Konferenzbericht: „Geopolitische Zeitenwende? Die Ukraine und die Zukunft der EU“

Am 12. November 2025 fand in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung die internationale Konferenz „Geopolitische Zeitenwende? – Die Ukraine und die Zukunft der EU“ statt, organisiert vom Zentrum Liberale Moderne in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zahlreiche hochkarätige Panelistinnen und Panelisten debattierten über die Zukunft der EU und eine mögliche geopolitische Zeitenwende.
Der russische Angriffskrieg betreffe nicht allein die Ukraine, sondern die Grundpfeiler der europäischen Ordnung, betonte Lars Hänsler, Leiter der Abteilung Europa und Nordamerika der KAS, in seiner Eröffnungsrede: „Die Ukraine verteidigt nicht nur ihre territoriale Integrität, sondern auch die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung.“ Die EU-Erweiterung sei weniger technokratische Übung als vielmehr „geostrategische Notwendigkeit“, so Lars Hänsler weiter. Die Zukunft Europas entscheide sich gerade in der Ukraine, und genau dort werde sich zeigen, „ob auf dem europäischen Kontinent Grenzen mit Gewalt verschoben werden können“.
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Mehr InformationenMarieluise Beck knüpfte daran an und stellte die jüngsten Entwicklungen in einen breiteren historischen Kontext: Die geopolitischen Erschütterungen seien keine singuläre „Zeitenwende“, sondern hätten ihre Vorläufer – in Georgien 2008, in Syrien und mit den Völkerrechtsbrüchen seit 2014. Sie analysierte, man habe lange in einer Phase europäischer Selbsttäuschung gelebt und sich in „großer Ruhe und Gemütlichkeit“ gewägt. Die Osteuropa-Expertin und Co-Gründerin des Zentrum Liberale Moderne warnte zudem vor Blockaden innerhalb der EU: „Wir haben Spoiler, die von innen heraus die Europäische Union lahmlegen“, währenddessen zahle die Ukraine täglich den Preis für die europäische Zögerlichkeit.
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Mehr InformationenZwei Keynote-Speakerinnen bildeten den Auftakt für die weitere Diskussion: Anja Wallau, Beauftragte für Grundsatzfragen der Europapolitik, EU-Koordinierung und EU-Außenbeziehungen im Auswärtigen Amt, hob in ihrer Rede die strukturellen Herausforderungen eines EU-Beitrittsprozesses hervor. Ivanna Klympush-Tsintsadze, Abgeordnete der Werchowna Rada und Vorsitzende des Ausschusses für die Integration der Ukraine in die EU, betonte die existenzielle Bedeutung eines EU-Beitritts der Ukraine.
Keynote: Anja Wallau
Anja Wallau analysierte in ihrem Beitrag die aktuelle Lage in der Ukraine und die strukturellen Herausforderungen des EU-Beitrittsprozesses: Seit dreieinhalb Jahren verteidige sich die Ukraine gegen die „brutale, völkerrechtswidrige russische Aggression“. genauer, „seit 1358 Tagen“, hob sie hervor und konkretisierte damit die existenzielle Bedrohungslage. Wiederkehrende Angriffe auf Energieinfrastruktur hätten bereits zu massiven Stromausfällen geführt.
In diesem Zusammenhang sprach sie auch über den jüngsten Korruptionsverdacht. Dieser hatte insbesondere im Energiebereich für großes Unverständnis in der Bevölkerung gesorgt. Die Ukraine, so Wallau, habe sich klare Reformziele gesetzt, insbesondere im Bereich der Antikorruptionsinstitutionen. Dass der Versuch, die Unabhängigkeit dieser Behörden zu beschneiden, nach Protesten der Zivilgesellschaft zurückgenommen worden sei, wertete Wallau als einen Beleg dafür, dass eine lebendige Zivilgesellschaft „Motor des Annäherungsprozesses“ sei.
