Die USA wenden sich vom Westen ab: „Wir müssen mutiger werden“

Mit Trump an der Spitze steuern Die USA in den Autori­ta­rismus und kehren dem Westen den Rücken zu. Das ist die Stunde der Wahrheit für Europa. Wie soll die EU handeln und kann die Ukraine dem Druck stand­halten? Ralf Fücks analy­siert die geopo­li­tische Lage im t‑online-Interview und fordert von Europa mehr Mut und Entschlossenheit.

t‑online: Herr Fücks, sind die Verei­nigten Staaten für den Westen verloren?

Ralf Fücks: Das müssen wir befürchten, solange Donald Trump an der Macht ist. Was danach kommt, kann niemand wissen. Wir leben jetzt in einer verkehrten Welt: Einge­fleischte Anti-Ameri­kaner, vor allem die von ganz rechts, sind nun Fans von Trump und Elon Musk. Jene aber, die aus Überzeugung und mit Herzblut für das trans­at­lan­tische Bündnis einge­treten sind, kommen jetzt zu dem bitteren Schluss, dass Europa sich von den USA unabhängig machen muss.

Je schneller, desto besser?

Die Zeit arbeitet gegen uns. Wir müssen schnellst­möglich sicher­heits­po­li­tisch auf eigenen Beinen stehen, wir dürfen auch nicht länger techno­lo­gisch derart von den USA abhängig sein. Das macht uns angreifbar. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit für Europa gekommen, in der sich entscheidet, ob wir weltpo­li­tisch eine eigen­ständige Rolle spielen oder zum Spielball zwischen den USA, China und Russland werden. Der Lackmustest dafür ist die Ukraine. Dort wird es sich entscheiden.

Trump fährt einen riskanten wirtschaft­lichen und außen­po­li­ti­schen Kurs. Könnte er darüber stolpern?

Wir müssen hoffen, dass Donald Trump nur ein hässliches Zwischen­spiel ist. Aber er ist immerhin von einer knappen Mehrheit der Ameri­kaner gewählt worden. Die USA sind nun in die Hände eines autori­tären, geltungs­süch­tigen und charak­terlich primi­tiven Präsi­denten gefallen. Er nimmt nach außen keinerlei Rücksichten auf bisherige Partner, das Völker­recht inter­es­siert ihn nicht, nach innen greift er die Checks and Balances der ameri­ka­ni­schen Demokratie an. Das ist ein politi­scher Supergau. Bleibt zu hoffen, dass die ameri­ka­nische Demokratie resilient genug ist, um Trump zu überstehen. Aber sicher ist das nicht.

Wozu raten Sie?

Wir brauchen jetzt eine Allianz der Demokratien, nicht nur in Europa, sondern weltweit. Kanada, Australien, Japan, aber auch Taiwan gehören dazu, auch Israel sollten wir

nicht abschreiben. Zusätzlich müssen wir uns verstärkt um Länder des Globalen Südens wie Indien, Südafrika oder die Philip­pinen bemühen. Darunter sind Staaten, die keine lupen­reine Demokratien sind, aber doch poten­zielle Partner. Denn sie haben ein Interesse am Erhalt einer regel­ba­sierten inter­na­tio­nalen Ordnung.

Was ist mit definitiv autori­tären Staaten wie Saudi-Arabien?

Saudi-Arabien wird autoritär regiert, aber es ist prowestlich. Die Saudis haben uns nicht den Fehde­hand­schuh hinge­worden, das war Wladimir Putin. Europa braucht sicher­heits­po­li­tisch und auch ökono­misch globale Allianzen, um sich zu behaupten. Der Geist der Freiheit ist nicht tot, aber er wird jetzt massiv angegriffen durch eine konzer­tierte Aktion autori­tärer Mächte, während die USA die Seiten wechseln. Was gestern undenkbar war, ist jetzt Realität: Ein ameri­ka­ni­scher Präsident macht gemeinsame Sache mit Putin gegen die Ukraine, die die Werte verteidigt, für die der Westen steht.

Handelt Trump erratisch oder sehen Sie eine Strategie, die hinter seinen Avancen stecken könnte? Zurzeit werden Vermu­tungen angestellt, ob die USA einen Keil zwischen Russland und China treiben wollen.

Eine Annährung Amerikas an Russland ergibt keinen Sinn, wenn sie auf Kosten Europas geht. Dass die USA auf Europa verzichten könnten, ist eine krasse Fahlkalkulation –

gerade in der Ausein­an­der­setzung mit China. Europa ist immer noch der wichtigste Partner der USA. Wir sind militä­risch, wirtschaftlich, techno­lo­gisch eng mitein­ander verflochten. Putin wird niemals sein Bündnis mit China riskieren. Er muss damit rechnen, dass künftig wieder ein US-Präsident ins Weiße Haus einzieht, der ein autori­täres und expan­sives Russland als Bedrohung betrachtet. Ökono­misch und politisch ist China die wichtigste Stütze des russi­schen Regimes. Putin und Xi Jinping haben ein gemein­sames strate­gi­sches Interesse: sie wollen die liberale Weltordnung zerstören. Im Zweifelsfall wird sich ein neo-imperiales Russland immer für China entscheiden.

