Polen und Ungarn im Demokratie-Stresstest:
Zwischen Informationsautokratie und Populismus
Wie ist es um die Stabilität der Demokratie in Ungarn und Polen bestellt? Was sind die Ursachen der fragwürdigen demokratischen Entwicklungen in den beiden Ländern? Über diese und andere Fragen diskutierten die Teilnehmenden des vierten Roundtables „Demokratie im Stresstest“ am 14. Februar in Berlin.
Polen und Ungarn sind zwei Staaten, die nach der EU-Osterweiterung 2004 andere Wege eingeschlagen haben, als die meisten Beobachter:innen erwartet oder gewünscht hatten. Verschiedene Demokratieindizes beschreiben sie als hybride Regime zwischen Autokratie und Demokratie, als semikonsolidierte Demokratien. Der ungarische Staatschef Orban bezeichnet gar selbst sein Land als „illiberale Demokratie“ – ein Widerspruch in sich.
Warum haben sich beide Staaten so entwickelt? Darüber haben sich Expert:innen beim jüngsten Roundtable der Reihe „Demokratie im Stresstest“ zu Polen und Ungarn am 24. Februar ausgetauscht. Ausgerichtet von der Bertelsmann Stiftung und dem Zentrum Liberale Moderne vergleicht die Diskussionsreihe die Entwicklung von Demokratie in verschiedenen Ländern.
Die Runde wurde von Karolina Wigura (Kultura Liberalna) und Bulcsu Hunyadi (Political Capital) mit kurzen Impulsvorträgen eröffnet.
Ungarn und Polen: Same Same But Different?
Polen und Ungarn sind mit unterschiedlichen Formen des Populismus konfrontiert: Während der ungarische Regierungschef nutzt, was ihm nützt, verfolgt die polnische PiS-Regierung eine antipluralistische, konservative Agenda.
Die größte Bedrohung für die Demokratie in Polen sind die Angriffe der regierenden PiS auf den Rechtsstaat. Der Sieg der Partei seit 2015 hat laut Wigura aber nicht nur innenpolitische Gründe. Er ist auch Symptom einer tieferen Krise: Denn auch in Polen war liberale Politik oft elitär, der Wohlfahrtsstaat hat die Schwachen nicht mitgenommen.
Aber: Karolina Wigura sieht für Polen dennoch auch Hoffnung: Es gibt eine starke Zivilgesellschaft, unabhängige Medien, und beide politischen Blöcke sind etwa gleich stark. Wer die Parlamentswahlen im Herbst 2023 gewinnen wird, ist offen. Die polnische Gesellschaft ist resilient, wie etwa die Proteste für Frauenrechte zeigen. Und die polnische Gesellschaft ist Diskontunitäten und eine starke Polarisierung gewohnt, ohne sich dadurch lähmen zu lassen.
Ungarn als „Informationsautokratie“
In Ungarn hingegen ist der Umbau des Rechtsstaates weit fortgeschritten. Bulcsu Hunyadi bezeichnet den Staat bereits als “Informational Autocracy”. Die Regierung könne die gezeigte Realität beinahe beliebig verändern, es fehlten unabhängige Informationsquellen. Hinzu kommt, dass die alten Eliten extrem unbeliebt sind. Eine echte Alternative zur Fidesz-Partei sind sie also nicht.
Die einzigen Grenzen für das System Orban sieht Hunyadi in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und einem möglichen Ende der EU-Subventionen. Und: Die junge Generation in Ungarn wählt selten Orbans Fidesz-Partei.
Ursachen für die Entwicklung
Warum haben beide Staaten sich anders entwickelt, als viele Beobachter:innen vermutet und gehofft hatten?
- Der Sieg populistischer Parteien in Ungarn und Polen ist Teil einer globalen populistischen Welle. In vielen Staaten, auch in vielen Demokratien, sind seit 2015 Populist:innen an die Macht gekommen. Polen und Ungarn waren vielleicht umso empfänglicher dafür, weil ihre nationalen Identitäten fragil sind.
- Vielleicht waren die Revolutionen in Polen und Ungarn, die zur Loslösung vom Warschauer Pakt führten, nicht vorrangig demokratische, sondern vielmehr nationale Revolutionen. Die Menschen wollten Selbstbestimmung, sie wollten wirtschaftlichen Wohlstand und (westliche) Konsummöglichkeiten, möglicherweise nur weniger explizit das demokratische Gesellschaftsmodell.
- Die wirtschaftliche Liberalisierung wurde in Teilen Mittelosteuropas nach 1990 sehr weit getrieben – im Zweifel zulasten der Finanzierung von öffentlichen Institutionen und Wohlfahrtsstaat.
Populistische Parteien versprechen den Bürger:innen genau das: eine Identität, Teil der Zukunft zu sein, und einen Staat, der sie unterstützt, wenn es darauf ankommt. Und gemeinsame Feindbilder – seien es Menschen mit anderer Hautfarbe oder Herkunft, aber auch die EU oder Russland – schweißen bekanntermaßen zusammen.
Sicherheit im Wandel
Wie können wir dem entgegenwirken? Erstens braucht es konkrete Ideen der Politik, die konservative Bedürfnisse wie Sicherheit, Stabilität, Zugehörigkeit und Gemeinschaft adressieren. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie ihr Leben eigenverantwortlich gestalten können, dass sie sich einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten können. Diese Politikentwürfe sehen von Land zu Land unterschiedlich aus, aber es ist wichtig, diese Themen nicht den Populist:innen zu überlassen.
Und Europa?
Zweitens muss über das Projekt Europäische Union nachgedacht werden. Wie viel Unterschiedlichkeit in der Entwicklung seiner Mitgliedsstaaten muss die EU aushalten? Welche Vorgaben darf Brüssel, dürfen die Mitgliedsstaaten machen? Und wann „stirbt“ Demokratie? Mit Antworten auf diese Fragen kann sich die EU für den demokratischen Stresstest rüsten.
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