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Mehr InformationenKeynote: Ivanna Klympush-Tsintsadze
Seit zwölf Jahren kämpfe die Ukraine um ihr Existenzrecht und ihre europäische Zukunft, so Ivanna Klympush-Tsintsadze in ihrer Keynote-Speech. Während Russland Städte zerstört, Bürgerinnen und Bürger deportiert und mit Angriffen auf die Energieinfrastruktur versucht, den Widerstand zu brechen, verteidige die Ukraine weiterhin entschlossen ihren europäischen Kurs, so die Abgeordnete der Werchowna Rada weiter. Der EU-Beitritt sei daher weniger eine technokratische Frage als vielmehr eine echte „Zivilisationswahl“ – und die Ukrainerinnen und Ukrainer wählten die EU und damit einen Raum von Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit. Sie betonte, dass Europa die Ukraine ebenso brauche wie die Ukraine Europa, nur so könne sie politische Substanz und globale Handlungsfähigkeit erhalten. Ihr Appell lautete, „pragmatisch das Unmögliche zu tun“: den EU-Beitritt der Ukraine voranbringen und gemeinsam eine Perspektive für einen Sieg gegenüber der russischen Aggression entwickeln.
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Mehr InformationenPanel 1: Ukraine-Beitritt – Wo stehen wir jetzt?
Im ersten Panel wurde deutlich: Die EU-Erweiterung ist politisch gewollt, wird jedoch von inneren Blockaden und offenen Reformfragen gebremst.
Anja Wallau betonte: Erweiterung und EU-interne Reformen sollten nicht sequenziell, sondern „glaubwürdig Hand in Hand“ erfolgen. Sie unterstrich, dass die Beitrittsverträge selbst flexibel gestaltet werden könnten: „Man kann schauen auf Beitrittsverträge – was da möglich ist, ob Übergangsfristen helfen oder ob flexible Zusammenarbeit verstärkt genutzt werden kann.“ Parallel dazu solle die Ukraine durch schrittweise Integration frühzeitig spürbare Vorteile erhalten: „Die graduelle Integration kann man als Kontinuum sehen – Erasmus, Roaming, wissenschaftliche Zusammenarbeit – Dinge, die spürbar machen, dass Fortschritte real sind.“
Anton Hofreiter kritisierte das ungarische Veto als Ausdruck einer „naiv formalistischen“ EU-Politik und forderte deutlich mehr politischen Druck auf die ungarische Regierung. Zudem plädierte er dafür, künftige EU-Beitrittsverträge so zu gestalten, dass neue Mitgliedstaaten auf ein Vetorecht verzichten oder dieses begrenzen, um Erpressung und Blockaden im Erweiterungsprozess zu verhindern.
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Mehr InformationenPanel 2: Umsetzung der EU-Reformen in der Ukraine und Moldau
Um den aktuellen Stand der Umsetzung der EU-Reformen ging es im zweiten Panel. Vertreterinnen und Vertreter aus Diplomatie, Politik und Zivilgesellschaft zogen eine Zwischenbilanz, die sowohl Fortschritte als auch erhebliche Herausforderungen zeigte. Trotz Krieg, massiver russischer Einflussnahme und struktureller Schwächen seien deutliche Fortschritte sichtbar – zugleich bestünden zentrale Defizite.
Adrian Pollmann (Auswärtiges Amt) würdigte, dass die Ukraine trotz des Krieges außergewöhnlichen Reformleistungen geschafft habe und betonte, dass der EU-Integrationsprozess unter Kriegsbedingungen „ein sehr spezieller Fall“ sei. Besonders in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung gebe es weiterhin große Aufgaben, etwa beim Schutz der unabhängigen Antikorruptionsbehörden NABU und SAPO.
Liubov Akulenko (UCEP) hingegen warnte vor einer übermäßig optimistischen Darstellung durch die Europäische Kommission. Eine zu positive kommunikative Rahmung könne dazu führen, dass politisch schmerzhafte aber notwendige Reformen verschoben würden. Sie plädierte für einen vertraulichen, stringenten bilateralen Dialog zwischen Deutschland und der Ukraine, um Reformumsetzung verlässlich einzufordern. Zugleich stehe die Zivilgesellschaft im Kriegszustand unter enormem Druck – konsequenter Reformdruck sei daher essenziell für die Stabilität des Landes.