Russland will die Nato zerstören: Wie nahe ist Putin diesem Ziel gekommen?

Für Putin ist Trump ein Geschenk des Himmels. Er höhlt die Nato von innen aus. Wenn auf die ameri­ka­nische Beistands­ga­rantie kein Verlass mehr ist, dann ist die Nato erledigt. Trump verhandelt mit Putin ohne Rücksicht auf die Europäer. Vizeprä­sident Vance hat den europäi­schen Demokratien auf der Münchner Sicher­heits­kon­ferenz den Fehde­hand­schuh hinge­worfen. US-Außen­mi­nister Rubio hat die nach Washington gereiste EU-Außen­be­auf­tragten Kaja Kallas abblitzen lassen. Das sind alles Zeichen der Verachtung, die Trump und seine Leute für Europa hegen. Russland ist seinem Ziel eines Endes der Nato näher als jemals zuvor.

Worauf wird das Tauwetter zwischen den USA und Russland voraus­sichtlich hinauslaufen?

Der Kreml ist daran inter­es­siert, zu einem Arran­gement mit Amerika zu kommen. Aber daraus wird kein Bündnis. Man teilt seine Inter­es­sensphären auf: wer kriegt was? Das entspricht dem Trump­schen Weltbild von „Deals“. Im Prinzip sind wir damit wieder bei einer imperialen Großraum­ordnung im Sinne Carl Schmitts angelangt.

Carl Schmitt war ein natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Vordenker.

In seiner Vorstellung wird die Welt von einer Handvoll Großmächte dominiert, die über ihre Macht­sphäre unbeschränkt herrschen. Nur diese Großmächte genießen volle Souve­rä­nität, alle anderen Staaten müssen sich diesen Mächten beugen. So gehen Putin und Trump gerade mit der Ukraine um.

Das dürfte im Interesse der wenigsten Staaten dieser Welt liegen.

Das ist der entschei­dende Punkt. Viele Staaten in Latein­amerika, Asien oder Afrika mögen von einer liberalen Demokratie nach westlichem Muster weit entfernt sein, aber sie haben doch kein Interesse an einer Welt, in der allein das Recht des Stärkeren herrscht. Sie können für die Vertei­digung einer regel­ba­sierten Welt gewonnen werden. Eine solche Allianz zu bilden ist nun die Heraus­for­derung für europäische Politik.

Trauen Sie das den notorisch uneinigen und unent­schlos­senen Europäern zu?

Wir müssen mutiger werden, sicher­heits­po­li­tisch wie handels­po­li­tisch. Dazu gehören auch Freihan­dels­ab­kommen mit anderen Weltre­gionen. Wir können unseren Partnern nicht die Regeln diktieren, sondern müssen uns auf gegen­seitige Inter­essen verstän­digen. Nur mit denje­nigen zu koope­rieren, die vollständig unsere Werte teilen, können wir uns nicht mehr leisten. Diese Staaten haben doch längst Alter­na­tiven zur Hand, vor allem China.

In den USA hat nicht Trump nicht nur das Weißes Haus erobert samt Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses, sondern zahlreiche Super­reiche der Techno­lo­gie­branche haben sich ihm verbündet. Allen voran Elon Musk. Was bedeutet das?

Wir sind noch auf der Suche nach der passenden Bezeichnung, manche nennen es Techno-Feuda­lismus. Die dominie­renden Techno-Unter­nehmer Amerikas, voran Elon Musk, sind eine enge Fusion mit der politi­schen Macht einge­gangen. Zugleich sind sie dabei, die Entwicklung der Künst­lichen Intel­ligenz voran­treiben. Damit verfügen sie über ein ungeahntes techno­lo­gi­sches Potenzial, das zum Guten wie zum Bösen genutzt werden kann. Hier entsteht eine ganz neue Gefahr für die liberale Demokratie.

In welcher Form?

Die Symbiose zwischen moderner Technik und autori­tärem politi­schen Zugriff könnte eine Koalition hervor­bringen, die glaubt, dass sie die Demokratie nicht mehr braucht. Diese Leute gehen davon aus, dass sie die Dinge ohne die Demokratie mit ihrer Gewal­ten­teilung und ihren kompli­zierten Entschei­dungs­pro­zessen besser steuern könnten. Musk, Zuckerberg und Co. gerierten sich als die Herolde der freien Meinungs­äu­ßerung, in Wirklichkeit betreiben sie eine ungeheure Monopo­li­sierung. Mit den Algorithmen der großen Medien­platt­formen verfügen sie über die Möglichkeit, nicht nur den öffent­lichen Diskurs, sondern ganze Gesell­schaften zu lenken.

Das erinnert stark an China und sein Kontrollregime.

