„Fake News”: digitale Bildung festigt die Demokratie
Das Phänomen der Fake News könnte sich in Zukunft noch verstärken. Ändern lasse sich das kaum, meint Alexandra Borchardt. Deshalb seien Kampagnen zur digitalen Mündigkeit mindestens so notwendig wie einst jene zur Alphabetisierung. Finnland mache vor, wie das geht.
Für diejenigen, die mit der rasanten Verbreitung von „Fake News“ das Ende der Demokratie herannahen sehen, dürfte 2020 ein beunruhigendes Jahr werden. Die Wahlen in den USA und ein Amtsenthebungsverfahren gegen den amtierenden Präsidenten Donald Trump stehen an, beides wird das Land weiter polarisieren und die Bürger eher empfänglicher für Lügen und allerlei Verschwörungstheorien machen. Erfahrungsgemäß schwappen die Debatten darüber ungebremst über den Atlantik. In Großbritannien wurde schon gewählt, und wenngleich selbst hartgesottene Digital-Pessimisten sich schwer damit tun sollten, das klare Votum für Premier Boris Johnson und gegen Labour-Herausforderer Jeremy Corbyn der Aktivität von Trollfabriken oder ähnlichem zuzuschreiben, gehörten Falschinformationen und die Debatte darum im Wahlkampf zum permanenten Grundrauschen. Wie sehr müssen wir uns also fürchten?
Man könnte sagen: sehr. Und genau darin liegt eine Chance. Die Verbreitung von „Fake News“ und die Debatte darüber müssen ein Anlass dafür sein, Bürger im großen Stil fit für die neue Kommunikations-Welt zu machen. Kampagnen zur digitalen Mündigkeit sind mindestens so notwendig wie einst jene zur Alphabetisierung, die die Menschen fit für die Welt des gedruckten Wortes und die Demokratisierung möglich gemacht haben.
Gleich vorweg: Das Phänomen der Falschinformation als solches wird nicht nur bleiben, es wird sich verstärken. Künstliche Intelligenz ermöglicht es schon jetzt selbst Laien, für wenig Geld sogenannte deep fakes zu kreieren, also zum Beispiel täuschend echt wirkende Videos von Politikern mit entsprechenden Tonspuren zu basteln. Und die technischen Möglichkeiten dafür verbessern sich schneller als die Werkzeuge, um den Verursachern das Handwerk zu legen. Hacker und Geheimdienste in aller Welt werden dies aus verschiedensten Motiven heraus zu nutzen wissen. Die Produktionsseite lässt sich also kaum in den Griff bekommen.
Algorithmen anpassen
Etwas besser stehen die Chancen dafür, das Übel auf Seiten der Verteiler zu bekämpfen. Die Plattform-Konzerne haben die Informationen bislang weitgehend ungeprüft und nur nach kommerziellen Kriterien gewichtet in die Welt geblasen. Sie könnten eben diese Gewichtung ändern, sprich, ihre Algorithmen anpassen und Nachrichten von vertrauenswürdigen Quellen höher bewerten als jene von unbekannten oder gar erwiesenermaßen zweifelhaften. Der Müll würde so zwar nicht aus dem Netz verschwinden aber weniger sichtbar und damit auch seltener geteilt werden.
Die Journalism Trust Initiative, initiiert und getragen von der Organisation Reporter ohne Grenzen, der European Broadcasting Union und anderen namhaften Medien-Institutionen, hat hier wichtige Vorarbeit geleistet. Nun müssen die Konzerne das Übel auch anpacken wollen, notfalls unter mehr oder weniger sanftem Druck von Regulierungbehörden. Hier liegt zugegeben ein Risiko, denn Regulierer könnten sich auf diese Weise auch dem Einfluss kritischer Stimmen entledigen. Man möchte weder einem Donald Trump noch einem Viktor Orban das Privileg zubilligen, über die Qualität von Journalismus zu urteilen. Dies sollte Gremien überlassen bleiben, die sich der Neutralität und Faktentreue verschrieben haben.
