Digitalismus: Fünf Gründe, warum das Internet noch zu retten ist
Manchmal sieht es so aus, als sei das Internet vom Werkzeug der Unterdrückten zum Instrument der Unterdrücker geworden. Aber es gibt Fakten, die Hoffnung machen. Trotz Trump, Fake-News und Troll-Fabriken bleibt das Internet ein Zukunftsversprechen, schreibt Alexandra Borchardt.
Für Internet-Optimisten hält ein neuer Report aus Oxford verstörenden Lesestoff parat: Schon mehr als ein Drittel aller Staatsregierungen nutzt das Netz dazu, die eigene Bevölkerung mit Hilfe sozialer Netzwerke zu manipulieren, wie Samantha Bradshaw und Philip Howard vom Oxford Internet Institute in ihrer Studie „The Global Disinformation Order“ herausgefunden haben. Eine wachsende Anzahl verbreite online zudem nicht nur Propaganda, sondern schüchtere Kritiker ein, bringe Oppositionelle zum Schweigen und verletze gar Menschenrechte. Und die Freude an der digitalen Kontrolle nehme zu: Identifizierte die Studie 2017 noch 28 solche Länder, waren es ein Jahr später schon 48, in diesem Jahr nun 70. Einige Staaten mischten sich zudem mit gezielten Kampagnen in Angelegenheiten anderer Länder ein, namentlich China, Russland, Iran, Saudi Arabien, Venezuela, Pakistan und Indien – immerhin die größte Demokratie der Welt. Bevorzugt griffen die Täter über Facebook an, so die Forscher. Man kann diese Information Operations – so das Fachwort – auch Kriegsführung mit virtuellen Waffen nennen.
Lassen sich die Errungenschaften des demokratischen Zeitalters bewahren?
Nun gibt es ja schon im Kleinen ausreichend Pöbeleien, Hassrede und Lügen im Netz – neuerdings sogar mit richterlicher Billigung. Die Grünen-Politikerin Renate Künast musste sich im September vom Berliner Landgericht erklären lassen, dass sie es hinzunehmen habe, „Schlampe“, „Drecks Fotze“ oder „Geisteskranke“ genannt zu werden. Hinzu kommt gezielte Falschinformation, gemeinhin unter dem Begriff Fake News zusammengefasst. Wenn all das auch noch staatlich gelenkt und gefördert mit immer besseren technischen Möglichkeiten geschieht, fällt Zuversicht schwer. Ist das Netz vom Werkzeug der Unterdrückten zum Instrument der Unterdrücker geworden? Gepflegte Debatte, zuverlässige Information, Wahlentscheidungen ohne Meinungsmanipulation – es scheint gar nicht so sicher zu sein, dass sich die Errungenschaften des demokratischen Zeitalters bewahren lassen.
Und doch muss nun nicht jeder den Habeck machen und sich bei Facebook und Twitter abmelden wie der Grünen-Chef, oder gar ein Eremiten-Leben planen wie der Internet-Aussteiger in Dave Eggers‘ Internet-Dystopie „The Circle“. Es gibt durchaus einige Fakten, die Hoffnung machen können:
Fake-News seltener als man denkt
Erstens, die Angst vor falscher Information ist weitaus größer als die tatsächliche Verbreitung von Lügen und verdrehten Fakten. Das gilt zumindest für die hiesige politische Welt. Dies belegen Studien, unter anderem der Digital News Report des Reuters Institute for the Study of Journalism. Zwar macht sich ein großer Teil des Publikums wegen des Themas Sorgen. Ironischerweise tragen die Medien-Berichte über Troll-Fabriken und Informationsmanipulation nicht unwesentlich dazu bei. Aber nur ein kleiner Teil der Online-Nutzer bekommt tatsächlich erfundene Inhalte zu Gesicht, und ein noch kleinerer verbreitet sie weiter.
Junge Nutzer denken kritisch
Zweitens, die junge Generation geht verantwortungsbewusster mit dem Netz um als die ältere. Auch das belegen Studien. Während viele in der analogen Welt sozialisierte Online-Nutzer krude Dinge nicht hinterfragen, weil diese schwarz auf weiß daherkommen, navigieren die Jungen mit gesunder Skepsis durchs Netz. Die Programme zur Medienbildung an den Schulen scheinen zu wirken – dumm nur, dass es zu wenig systematische Aufklärung für ältere Generationen gibt.
Facebook ist nicht allmächtig
Drittens, es empfiehlt sich, die Bürger nicht zu unterschätzen. Das Publikum ist lernfähig. Viele online Nutzer haben sich bereits von Facebook abgewandt, weil ihnen Kakophonie, Unglaubwürdigkeit und Verwicklung in Skandale wie Cambridge Analytica zu viel geworden sind. Das gilt sowohl für Jugendliche im globalen Norden als auch für viele Nutzer in Ländern Afrikas und Südostasiens, bei denen Facebook als „Fake News Kanal“ gilt. Das heißt natürlich nicht, dass der Facebook-Konzern an Macht verliert. Immerhin gehören auch Instagram und Whatsapp zum Imperium von Mark Zuckerberg.
Print-Zeitungen machen Twitter groß
Viertens, Donald Trump regiert nicht über Twitter. Entgegen allgemeiner Annahmen informieren sich die Anhänger von Populisten deutlich stärker über das Fernsehen als über soziale Medien, auch das belegt der Digital News Report. Im Netz hingegen suchen eher diejenigen nach Auskunft, die sich differenzierter mit der Welt auseinandersetzen. Dennoch besitzt Twitter Durchschlagskraft. Vor allem, weil traditionelle Medien oder Sender wie Fox News die Reichweite drastischer Tweets und Posts massiv erhöhen. Journalisten können also sehr viel für eine konstruktive Debatte tun, wenn sie die Empörungs-Maschinerie nicht anheizen.
Ein besseres Internet ist möglich
Fünftens, die digitale Welt ist nicht wie das Wetter, das man hinnehmen muss. Sie lässt sich gestalten. Zum Glück wird dieser Tage in vielen nationalen und internationalen Gremien bis hin zur UNESCO darüber debattiert, wie man mit den Verstärker-Effekten des Internets umgehen soll. Dass die Algorithmen der Plattformen von mächtigen kommerziellen und staatlichen Interessen getrieben werden, macht es nicht leichter. Aber die Zusammenhänge sind vielen Akteuren klarer als vor zehn Jahren, und unter Demokraten ist der Wunsch groß, das Netz zu nutzen, um Mitsprache und Teilhabe zu verbessern. Die EU ist eine Bastion geworden, wenn es darum geht, die Bürger der Mitgliedstaaten gegen den Missbrauch ihrer digitalen Spuren zu verteidigen. Und selbst Facebook investiert in die unabhängige Erforschung ethischer Fragen von künstlicher Intelligenz, auch wenn manch einer das kritisch sehen mag. Der Konzern aus dem Silicon Valley steckt 6,5 Millionen Euro in ein entsprechendes Institut an der TU München.
Natürlich bleibt die Lage ernst. Vor allem dort, wo Populisten sich des Netzes bedienen, brauchen Kontrollinstanzen wie Gerichte und unabhängige Medien Stärkung, die Opfer von Attacken Schutz. Das ist dort ungleich schwieriger, wo Populisten regieren. Aber eine starke Demokratie ist immer noch die beste Versicherung gegen Missbrauch im Netz. Und man sollte sich nicht beirren lassen: Die Anständigen, die friedlich mit ihren Nachbarn zusammenleben wollen, sind bei genauerem Hinsehen meist in der Mehrheit. Auch wenn sie von den Krachmachern übertönt werden.
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