Fördert Deutschland einen Islamismus
„Made in Germany“?

Nach dem Terror­an­griff der Hamas stehen die Islam­ver­bände in Deutschland in der Kritik, sich nicht von Antise­mi­tismus zu distan­zieren. Warum ein genauerer Blick viel grund­sätz­li­chere Probleme offenbart – und auch Deutschland in der Pflicht ist, erläutern der Islam­wis­sen­schaftler Michael Kiefer, die Autorin Sineb El Masrar und der Pädagoge Burak Yilmaz.

Zweieinhalb Monate nach dem Terror­an­griff der Hamas ringt die deutsche Gesell­schaft nach wie vor um die richtige Reaktion auf den hiesigen Antise­mi­tismus. Im Fokus der Debatte stehen auch die großen Islam­ver­bände. Vor allem sind das zwei Organi­sa­tionen: der Dachverband Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD) sowie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB). Beide Organi­sa­tionen sind dem organi­sierten Islamismus zuzuordnen und stehen daher schon seit langem in der Kritik. (siehe Infokasten an der Seite)

Islam­ver­bände: Keine Ausein­an­der­setzung mit dem Judenhass in den eigenen Reihen

In der aktuellen Debatte ging es zunächst jedoch vor allem um die Reaktionen der Verbände auf den Terror­an­griff vom 7. Oktober und ihre Positio­nierung im darauf­fol­genden Krieg Israels zur Zerschlagung der Hamas. Der Islam­wis­sen­schaftler Michael Kiefer von der Univer­sität Osnabrück betont, dass die großen islami­schen Verbände „offen­kundig große Schwie­rig­keiten hatten“, die Terror­at­tacke der Hamas „als histo­rische Zäsur zu begreifen“ und sie „mit Ross und Reiter zu benennen“.

Auch der Pädagoge Burak Yilmaz teilt diese Einschätzung und kriti­siert, dass die Positio­nie­rungen gegen Antise­mi­tismus in der Regel erst auf öffent­lichen Druck hin erfolgt seien. Darüber hinaus habe es aber bislang kaum kritische Ausein­an­der­setzung mit Judenhass in den eigenen Reihen gegeben. Im Gegenteil: In Moschee-Predigten seien nach wie vor häufig Israel und die Juden als unver­söhn­licher Feind des Islam beschworen worden. „Dabei wird ignoriert, dass sich der brutale Terror der Hamas auch gegen die Bevöl­kerung im Gaza-Streifen richtet und dass viele Paläs­ti­nenser Christen sind“, so Yilmaz.

Kritik an Stimmungs­mache gegen Immigration und Muslime

Gleich­zeitig beunruhigt auch Yilmaz der häufig geäußerte General­ver­dacht des Antise­mi­tismus gegenüber Muslimen. Selbst er, der öffent­lich­keits­wirksam dagegen eintritt, sei in den letzten Wochen besonders stark angefeindet worden. Unter deutschen Muslimen gebe es inzwi­schen verstärkt Zweifel, ob man in Deutschland überhaupt als Teil der Gesell­schaft gewollt sei. Erst recht, wenn die Kritik am Antise­mi­tismus unter Muslimen mit Forde­rungen nach Abschie­bungen selbst deutscher Staats­bürger verbunden werden. Auch Michael Kiefer hebt die aktuell verbreitete „demago­gische Stimmungs­mache gegen Immigration und Muslime“ hervor.

Die großen Islam­ver­bände werden inzwi­schen genauer beobachtet

Sineb El Masrar beobachtet ebenfalls eine in Deutschland weitver­breitete Muslim­feind­lichkeit. Gleich­zeitig ist die deutsch-marok­ka­nische Autorin erleichtert, dass die großen Islam­ver­bände inzwi­schen „kriti­scher beäugt und klarer dem Islamismus zugeordnet werden“. „Musli­mi­sches Leben in Deutschland ist weitaus diverser als uns die reaktio­nären Verbände vorgaukeln“, so El Masrar, die zahlreiche Bücher über Lebens­welten musli­mi­scher Jugend­licher und junger Erwach­sener veröf­fent­licht hat. Insgesamt vertreten die großen Verbände höchstens 20 Prozent der etwa 5,5, Millionen Muslime in Deutschland.

Die Debatte um Antise­mi­tismus fokus­siert sich zu stark auf die Islamverbände

Burak Yilmaz kriti­sierte vor diesem Hinter­grund, dass sich die politische und mediale Debatte um Antise­mi­tismus unter Muslimen erneut so stark auf die Islam­ver­bände fokus­siert hat. Liberalere und besonnene Stimmen aus der musli­mi­schen Zivil­ge­sell­schaft seien in der Debatte nicht ausrei­chend gewürdigt worden. Die häufig vorge­brachte Einschätzung, dass es neben den etablierten Verbänden schlicht keine anderen Ansprech­partner für Politik, Zivil­ge­sell­schaft und Medien gebe, teilt Yilmaz nicht.