Am wichtigsten ist es allerdings, bei den Empfängern anzusetzen. Bislang wissen nur die wenigsten Bürger, nach welchen Kriterien Inhalte im Netz verteilt werden und an ihre Adressaten gelangen, wer Zugang zu diesen Kanälen hat und wie leicht sich erlogene aber täuschend echt wirkende Informationen erstellen lassen. Auch über die Besitzverhältnisse der digitalen Infrastruktur sind eher nur die Fachleute informiert. Zumindest kann nicht vorausgesetzt werden, dass jedem Nutzer klar ist, dass hinter der Kurzvideo-Plattform TikTok ein chinesischer Konzern steckt. Davon abgesehen, dass auch diejenigen, die es wissen, mit TikTok arbeiten oder es nutzen – aus Spaß, oder weil man damit eben viele Kunden erreicht.
„Finnland ist winning the war“
Noch am ehesten kann vorausgesetzt werden, dass das Publikum zumindest Grundkenntnisse darüber hat, wie Journalismus funktioniert. Dass sich Reporter und Redakteure im Normalfall an ethische und handwerkliche Regeln gebunden fühlen – Beispiele sind das Vier-Augen-Prinzip und das Einholen mehrerer Quellen – haben viele Bürger schon gehört, auch wenn sie es nicht immer glauben. Und ein Großteil der Bevölkerung verlässt sich eher auf etablierte Marken wie die „Tagesschau“, Sender wie die BBC oder auf ihre Lokalzeitung als auf zweifelhafte „Experten“, die manch ein Facebook-Beitrag nach oben schwemmt. Das lässt sich aus Medienkonsum-Studien wie dem Digital News Report ablesen.
Aber all das ist keine Selbstverständlichkeit. Aufklärung tut also Not. Bislang funktioniert das am besten in der jungen Generation. Junge Leute betrachten „Fake News“ eher als Belästigung denn als echte Gefahr. Viele von ihnen haben gelernt, sich durch die Abgründe des Internets zu navigieren – um den Preis, dass sie allen Informationen mit größerer Skepsis begegnen als die älteren Generationen, inklusive dem Qualitätsjournalismus. Sie bringen sich das gegenseitig bei oder lernen es in der Schule, wo es natürlich die beste Infrastruktur für digitale Bildung gibt.
Anders geht es den Älteren. Sie sind einerseits anfälliger für Falschmeldungen, weil sie weniger über die Online-Welt wissen, andererseits aber auch verletzlicher, weil sie gezielt von Algorithmen als mutmaßlich leichte Beute angesteuert werden. Es ist erwiesen, dass Senioren sehr viel häufiger Falschmeldungen bekommen und teilen als ihre Enkel. Bildungsprogramme für diejenigen, die Schule und Universität bereits verlassen haben, sind also existentiell, wenn einem der aufgeklärte Umgang der Bevölkerung mit der Kommunikations- und Informationsinfrastruktur am Herzen liegt. Dies sollte und muss in allen Demokratien der Fall sein. Am Beispiel Finnland lässt sich ablesen, dass das recht ordentlich funktionieren kann. Eine 2014 begonnene Aufklärungskampagne über „Fake News“ war so erfolgreich, dass CNN in einem Feature bereits triumphierte: „Finnland is winning the war on fake news“. Selbst aus Singapur seien Regierungsvertreter angereist, um das Erfolgsrezept zu kopieren. Aber auch anderswo gibt es gute Initiativen für generationenübergreifende digitale Bildung, zum Beispiel in Tschechien.
Dort, wo diese Aufklärung nicht existiert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Regierungen gar kein Interesse an der digitalen Mündigkeit ihrer Bürger haben. Eine verwirrte Öffentlichkeit ist anfälliger für einfache, populistische Interpretationen der Lage, eine kritische Presse und unangenehme Fakten stören so manch einen Amtsträger nur. Digitale Bildung darf deshalb nicht nur in der öffentlichen Hand liegen. Wer dazu beiträgt, dient der Demokratie. Unabhängige Medien zum Beispiel können gar nicht genug dafür tun.
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