Hausaufgaben in „Xi-Jinping-Gedanken“
Xi Jinpings Doktrin des Sozialismus verbreitet sich seit Jahren im ganzen Land. Doch jetzt geht Peking noch einen Schritt weiter – und macht sie zum Bestandteil des Lehrplans. Gestrichen wird dafür mancherorts Englisch. Wie will China so zur Weltmacht aufsteigen?
Der Schritt ziele darauf ab, die „Entschlossenheit, auf die Partei zu hören und ihr zu folgen“ zu stärken. Auch müssten Unterrichtsmaterialien „patriotische Gefühle kultivieren“. So fordern es Leitlinien, die das chinesische Bildungsministerium jüngst veröffentlicht hat. Der Schritt, um den es in den Leitlinien geht, besagt: China wird die Ideen seines politischen Anführers, die „Xi-Jinping-Gedanken“, in seinen nationalen Lehrplan aufnehmen – um, so das Bildungsministerium, der Jugend des Landes zu helfen, „marxistische Überzeugungen“ zu entwickeln.
Seit bald zehn Jahren ist Xi Jinping Chef der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und damit der mächtigste Mann des Landes. 2017 stellte er auf einem Parteitag eine in schönster kommunistischer Parteiprosa verfasste Doktrin vor, die den Namen trägt: „Xi Jinpings Ideen des Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter“. Zum Abschluss des Parteitags wurden diese Ideen ins Parteistatut aufgenommen, ein Jahr später sogar in die Verfassung. Zusammengefasst handelt es sich bei der Doktrin um einen Plan zur Konsolidierung von Macht auf drei Ebenen: der Nation, der Partei und von Xi Jinping selbst. Anders ausgedrückt: Make China great again. And the party. And Xi Jinping.
Seit 2017 verbreitet sich diese Doktrin im ganzen Land. Sie steht in Zeitungen, läuft im Fernsehen und schreit von Plakaten und Bannern. Doch jetzt geht die Volksrepublik einen Schritt weiter: Sie macht die „Xi-Jinping-Gedanken“ offiziell zum Bestandteil des Lehrplans. Ab September werden die etwa 300 Millionen Schüler des Landes die Doktrin zu büffeln haben – von der Grundschule bis zur Uni. Doch manchen Städten schien das noch nicht genug zu sein: Die Wirtschaftsmetropole Shanghai gab bekannt, für Schüler der dritten bis zur fünften Klasse nur noch Abschlussprüfungen in Mathematik und Chinesisch durchzuführen – und Englisch als Prüfungsfach zu streichen. Und die Hauptstadt Peking kündigte an, die Verwendung nicht genehmigter ausländischer Schulbücher in Grund- und Mittelschulen zu verbieten.
Wie eine Umfrage des britischen Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem vergangenen Jahr zeigt, wird die Volksrepublik in Deutschland als aufstrebende Supermacht wahrgenommen. Demnach sind mehr als 40 Prozent der Deutschen der Meinung, dass China die USA in den kommenden Jahrzehnten als mächtigster Staat ablösen wird. Doch die Frage lautet: Wie will ein Land, das seine Jugend mit sozialistischer Ideologie und Personenkult beschallt, zur Weltmacht aufsteigen? Und ist der Verzicht auf die Weltsprache Englisch nicht der schnellste Weg in die Isolation?
Die Bildungsreform fällt in eine Zeit, in der Peking die „Xi-Jinping-Gedanken“ mit viel Nachdruck verbreitet. Am Anfang des Sommers richteten mehrere Ministerien und Abteilungen 200 Konten auf WeChat ein, dem größten sozialen Netzwerk des Landes. Die Konten sollen die Doktrin im Internet zirkulieren lassen. Im Juli veröffentlichte das Bildungsministerium zudem ein Schulbuch über die „Xi-Jinping-Gedanken“.
Auch fällt die Reform in eine Zeit, in der die Volksrepublik viele Bereiche des öffentlichen Lebens – von der IT-Branche bis hin zur Unterhaltungsindustrie – brutal maßregelt. So erschwert Peking chinesischen Technologieunternehmen seit einiger Zeit Börsengänge im Ausland. Einem Pressebericht zufolge ist sogar ein pauschales Verbot von IPOs in den USA geplant. Auch geht Peking massiv gegen das Showbusiness vor. Den Popstar Kris Wu nahm die Polizei unter dem Vorwurf der Vergewaltigung fest. Dieser Tage verschwanden zudem Kinofilme und Fernsehserien, in denen die Schauspielerin Zhao Wei mitgespielt hatte, von sämtlichen chinesischen Streaming-Plattformen. Der Grund für die Ausradierung des Stars ist unklar.
China entkoppelt sich
In der Summe zeigen diese nur auf den ersten Blick zusammenhanglosen Entwicklungen, dass sich China – siehe das drohende Verbot von Börsengängen in den USA – vom Westen abkoppelt. Und dass Peking – siehe das Canceln von Filmstars – seine Jugend vor Exzessen bewahren will, die als westlich wahrgenommen werden, etwa Starkult, Superreichtum und Moralverfall. Ein nationalistischer Blogger beschwor zuletzt einen „tiefgreifenden Wandel in Wirtschaft, Finanzen, Kultur und Politik“, eine „tiefgreifende Revolution“ und eine „Rückbesinnung von den Kapitalisten zu den Massen“. Parteimedien teilten den Text – was darauf hindeutet, dass die Parteizentrale der Analyse zustimmt.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sei die Lehrplanreform gar nicht besonders überraschend, sagt Caspar Welbergen, Geschäftsführer beim Bildungsnetzwerk China, einer Initiative, die den schulischen Austausch zwischen Deutschland und China intensivieren will. „Die Betonung der ‚Xi-Jinping-Gedanken‘ ist eine Maßnahme, die sich mittlerweile durch alle Gesellschaftsbereiche zieht“, sagt er: „Es ist fast schon konsequent, dass sie jetzt auch im Bildungssystem ankommt.“ Den Austausch mit China mache die Doktrin nicht einfacher.
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