EUROPEAN BOOK CLUB: Deutschland ist Hauptziel russi­scher Einflussnahme

Foto: Tobias Kunz

„Putins Angriff auf Deutschland: Desin­for­mation, Propa­ganda, Cyber­at­tacken“ – in seinem aktuellen Buch unter­sucht Arndt Freytag von Loring­hoven zusammen mit Co-Autor Leon Erlen­horst die hybride Kriegs­führung Russlands und die gezielte Einfluss­nahme des Putin-Regimes auf Deutschland. Der ehemalige Botschafter Freytag von Loring­hoven war Anfang November zusammen mit dem Grünen-Politiker und Sicher­heits­experten Konstantin von Notz zu Gast. Sabine Adler vom Deutsch­landfunk moderierte die Veranstaltung.

Ralf Fücks, Geschäfts­führer des Zentrum Liberale Moderne, eröffnete den Abend mit einem dring­lichen Appell: Die Bedrohung durch Desin­for­mation und Propa­ganda aus Russland müsse endlich ernst genommen werden.

Desin­for­ma­ti­ons­kam­pagnen sollen Stabi­lität von Demokratien untergraben

Fücks zog einen histo­ri­schen Rückblick auf die bereits seit Jahren statt­fin­denden Desin­for­ma­tions- und Cyber­an­griffe Russlands, die darauf abzielten, die Stabi­lität westlicher Demokratien zu unter­graben. Die Unter­schätzung dieser Bedrohung sei in Deutschland besonders ausge­prägt. Länder wie Frank­reich hingegen verfügten über spezia­li­sierte Agenturen zur Bekämpfung von Desin­for­mation und könnten daher gezielter und schneller auf solche Angriffe reagieren. Auch Freytag von Loring­hoven betonte die anhal­tende Gefahr, die vom russi­schen Infor­ma­ti­ons­krieg ausginge, und wies auf Deutsch­lands besondere Rolle in Europa und der NATO hin. Aufgrund seiner wirtschaft­lichen und politi­schen Bedeutung sei Deutschland ein Hauptziel russi­scher Einfluss­nahme. Diese ziele darauf ab, die gesell­schaft­liche und politische Einheit des Landes zu destabilisieren.

Verharm­losung sicher­heits­po­li­ti­scher Debatten

Besonders proble­ma­tisch sei die mangelnde Sensi­bi­li­sierung in der deutschen Öffent­lichkeit. Von Notz kriti­sierte, dass sicher­heits­po­li­tische Debatten oft verharmlost würden, während in anderen europäi­schen Ländern ein realis­ti­scheres Bild der Bedrohung durch Desin­for­mation und Propa­ganda herrsche. Die Tendenz zur Verklärung politi­scher Reali­täten sei zum Teil in Deutschland tief verwur­zelten Narra­tiven geschuldet, diese seien mitunter schwer zu durch­brechen. Von Notz argumen­tierte, dass ein breiter gesell­schaft­licher Diskurs über sicher­heits­po­li­tische Fragen notwendig sei, um politi­schen Druck auf Entschei­dungs­träger zu erzeugen und die Sicher­heits­be­hörden entspre­chend aufzustellen.

Freytag von Loring­hoven führte weiter aus, dass hybride Angriffe zunehmend komplexere Formen annähmen, häufig würden bewusst Elemente von Wahrheit und Falsch­in­for­mation vermischt und zielten so effektvoll auf die Manipu­lation der öffent­lichen Meinung ab. Anhand des „Fall Lisa“, einer Desin­for­ma­ti­ons­kam­pagne, die 2016 gezielt falsche Gerüchte über die Entführung eines deutschen Mädchens verbreitete, veran­schau­lichte er die Dynamik dieser hybriden Misch­stra­tegien, die typisch für Desin­for­ma­ti­ons­kam­pagnen seien, die damit nicht nur Emotionen ansprächen sondern auch besonders wirkungsvoll Vertrauen in die demokra­ti­schen Insti­tu­tionen unter­grüben. Von Notz erläu­terte, dass insbe­sondere die Verbreitung dieser Inhalte über soziale Netzwerke durch algorith­mische Verstärkung zu einer tiefen Verwur­zelung in der Gesell­schaft führe, wobei Emotionen wie Angst und Misstrauen verstärkt würden. Diese Mecha­nismen der Aufmerk­sam­keits­öko­nomie begüns­tigten die Verbreitung manipu­la­tiver Inhalte, während sachliche Infor­ma­tionen häufig in den Hinter­grund gedrängt würden.

Deutschland schon jetzt „too late for the party“

In diesem Zusam­menhang wurde auch die Proble­matik der Platt­form­re­gu­lierung angesprochen. Von Notz hob hervor, dass die Reich­weite von politi­schen Akteuren und Parteien über soziale Medien oft unkon­trol­liert beein­flusst werden könne, da es im digitalen Raum an klaren Regulie­rungen fehle, die in der analogen Welt längst etabliert seien. Er verwies auf den europäi­schen Digital Services Act als einen wichtigen ersten Schritt, betonte jedoch, Deutschland sei bereits „too late for the party“.

Ein weiterer Diskus­si­ons­punkt war der zuneh­mende Einsatz künst­licher Intel­ligenz in Desin­for­ma­ti­ons­kam­pagnen. Freytag von Loring­hoven betonte die Schwie­rigkeit, durch neue Techno­logien erzeugte Inhalte von realen Inhalten zu unter­scheiden, das werde zudem erschwert dadurch, dass digitale Fälschungen zunehmend authen­ti­scher wirkten. Er sprach sich für technische Sicher­heits­maß­nahmen aus, etwa digitale „Wasser­zeichen“, die wie in der analogen Welt als Echtheits­zer­ti­fikate fungieren könnten. Von Notz ergänzte, dass die Glaub­wür­digkeit von Infor­ma­ti­ons­quellen in Zukunft wieder eine größere Rolle spielen werde und redak­tionell geprüfte Inhalte zunehmend an Wert gewinnen würden. Ungeprüfte Inhalte in sozialen Medien hingegen könnten die Meinungs­bildung weiter verfälschen.

Resilienz demokra­ti­scher Insti­tu­tionen stärken

Der Abend endete mit der eindring­lichen Feststellung, dass Deutschland dringend Handlungs­bedarf habe, um den hybriden Bedro­hungen auf Augenhöhe begegnen zu können. Freytag von Loring­hoven und Konstantin von Notz waren sich einig: Nur ein stärkeres gesell­schaft­liches Bewusstsein, flankiert von politi­schen und techni­schen Maßnahmen, könne den nötigen Schutz vor gezielter Desin­for­mation und Propa­ganda bieten. Die Diskussion verdeut­lichte, dass Deutschland die Ernst­haf­tigkeit dieser Bedrohung bisher noch nicht vollständig erkannt hat, und dringend eine umfas­sendere Strategie entwi­ckeln muss, um die Resilienz der demokra­ti­schen Insti­tu­tionen zu stärken.

 

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Spenden mit Bankeinzug

Spenden mit PayPal


Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.