Die Politik muss die bisherige Förderung der Verbände umfassend aufarbeiten

Denn gerade auf lokaler Ebene gebe es genügend Organi­sa­tionen und Initia­tiven, die „den Kampf gegen Rassismus mit dem gegen Antise­mi­tismus verbinden“ und „eine „breitere Solida­rität leben wollen“ – unabhängig von den großen Verbänden. Armut, fehlende gesell­schaft­liche Teilhabe und schlechte Bildungs­chancen dürfe gerade bei der Jugend­arbeit in margi­na­li­sierten Stadt­teilen nicht durch eine Zusam­men­arbeit mit den großen Verbänden kompen­siert werden. Sineb El Masrar fordert eine umfas­sende Aufar­beitung der Geschichte der Förderung der großen Islam­ver­bände durch die deutsche Politik.

Ausbildung der DITIB-Imane in Deutschland, nicht mehr in der Türkei

Michael Kiefer setzt sich schon seit langem dafür ein, dass die von der türki­schen Religi­ons­be­hörde Diyanet entsandten DITIB-Imame nicht mehr in der Türkei, sondern in Deutschland ausge­bildet werden sollten. So kann es besser gelingen, „hiesige Standards in Bezug auf Zivil­ge­sell­schaft und Demokratie“ zu vermitteln“, so Kiefer. Die Ankün­digung des Bundes­in­nen­mi­nis­te­riums Mitte Dezember, die Entsendung staatlich bediens­teter Religi­ons­be­auf­tragter aus der Türkei nach Deutschland schritt­weise zu beenden begrüßt der Islam­wis­sen­schaftler daher als einen „Schritt in die richtige Richtung“.

„Der Islamismus ist längst schon Teil deutscher Islamtheologie“

Das zentrale Problem der Bezahlung der Imame sei damit jedoch nicht gelöst. Wenn die Gehälter nach wir vor aus der Türkei bezahlt werden, behält die Religi­ons­be­hörde weiterhin die Kontrolle, sagt Kiefer. Sineb El-Masrar kommen­tiert das so: „Ich muss leider Wein in den Ayran gießen. Der Islamismus ist längst schon Teil deutscher Islam­theo­logie. Deutschland fördert Islamismus Made in Germany.“

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EINORDNUNG DER ISLAMVERBÄNDE

DITIB und Mili Görus

DITIB ist regel­mäßig in den Negativ­schlag­zeilen, so etwa wegen der Betei­ligung am Pro-Erdogan-Wahlkampf unter in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken. DITIB konnte hier auf etablierte Netzwerke zurück­greifen, zu denen auch Milli Görüs zählt, eine bundesweit aktive islamis­tische Organi­sation, die sich mittler­weile als gemäßigt präsen­tiert. Milli Görüs dominiert den politisch ebenfalls bedeu­tenden Dachverband Islamrat für die Bundes­re­publik Deutschland e.V. und ist, ähnlich wie DITIB, vielerorts ein zentraler Akteur in der lokalen Islampolitik.

Dachverband Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD)

Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland steht bereits seit langem in der Kritik. Lange Zeit bot der Dachverband dem Islami­schen Zentrum Hamburg (IZH) eine Heimat. Forde­rungen nach einem Verbot des vom irani­schen Regime kontrol­lierten IZH wurden gerade in den letzten Wochen immer wieder bekräftigt. Vor dem Hinter­grund einer umfäng­lichen Polizei-Razzia im IZH beschloss der ZMD im November dieses Jahres, dessen Mitglied­schaft auszusetzen.

Graue Wölfe und Deutsche Musli­mische Gemein­schaft (DMG)

Die als Teil der islamis­ti­schen Muslim­bru­der­schaft geltende Deutsche Musli­mische Gemein­schaft (DMG, vormals IGD) war bereits 2022 aus dem ZMD ausge­schlossen worden. Die weiterhin größte Mitglieds­or­ga­ni­sation des ZMD ist die zu den rechts­extremen Grauen Wölfen gehörende Union der Türkisch-Islami­schen Kultur­vereine in Europa (ATIB). Ein Verbot der Grauen Wölfe wird ebenfalls seit langem gefordert, gilt jedoch als unwahr­scheinlich und wird von der Bundes­re­gierung bereits seit Ende 2020 geprüft.

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