Nachruf auf John Kornblum

Foto: www.stephan-roehl.de, CC BY-SA 2.0 DEED

Ein Nachruf auf den Grün­dungs­ge­sell­schafter des Zentrums Liberale Moderne

John Kornblum war gelebte Geschichte. Geboren noch während des zweiten Welt­kriegs, umspannte sein poli­ti­sches Leben den Kalten Krieg und das Ende des sowje­ti­schen Imperiums, den demo­kra­ti­schen Aufbruch in Mittel-Osteuropa und die Kriege im zerfal­lenden Jugo­sla­wien, die Abrüs­tungs­di­plo­matie und die russi­schen Kriege gegen die Ukraine. Er stand wie kaum ein anderer für die deutsch-ameri­ka­ni­schen Bezie­hungen und blieb Deutsch­land zeit­le­bens verbunden.

Manchmal hatte man den Eindruck, dass er die Deutschen besser kannte als wir selbst – die Tendenz, uns die Welt schön­zu­färben, die Anfäl­lig­keit für deutsch-russische Senti­men­ta­lität, die anti­west­liche Tiefen­strö­mung und die zwischen Bewun­de­rung und Verach­tung schwan­kende Ambi­va­lenz im Verhältnis zu Amerika.

Seine Affinität für Deutsch­land hatte familiäre Wurzeln. Die Groß­el­tern waren Ende des 19. Jahr­hun­derts aus Ostpreußen in die USA ausge­wan­dert. Er war sich dieser deutsch-ameri­ka­ni­schen Tradi­ti­ons­linie sehr bewusst. Für ihn war die trans­at­lan­ti­sche Allianz sehr viel mehr als ein Sicher­heits­bündnis. Es beruhte auf der Geis­tes­ver­wandt­schaft zwischen den demo­kra­ti­schen Bestre­bungen in Europa und der ameri­ka­ni­schen Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung. Nüchterne Real­po­litik war ihm ein Mittel, die liberalen Werte zu vertei­digen. Er glaubte an die Stärke der Demo­kratie und die Anzie­hungs­kraft der Freiheit. Gleich­zeitig hatte ihn seine Erfahrung gelehrt, dass nur Stärke den Frieden gegenüber gewalt­be­reiten Mächten sichern kann.

John trat bereits als junger Mann in den diplo­ma­ti­schen Dienst der Verei­nigten Staaten ein. Seine erste Auslands­mis­sion führte ihn als Vize­konsul nach Hamburg. Deutsch­land blieb sein zentrales Betä­ti­gungs­feld. Er war dabei, als Ronald Reagan 1987 an der Berliner Mauer seinen berühmten Appell „Mr. President, tear down this wall“ an Gorbat­schow richtete. Real­po­litik hieß eben nicht, sich mit dem Status quo zu arran­gieren. Wenn sich die Gele­gen­heit zur Verän­de­rung bot, musste man sie nutzen.

Als Anfang der 90er Jahre die Hoffnung auf ein vereintes, fried­li­ches Europa einen ersten brutalen Rück­schlag erfuhr, ernannte ihn Bill Clinton zum Sonder­bot­schafter für Bosnien. Es dauerte drei blutige Jahre, bis die inter­na­tio­nale Gemein­schaft sich zu einer mili­tä­ri­schen Inter­ven­tion aufraffte, um den ersten ethni­schen Vernich­tungs- und Vertrei­bungs­krieg auf euro­päi­schem Boden seit dem Ende des Zweiten Welt­kriegs zu beenden. John war maßgeb­lich an den Verhand­lungen um das Frie­dens­ab­kommen von Dayton beteiligt.

1997 wurde er – endlich – zum ameri­ka­ni­schen Botschafter in Deutsch­land ernannt. Man konnte sich keinen Besseren denken. Er konnte sich kritische Anmer­kungen und Erwar­tungen an die Adresse der deutschen Politik leisten, weil sie von Empathie getragen waren. Das trans­at­lan­ti­sche Bündnis blieb für ihn der Eckpfeiler der euro­päi­schen Sicher­heits­ar­chi­tektur. Zugleich wurde er nicht müde, mehr sicher­heits­po­li­ti­sche Verant­wor­tung Deutsch­lands einzu­for­dern. Er sah voraus, dass die Asym­me­trie zwischen Bürden und Vorteilen früher oder später zu Konflikten zwischen Washington und Berlin führen musste.

Nach seinem Abschied aus dem diplo­ma­ti­schen Dienst blieb er beruflich und politisch in Berlin aktiv, eine feste Größe in den außen- und sicher­heits­po­li­ti­schen Debatten. Als wir ihn 2017 fragten, ob er sich als Gesell­schafter an der Gründung des „Zentrum Liberale Moderne“ betei­ligten wollte, war er sofort mit an Bord. Er verstand viel­leicht besser als wir, dass die liberalen Demo­kra­tien in eine neue Phase der Gefähr­dung von innen und außen einge­treten waren. Von innen durch popu­lis­ti­sche, in der Wolle autoritär und natio­na­lis­tisch gefärbte Parteien und Führer­fi­guren, von außen durch Morgen­luft witternde auto­ri­täre Mächte mit Russland, China und dem Iran an der Spitze. Auch das war für ihn eine trans­at­lan­ti­sche Heraus­for­de­rung, die nur gemeinsam zu bewäl­tigen war.

Er machte sich zuneh­mende Sorgen, dass Deutsch­land ökono­misch und politisch außer Tritt geraten könnte. Ökono­misch, weil wir den Anschluss an die digitale Revo­lu­tion zu verpassen drohen; politisch weil wir uns mit dem Menta­li­täts­wechsel zu einer robusten Sicher­heits­po­litik so schwer tun. Die Ukraine war für ihn der Lack­mus­test auf die Hand­lungs­fä­hig­keit des Westens. John blieb bis zuletzt ein wacher, streit­barer Geist mit einem großen histo­ri­schen Horizont. Seine letzte Lebens­phase verbrachte er krank­heits­be­dingt mit seiner Frau in Tennessee. Er wäre gern noch einmal nach Berlin zurück­ge­kehrt, doch es sollte nicht mehr sein. Am 21. Dezember ging er auf seine letzte Reise. Seine Stimme fehlt, gerade jetzt.

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