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Mehr InformationenPanel 3: Die Zivilgesellschaft in Georgien, Moldau und der Ukraine
Die zentrale und zunehmend gefährdete Rolle der Zivilgesellschaft stand im Fokus des dritten Veranstaltungspanels.
Iryna Krasnoshtan schilderte, wie ukrainische Aktivistinnen unter Kriegsbedingungen Überlebenshilfe, internationale Advocacy und Antikorruptionskontrolle zugleich leisten – das alles unter ständiger Bedrohung durch physische Angriffe und politischen Druck.
Sergi Kapanadze zeichnete für Georgien ein alarmierendes Bild systematischer Repression: Zivilgesellschaft, Medien, Opposition und Universitäten stünden unter massivem Druck, während „Agentengesetze“ und strafrechtliche Verfolgung den demokratischen Raum weiter einengten.
Der Bundestagsabgeordnete Johannes Volkmann machte deutlich, dass eine starke, unabhängige Zivilgesellschaft in der Ukraine, Moldau und Georgien, ist kein ‚Nice-to-have‘, sondern ein zentraler Pfeiler ihrer europäischen Zukunft. Ohne freie Medien, ohne kritische NGOs und ohne politischen Pluralismus gebe es keine tragfähige Demokratie – und damit auch keinen erfolgreichen EU-Beitritt.
Die Panelisten betonten, dass trotz dieser Bedrohungen Widerstand, pro-europäische Unterstützung in der Bevölkerung und internationale Zusammenarbeit entscheidend blieben, um so demokratische Handlungsspielräume zu sichern.
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Mehr InformationenAbschlusspanel
Der EU-Beitritt der Ukraine stellt für Deutschland und die EU eine zentrale geopolitische Herausforderung dar. Das wurde im abschließenden Panel deutlich. Litauens Botschafter Giedrius Puodžiūnas betonte: „Die Ukraine muss unsere Priorität Nummer eins sein.“
Jürgen Hardt hob hervor, dass der Erweiterungsprozess zugleich ein Reformmotor für die EU sei: „Vielleicht finden wir besser eine Lösung, wenn der Druck da ist, dass es jetzt auch irgendwann ernst und konkret wird.“
Barbara Gessler unterstrich, dass Erweiterung und innere Stärkung der EU untrennbar miteinander verbunden seien: „Es muss ein paralleler Prozess sein: Europa wird stark durch Erweiterung. Europa muss wirtschaftlich stark werden, es muss sich verteidigen können – weil es letztendlich auch darum geht, erweiterungsfähig zu sein.“
Die französische Politikwissenschaftlerin Céline Marangé analysierte die sicherheitspolitische Tragweite und kam zu dem Schluss: „Die Ukraine in der EU hätte strategische Signifikanz, da der Kreml die Ukraine und den Rest Europas angreift.“
Ralf Fücks brachte in seinem Schlusswort die strategische Perspektive auf den Punkt: „Die entscheidende Frage ist, dass die Ukraine ihre volle Souveränität nach innen und außen wahrt … und das schließt den Beitritt zur Europäischen Union ein.“
Bei unterschiedlichen Inputs und Perspektiven verdeutlichten die Beiträge sämtlich: Ein EU-Beitritt der Ukraine ist nicht nur ein politischer Integrationsprozess, sondern ein sicherheitspolitischer Eckpfeiler Europas und wichtiges Fundament der Zukunft des europäischen Kontinents.
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Mehr InformationenH
Am Rande der Konferenz waren Fotografien ausgestellt, die den Freiheitskampf von Menschen in Georgien und der Ukraine zeigen. Wir danken Sébastien Canaud und Juda Khatia Psuturi (Georgien) sowie Sofia Bobok (Ukraine).
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