter anderem offizielle Zahlen von Geburten und Einschulungen und stellt so Diskrepanzen fest. Lokale Behörden würden oft Zahlen aufblasen, um mehr finanzielle Mittel einzusammeln. „Die Zahl an Schülern oder Studenten wird höher angegeben als sie ist, um Bildungssubventionen zu erhalten“, sagt Yi.
Es ist nicht nur die geringe Zahl von Geburten, die China zu schaffen macht. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung immer älter wird. Beides zusammen wirke sich langfristig negativ auf die Wirtschaft aus, warnt Yi. Eine alternde Bevölkerung könne die ehrgeizigen Pläne der Regierung nicht umsetzen.
Rentenfonds geht bald das Geld aus
Auch das Gesundheitssystem werde durch die wachsende Zahl alter Menschen belastet. Die Chinesische Akademie der Wissenschaften prognostizierte schon 2019, dass dem staatlichen Rentenfonds bis 2035 das Geld ausgehen werde.
Mit Blick auf diese Zahlen sagt Yi: „Die Vorhersagen der internationalen Gemeinschaft über den Aufstieg Chinas sind falsch.“ Die Sorge westlicher Staaten, China werde bis 2030 sogar die Vereinigten Staaten überholen, hält er für unbegründet.
„Chinas Aufstieg wird vorübergehend sein. Was folgt ist ein rascher, langfristiger Niedergang“, sagt Yi. Verantwortlich dafür sei die chinesische Führung, die in einem „Informationskokon“ lebe und keine realistischen demografischen Daten erfasse.
Stattdessen werde strategisch expandiert – mit äußerst gefährlichen Folgen. Pekings Wirtschafts‑, Sozial‑, und Verteidigungspolitik sowie die Politik anderer Länder gegenüber China basieren laut Yi alle auf den falschen Bevölkerungsdaten.
Die falsche Prognose, China werde die Wirtschaft der USA überholen, verschlechtere das Verhältnis zwischen Peking und Washington. Bis etwa 2035 werde China in allen demografischen Parametern schlechter abschneiden als die USA. „China wird die Wirtschaft der USA nicht überholen, geschweige denn doppelt oder dreifach so groß werden“, sagt Yi.
Bislang ist es der chinesischen Regierung nicht gelungen, den Abwärtstrend bei den Geburten aufzuhalten. Im Jahr 2021 war die Fertilitätsrate (Kinder pro Frau) mit 1,16, eine der niedrigsten der Welt. Zum Vergleich: In Deutschland betrug sie 1,57, in den Vereinigten Staaten 1,65 und in Indien 2,0. Laut dem UN-Bericht „World Population Prospects 2022“ verzeichnet China bereits jetzt ein negatives Bevölkerungswachstum – es sterben also mehr Menschen als geboren werden.
Knallharte Null-Covid-Politik
Dass weniger Kinder geboren werden, liegt auch an der Pandemie – und die scheint in China kein Ende zu nehmen. Derzeit sind 33 Städte mit insgesamt rund 65 Millionen Einwohnern von Corona-Beschränkungen betroffen. Die strenge Null-Covid-Politik von Staatspräsident Xi Jinping wird seit zweieinhalb Jahren eisern aufrechterhalten. Infolge steigt die Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Menschen: Im Juli war laut offiziellen Daten jeder Fünfte unter 25 Jahren arbeitslos.
Gleichzeitig explodieren die Lebenshaltungskosten in den Städten und die Kosten für Bildung. In den vergangenen beiden Jahren fanden laut dem Statistischen Jahrbuch für chinesische Zivilangelegenheiten 850.000 weniger Eheschließungen statt als in den Jahren zuvor, ähnliches ist für 2022 zu erwarten. Für das kommende Jahr ist deswegen auch mit einem erneuten Geburtenrückgang zu rechnen.
Um die Menschen anzuregen, sich für mehr Kinder zu entscheiden, handelt Peking ähnlich wie Japan, das seit Langem bekannt ist für seine alternde Bevölkerung: Die Kosten für Kinderbetreuung und Bildung wurden gesenkt, junge Paare erhalten Wohnbeihilfen, der Mutterschutz wurde verlängert und es gibt Geld für ein drittes Kind. In Peking bekommen nun sogar alleinerziehende Mütter Zuschüsse im Mutterschutz, dafür brauchte es bisher eine Heiratsurkunde.
In Japan hat sich dieser Ansatz bereits als teuer und ineffizient erwiesen, er hat nicht zu einem Anstieg der Fruchtbarkeitsrate geführt. Auch in China haben die Maßnahmen bisher nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Vielleicht wird deswegen parallel auch zu drastischeren Mitteln gegriffen.
Abtreibungen erschwert
So wird Frauen seit diesem Jahr der Zugang zu Abtreibungen erschwert, nur noch „medizinisch notwendige“ Schwangerschaftsabbrüche sollen durchgeführt werden. Der Staat zwingt Frauen ungewollte Kinder zu bekommen, um seine Bevölkerung zu vergrößern.
Bleiben all diese Bemühungen erfolglos, wird die Gesamtbevölkerung von derzeit 1,28 auf 1,02 Milliarden im Jahr 2050 sinken, sagt Yi voraus. Der Glaubenssatz „Der Osten wächst, während der Westen schrumpft“ wäre damit Geschichte.
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