Demo­kratie im Stress­test – Europa

Foto: Bertels­mann Stiftung

Wie kann die euro­päi­sche Politik in Zeiten von Klima­wandel, Digi­ta­li­sie­rung und Konflikten Hand­lungs­fä­hig­keit beweisen – und die Zustim­mung der Menschen gewinnen?  Darüber disku­tierten wir am 07.06. beim abschlie­ßenden Round­table der Veran­stal­tungs­reihe „Demo­kratie im Stresstest“.

Die Demo­kratie hat es nicht leicht in Europa: Sie soll große Heraus­for­de­rungen wie Klima­krise, Digi­ta­li­sie­rung oder demo­gra­phi­schen Wandel bewäl­tigen, zugleich Menschen Freiheit, ausrei­chend Betei­li­gung und ein gutes Leben ermög­li­chen – und nun herrscht in unmit­tel­barer Nach­bar­schaft auch noch Krieg.

Bilder @Bertelsmann Stiftung

Der Glaube an die Hand­lungs­fä­hig­keit von Demo­kra­tien sinkt

All dies führt zu massiven Verun­si­che­rungen in vielen Ländern. Der Glaube in die Hand­lungs­fä­hig­keit demo­kra­ti­scher Politik sinkt, die Pola­ri­sie­rung – zumindest in Debatten – nimmt zu, und vor allem die Parteien der Mitte, einst Garanten von Stabi­lität und Fort­schritt, sinken in der Wählergunst.

Über die Verfasst­heit der Demo­kratie in Europa disku­tierten am 07.06. das Zentrum Liberale Moderne und die Bertels­mann Stiftung. Nach den Veran­stal­tungen mit einem Fokus auf die USA, Frank­reich, Italien, Israel, Polen und Ungarn bildete dieser Round­table den Abschluss der Veran­stal­tungs­reihe „Demo­kratie im Stress­test“.

Anna Lührmann, Mitglied des Deutschen Bundes­tages und Staats­mi­nis­terin im Auswär­tigen Amt, und Tanja Börzel, Profes­sorin an der Freien Univer­sität Berlin, führten mit zwei Kurzin­puts in die Diskus­sion ein.

Die Euro­päi­sche Inte­gra­tion macht Demo­kra­tien resi­li­enter 

Trotz der Krisen­dia­gnose gibt es Anlass zur Hoffnung: Die Einbin­dung in das supra­na­tio­nale System EU macht viele Staaten resi­li­enter gegenüber Krisen, als sie es allein wären. Die Länder können gemeinsam agieren, wie etwa in der Coro­na­pan­demie oder beim European Green Deal.

Das gemein­same Handeln führt auch dazu, dass viele Länder Europa als Anker der Demo­kratie sehen: Der Wunsch, der Euro­päi­schen Union beizu­treten, ist unver­min­dert groß. Das zeigt unter anderem das Bestreben der Ukraine, Georgiens und Moldaus sowie der Länder des west­li­chen Balkans, sich so schnell wie möglich der EU anzu­nä­hern. Freiheit und Demo­kratie, so scheint es, haben nach wie vor eine große Anziehungskraft.

Aber: Sowohl die Demo­kratie in den Mitglieds­staaten Europas wie auch die EU selbst sind nicht unan­ge­fochten. Einige Länder wenden sich gegen die Insti­tu­tionen der Demo­kratie, gegen freie Medien, unab­hän­gige Justiz oder eine freie Zivil­ge­sell­schaft. Diese Länder bremsen auch alle Reform­pro­zesse der Euro­päi­schen Union.

Keine Abstriche bei den Grund­rechten und beim Rechtsstaat

Eine zentrale Frage ist, wie diese mit der Diver­sität an Demo­kratie- und Poli­tik­vor­stel­lungen ihrer Mitglieder umgehen sollte. Soll die EU trotzdem darauf beharren, dass alle alles gleich­zeitig umsetzen – auch auf die Gefahr von Beschluss­un­fä­hig­keit? Kann es ein Europa der verschie­denen Geschwin­dig­keiten geben?

Einig waren sich die Teil­neh­menden darin, dass bei den zentralen Grund­rechts- und Rechts­staats­prin­zi­pien keine Abstriche gemacht werden sollten. Die Euro­päi­sche Union ist heute eben mehr als die Wirt­schafts­union der Anfangs­tage: Sie ist eine Rechtsstaatsgemeinschaft.

Die anste­hende Erwei­te­rung der EU birgt massive Herausforderungen

Was folgt daraus? Die anste­hende Erwei­te­rung der EU im nächsten Jahrzehnt massive Heraus­for­de­rungen. Einer­seits will die EU diesen Ländern eine Beitritts­per­spek­tive geben, ande­rer­seits ist sie durch die Notwen­dig­keit von Konsens­ent­schei­dungen in vielen Poli­tik­fel­dern bereits jetzt häufig blockiert.

Die Beitritts­kan­di­daten sind zudem nicht in allen Bereichen für einen Beitritt bereit. Wird es gestaf­felte Beitritts­mög­lich­keiten geben, ohne eben Abstriche bei der Recht­staat­lich­keit zu machen? (Wie) kann eine Reform der Union selbst und ihrer Entschei­dungs­fin­dungs­me­cha­nismen gelingen? Welche Entschei­dungen müssen in Brüssel, welche in den Haupt­städten der Mitglieds­staaten, welche auf eher lokaler Ebene getroffen werden? An der Erwei­te­rung der Union hängen exis­ten­zi­elle Fragen ihrer Ausgestaltung.

Wie kann Europa Hand­lungs­fä­hig­keit beweisen?

Ein zweiter großer Diskus­si­ons­punkt war die Frage, wie Europa eine Hand­lungs­fä­hig­keit beweisen kann, die auch bei den Menschen ankommt. Die gemein­same Impf­stoff­be­schaf­fung während der Coro­na­pan­demie war ein Beispiel, wie dies gelingen kann. Aber auch hier schließen sich Fragen an: Welche Ebene sollte wofür zuständig sein? Wie gelingt es der EU, beschlos­sene Groß­pro­jekte, wie etwa den Green Deal, auch umzu­setzen? Wird eine wirksame Politik in Zukunfts­fel­dern wie Platt­form­re­gu­lie­rung oder Künst­liche Intel­li­genz gelingen? Hier herrscht erheb­liche Unsicherheit.

Stra­te­gi­sche Kommu­ni­ka­tion bildete ein drittes Diskus­si­ons­feld. Wie lassen sich die Vorteile der euro­päi­schen Inte­gra­tion vermit­teln, trotz gezielter und leicht verfäng­li­cher Desin­for­ma­tionen? Welche Vorteile – Stichwort: Hand­lungs­fä­hig­keit – sehen die Bürge­rinnen und Bürgern als relevant an? Eine Lösungs­an­satz kann sein, dass nicht jeder Mitglieds­staat einzeln kommu­ni­ziert, sondern stärker abge­stimmte Botschaften nach außen getragen werden.

Das Fazit der Diskus­sion: Die Demo­kratie in Europa ist stark und resilient, aber sie steht vor massiven Heraus­for­de­rungen. Ihr Erfolg und die Zustim­mung der Bürge­rinnen und Bürger hängen maßgeb­lich davon ab, ob demo­kra­ti­sche Politik spürbar hand­lungs­fähig ist.

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