Besser nicht zu nah an Deutschland!

Im Windschatten der Amtsübergabe des scheidenden Präsidenten Andrzej Duda an seinen Nachfolger Karol Nawrocki strich das polnische Außenministerium die Stelle des Beauftragten für die deutsch-polnischen Beziehungen mit sofortiger Wirkung. Die Entscheidung kam überraschend. Wie es dazu kam und was die Hintergründe sind, beleuchtet Stephan Stach.
Die Personalie
Das Ministerium verkündete seine Entscheidung am Abend des 5. Augusts auf seinem X‑Account, eine entsprechende Verfügung erließ Minister Radosław Sikorski am Tag darauf. Die polnischen Medien ordneten diesen Schritt in erster Linie im Kontext einer medialen Auseinandersetzung um die Person des Beauftragten, den Historiker Krzysytof Ruchniewicz, ein. Vor dem Post des Ministeriums auf X war am Morgen des 5. Augusts in der Tageszeitung Rzeczpospolita ein langer Beitrag veröffentlicht worden: Ruchniewicz habe als Direktor des dem Kulturministerium unterstehenden Pilecki-Instituts eine Seminarreihe angeregt, diese solle sich mit einer möglichen Rückgabe von Kulturgütern aus polnischen Beständen an andere Länder befassen. Unter Verweis auf seine Rolle als Beauftragter für die deutsch-polnischen Beziehungen folgerte der Autor des Beitrags, Maciej Miłosz, Ruchniewicz plane eine solche Rückgabe an Deutschland. Darauf aufbauend erhob Miłosz den Vorwurf, der Historiker handele gegen die Interessen des polnischen Staates und äußerte gar den Verdacht, er sei vor seiner Berufung nicht ausreichend von den Sicherheitsdiensten überprüft worden.
Kritik nicht mehr nur von PiS
Ruchniewicz stand seit seiner Ernennung im Juni letzten Jahres wegen seiner Nähe zu Deutschland unter Beschuss der PiS und der ihr nahestehenden Presse. Von 2002 bis 2024 hatte er in Breslau das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst kofinanzierte Willy-Brandt-Zentrum an der Universität Breslau geleitet. Enge Kontakte nach Deutschland pflegt er seit den 1990er Jahren und ist hier gut vernetzt. Den Unmut der PiS zog er bereits 2022 auf sich, als er die von der damaligen Regierung erhobenen Reparationsforderungen vehement kritisierte, was er auch wissenschaftlich untermauerte. Für die PiS stand also von vornherein fest, dass Ruchniewicz deutsche und nicht polnische Interessen vertrete.
Diese Anschuldigungen ließen sich freilich als Propaganda gegen die Regierung Donald Tusks abtun. Doch damit, dass nun die Rzeczpospolita ebensolche Vorwürfe erhob, änderte sich die Situation grundlegend: Die Zeitung steht nicht im Verdacht ein Sprachrohr der PiS zu sein, sie hat diese bereits vielfach kritisiert. Entsprechend löste der Bericht eine Empörungswelle aus, die weit über die Grenzen der PiS-Anhängerschaft hinausging. Viele polnische Medien werten die Streichung des Postens indes als Notbremse: Das Außenministerium habe somit verhindern wollen, mit in den Strudel des Skandals hineingezogen zu werden.
Distanz zu Deutschland und zu einem liberalen Kurs
Es leuchtet ein, dass ein mit solchen Vorwürfen konfrontierter Deutschlandbeauftragter für das Ministerium zur Belastung wird. Warum aber wird dieser nicht einfach ausgetauscht, sondern gleich die ganze Stelle gestrichen? Offenbar gibt es einen Zusammenhang mit der Regierungsumbildung und der damit verbundenen Neuausrichtung nach der für die liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) verlorene Präsidentschaftswahl. Der Sieg des PiS und das unerwartet starke Abschneiden der Konfederacja im ersten Wahlgang haben nationalistischen Sichtweisen in der öffentlichen Debatte Oberwasser beschert. Die Regierung reagierte, indem sie sich nun ein deutlich konservativeres Profil gibt, etwa durch die Abschaffung des Gleichstellungsministeriums. Die Wahrnehmung, sie verhalte sich Deutschland gegenüber zu konziliant, wird in diesem Zuge offensichtlich ebenfalls als offene Flanke für Attacken von rechts betrachtet, die es zu schließen gilt.
