Corona-Pandemie: Warum jetzt die Stunde der Qualitätsmedien schlägt
In der Coronakrise sind akkurate, verständliche, faktentreue Medien entscheidend dafür, wie Einzelne handeln und damit wie Gesellschaft und Wirtschaft funktionieren. Nur Qualitätsmedien mit ihrer Reichweite quer durch alle sozialen Schichten können diese Aufgabe übernehmen, argumentiert Alexandra Borchardt.
Krisenzeiten sind keine Zeiten für Besserwisser. Es sind die Stunden derjenigen, die es besser wissen. Dies sollten sich alle zu Herzen nehmen in diesen Tagen, Wochen und absehbar Monaten, in denen das Corona-Virus die Gesundheit von Menschen rund um den Globus und in der Folge die Weltwirtschaft bedroht. Gefühlsausbrüche auch von Experten sind in dieser angespannten Lage zwar verständlich. Aber vor allem diejenigen, die dies als Gelegenheit betrachten, mit „den Medien“ im Allgemeinen und den öffentlich-rechtlichen Sendern im Besonderen abzurechnen, sollten sich diese Emotionen verkneifen. Denn im Zweifel gefährden sie damit Leben.
In der Krise ist eine verlässliche, akkurate, verständliche, unabhängige und ebenso tiefgehende wie reaktionsschnelle Information entscheidend dafür, wie Einzelne Handeln und damit wie Gesellschaft und Wirtschaft funktionieren. Nur Qualitätsmedien mit ihrer Reichweite quer durch alle sozialen Schichten können sie liefern.
Zum Glück ist die allgemeine Öffentlichkeit in den meisten Ländern klüger als so manch eine Chat-Runde in den sozialen Medien. Die etablierten Medienhäuser berichten davon, wie Ihnen das Publikum sämtliche Angebote zum Thema Covid-19 förmlich aus dem Netz saugt. Newsletter werden so stark geöffnet wie nie, Beiträge abgerufen, Links geklickt. Manch eine Publikation öffnet ihre Bezahlschranke für Corona-Berichte oder nutzt den Informationshunger fürs Abo-Marketing. Die Menschen wissen, wohin sie sich in unsicheren Zeiten wenden müssen: zu den Medien ihres Vertrauens. Und auch die Entscheidungsträger informieren sich dort. So manch eine kluge Infografik über verschiedene Szenarien zur Ausbreitung der Pandemie hat auch Zauderer in Politik und Unternehmen davon überzeugt, dass jetzt drastische Einschnitte nötig sind, um das Gesundheitssystem am Laufen zu halten.
Ein Problem entsteht überall dort, wo der Medienkonsum entlang politischer Überzeugungen hoch polarisiert ist und es die Angebote nicht oder nicht mehr flächendeckend gibt, denen die Menschen allen Studien zufolge am meisten vertrauen: Lokalzeitungen und öffentlich-rechtliche Sender. Dies ist zum Beispiel in den USA der Fall. Lokalzeitungen gibt es an einigen Orten nicht mehr, das National Public Radio fristet ein Nischendasein. Weil viele Bürger, vor allem aus dem Lager der Trump-Wähler, den großen überregionalen Qualitätsmedien nicht vertrauen, sind sie besonders anfällig für Verschwörungstheorien aller Art. In Frankreich, wo die Gelbwesten-Bewegung ein tiefes Misstrauen gegen „die Presse“ hegt und sie auf Seiten der Elite verortet, gab es sogar eine Protest-Demonstration gegen die Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Beides ist brandgefährlich.
So manch ein Experte, der in den sozialen Medien schimpft, auf Twitter finde er oder sie viel bessere Informationen als in den Qualitätsmedien, mag damit punktuell recht haben. Allerdings liegt ein großes Problem dieser Zeit in der Asymmetrie der öffentlichen Information. Während Gebildete keine Mühe damit haben, die sozialen Netzwerke zu navigieren und darin schneller mehr und bessere Auskünfte zu finden, als dies beispielsweise noch vor 20 Jahren der Fall gewesen wäre, zirkulieren andere in weniger aufgeklärten Kreisen. Sie sehen dann überwiegend Bilder von leeren Regalen und stürmen die Drogeriemärkte auf der Suche nach Klopapier, wenn sie nicht gleich seltsamen, gerne über geschlossene WhatsApp-Gruppen geteilten Tipps und Spekulationen anheimfallen. Journalisten sind diejenigen, die all diese Informationen sichten, sortieren, überprüfen, die entsprechenden Experten ausfragen und damit verständlich für alle machen. Ohne Qualitäts-Journalismus würde sich die Informations-Ungleichheit massiv verschärfen. Den Schaden hätten alle.
Wer aber sind nun diejenigen, die es besser wissen, und wie identifiziert man sie? Tatsächlich lässt sich das nur in der Kooperation und im Austausch von Ideen herausfinden, denn die Lage kann sich schnell ändern. Es ist deshalb wenig hilfreich, einzelne Professoren (seltener: Professorinnen) zu Medienhelden zu stilisieren, so brillant sie auch sein mögen. Erstens können sie nur gut bleiben, wenn sie sich ständig über neueste Entwicklungen informieren und mit Kolleginnen und Kollegen austauschen. Dazu brauchen sie Zeit. Und zweitens führt solch ein Star-Dasein schnell zu einer Hybris, die der ehrlichen Suche nach dem neuesten Stand des Wissens abträglich ist. Wissenschaft ist ein ständiger Prozess, sie liefert nur selten letztgültige Antworten.
Rechthaber sollten es sich deshalb auch verkneifen, ältere Aussagen endlos hervorzukramen und die Botschafter vorzuführen. Für die Medien gilt: Der Reflex des Politik-Journalismus, nach Schuldigen zu suchen, ist hier weniger gefragt als die ergebnisoffene Suche des Wissenschaftsjournalismus.
Noch stärker als sonst ist in Krisenzeiten Lernen bei laufendem Betrieb ein 24-Stunden-Geschäft. Und Lernen können bei so einer Großkrise nur alle gemeinsam: Experten, Politiker und Journalisten ebenso wie die Bürger – und das weltweit über Ländergrenzen hinweg.
Alexandra Borchardt ist Autorin von „Mehr Wahrheit wagen – Warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht“, im März 2020 erschienen im Dudenverlag.
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