Da treffen die Dinge tatsächlich aufein­ander. Die chine­sische Macht­elite strebt einen

techno­kra­ti­schen Totali­ta­rismus an, ein autori­täres Macht­mo­nopol gestützt auf die modernsten Methoden der Compu­ter­technik. Das könnte auch eine Versu­chung für bestimmte Akteure in den USA sein, weil sie an Steue­rungs­fan­tasien mittels Künst­licher Intel­ligenz und digitaler Überwa­chung glauben, aber nicht an die Notwen­digkeit einer plura­lis­ti­schen Demokratie. Das lässt sich gut mit einem populis­ti­schen Politikstil à la Trump kombi­nieren, der sich unmit­telbar an den Massen wendet.

Der Lackmus-Test ist die Ukraine, welches Gesell­schafts­modell bestehen wird. Wie beurteilen sie die Lage, nachdem Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus von Trump und Vance gedemütigt worden ist?

Das Schicksal der Ukraine bestimmt, wer künftig die Spiel­regeln für Europa definiert. Das werden Trump und Putin tun, wenn wir uns als schwach erweisen. Die Weichen, die jetzt gestellt werden, bestimmen die nächsten Jahrzehnte. Es war eine beispiellose Demütigung, die Selenskyj durch Trump und Vance erfahren hat. Aber am Ende hat sie hoffentlich Europa wachge­rüttelt. Etliche europäische Regie­rungen, darunter London und Paris, scheint den Ernst der Lage verstanden zu haben. Sie versuchen eine Koalition der Willigen zu bilden, unter Einschluss von Kanada und anderen inter­na­tio­nalen Akteuren. Ich hoffe, dass auch Deutschland bald aus seiner Lähmung herauskommt.

Wird die Ukraine stand­halten können, wenn Trump und Putin sie zugleich zu einem sogenannten Frieden zwingen wollen?

Ein solcher Diktat­friede verdient nicht die Bezeichnung Frieden. Es ist empörend, welcher Schind­luder mit diesem hehren Wort getrieben wird. Trump behautet, er wolle Frieden und Selenskyj Krieg. Das ist eine Verhöhnung all derje­nigen, die sich gegen eine mörde­rische Aggression, gegen einen Vernich­tungs­krieg vertei­digen. Ein boden­loser Zynismus.

Union und SPD haben sich auf milli­ar­den­schwere Inves­ti­tionen für Bundeswehr und Infra­struktur geeinigt. Kommt damit Bewegung in das Projekt eines souve­ränen Europas?

Die Lockerung der Schul­den­bremse für Inves­ti­tionen in Vertei­digung und die Moder­ni­sierung der Infra­struktur ist überfällig. Deutschland kann damit vom Bremser zum Motor für Europa werden. Das konnte man aller­dings schon vor der Wahl wissen. Vertei­di­gungs­fä­higkeit und eine florie­rende Wirtschaft sind zwei Seiten einer Medaille. Die Milli­arden, die nun inves­tiert werden sollen, sind ein Aufbruch­signal gegen den schlei­chenden Niedergang – voraus­ge­setzt, dass sie tatsächlich in Zukunfts­in­ves­ti­tionen fließen. Neue Schulden dürfen nicht dazu dienen, notwendige Reformen weiter zu verschleppen.

Olaf Scholz vermied die politische Kommu­ni­kation eher, erhoffen Sie sich eine Besserung unter der neuen Regierung?

Bessere politische Kommu­ni­kation und Mut zur politi­schen Führung sind bitter nötig, um den Bürgern das Vertrauen in die Handlungs­fä­higkeit der Demokratie zurück­zu­geben. Die neue Bundes­re­gierung muss die drängenden Heraus­for­de­rungen angehen und klare Priori­täten setzen. Dazu gehört auch ein neuer Anlauf in der Klima­po­litik. Sie bleibt ein zentrales Element ökono­mi­scher Moder­ni­sierung und vorbeu­gender Sicherheit. Dagegen sind manche Orchi­deen­themen, die bisher in der postmo­dernen Linken gepflegt wurden – wie das bedin­gungslose Grund­ein­kommen – komplett aus der Zeit gefallen. Das gilt auch für die Überstei­ge­rungen linker Identitätspolitik.

Eine letzte Frage: J. D. Vance ist neben Donald Trump das zweite Gesicht der Abkehr der USA vom trans­at­lan­ti­schen Westen. Wie schätzen Sie ihn ein?

Vance hat 2017 noch die Demokraten unter­stützt und eindringlich vor Trump gewarnt. Jetzt hat er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Sein Auftritt in München, diese kalte Arroganz, war eine Kampf­ansage. Falls er Trump beerbt, werden Amerika und Europa zu Antipoden. Aber so muss es nicht kommen. Die Aussicht, dass Trump mit seiner destruk­tiven Politik scheitert, ist hoch. Die Frage ist nur, wieviel Flurschaden er bis dahin anrichtet.

Herr Fücks, vielen Dank für das Gespräch.

Der Beitrag erschien am 07.03.2025 im t‑online.

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