Die Unterstellung einer zu großen Nähe Donald Tusks zu Deutschland ist ein Topos, dem sich die PiS seit zwanzig Jahren bedient. Zunächst war es der Großvater Tusks, der als Einwohner Danzigs während des Zweiten Weltkriegs in der Wehrmacht dienen musste. Mit Verweis auf den „Wehrmachts-Opa“ hatte die PiS im Präsidentschaftswahlkampf 2005 den Patriotismus des Enkels in Zweifel gezogen. Inzwischen wurde daraus die Behauptung, die PO trete grundsätzlich zu nachgiebig gegenüber Deutschland auf. Gegenüber einem Deutschland, das Polen kleinhalten wolle und seine Interessen ignoriere. Letzteres Argument verfängt durchaus: Deutschlands langes Festhalten an Nordstream II ist in Polen noch gut in Erinnerung.
Der Vorwurf: Deutsche Dominanz
Jenseits der verbissenen antideutschen Haltungen der PiS hat sich mittlerweile in der polnischen Gesellschaft mehrheitlich die Ansicht durchgesetzt, Polen sollte sich nicht von den Deutschen unterbuttern lassen. Die Auffassung hat sich durchgesetzt, dass die deutsch-polnischen Beziehungen ein Ungleichgewicht zu Ungunsten Polens aufweisen. Anna Kwiatkowska, Deutschlandexpertin des Think Tanks OSW, führt dies darauf zurück, dass sich Politiker und andere polnische Akteure lange von deutscher Softpower hätten einwickeln lassen. Eines der aufgeführten Argumente: Sogar in Fragen der polnischen Interessen gegenüber Deutschland sei der Rat der in Warschau vertretenen parteinahen deutschen Stiftungen eingeholt worden.
Geschichtsaufarbeitung…
Als Ende 2023, nachdem die PiS acht Jahre an der Macht gewesen war, eine neue Regierung unter Führung der PO antrat, hatte sie sich durchaus auf diese Gemengelage eingestellt. Deutschland gegenüber positionierte sich die Partei zurückhaltender als noch vor 2015. Zwar hatte Außenminister Sikorski seinen Antrittsbesuch in Berlin im Januar 2024 als Schritt in Richtung Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen bezeichnet. Zugleich machte er aber deutlich, dass ein partnerschaftliches Verhältnis beider Länder nicht bedeuten dürfe, dass Polen seine eigenen Interessen hintenanstelle. Dies gelte sowohl für die Forderung nach der Einrichtung eines Gedenkortes für die polnischen Opfer des Kriegs in Berlin als auch für deutsche Wiedergutmachungszahlungen zum Ausgleich für polnischen Verluste im Zweiten Weltkrieg. Letzteres greift die zentrale Forderung der PiS nach Reparationen auf. Im September 2022 nämlich hatte die PO-Fraktion im Parlament einem Entschließungsantrag der damaligen PiS-Regierung zugestimmt, nachdem diese den Begriff Reparationen durch Wiedergutmachung ersetzt hatte.
… und Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit
Die Erfolge der polnischen Deutschlandpolitik blieben jedoch überschaubar. Olaf Scholz zeigte als Kanzler wenig Interesse für die Beziehungen zum den polnischen Nachbarn. Die Wiedergutmachungsforderungen stießen in Berlin auf taube Ohren, ein „provisorisches Denkmal“ für die polnischen Kriegsopfer konnte 80 Jahre nach Kriegsende nur durch eine zivilgesellschaftliche Initiative errichtet werden und der Protest Tusks gegen verstärkte Grenzkontrollen Deutschlands im Spätsommer 2024 blieb wirkungslos. Zwar verbesserte sich das Verhältnis beider Regierungen nach der Wahl von Friedrich Merz zum Kanzler. Zugeständnisse bei der Frage der Grenzkontrollen gab es aber auch jetzt nicht. Dabei hatte Tusk seine Kritik unmittelbar nach Antritt der Regierung Merz und mitten im polnischen Präsidentschaftswahlkampf wiederholt.
Normalisierte Beziehungen!?
Es ist also kaum verwunderlich, dass man im Außenministerium wie auch in der Kanzlei des Premierministers zur Auffassung gelangt ist, dass ihre bisherige Deutschlandpolitik ihnen keine Punkte bei den Wählern bringt. Als dann noch ein Deutschlandbeauftragter hinzukam, den eine der großen überregionalen Tageszeitungen verdächtigt, in deutschem Interesse zu handeln, entstand im Außenministerium die Dringlichkeit eines schnellen und klaren Schnitts. Die ersatzlose Streichung des Beauftragten beendet die Sonderrolle der deutsch-polnischen Beziehungen. In gewissem Sinne ist dies ein konsequenter Schritt für die von Sikorski angekündigte Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen. Ganz so wie bei den übrigen Nachbarstaaten auch werden Sie nicht mehr von einem eigens ernannten Regierungsbeauftragten gepflegt.
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