Corona: Eine Seuche im Wettbewerb der Systeme
Der Kampf gegen das Coronavirus ist auch ein Wettbewerb zwischen liberaler Demokratie und Autokratie um die Frage, welches Gesellschaftssystem das Virus am erfolgreichsten bekämpft. Roderick Kefferpütz zeigt auf, wie in Pandemiezeiten die Geopolitik weiter läuft. In den ersten Wochen machte Europa keine gute Figur. Wird es sich in den nächsten Monaten gegen seine autoritären Gegner bewähren?
Die Welt kämpft gegen ein Virus. Mit hoher Geschwindigkeit breitet es sich aus. Zahlreiche Länder hat es im Griff. Regierungen stemmen sich gegen den Zusammenbruch der Gesundheitssysteme, der Wirtschaft und der Gesellschaft.
Das Coronavirus dominiert die Weltpolitik. Aber es verdrängt nicht die Machtpolitik in der Welt. Geopolitischer Wettstreit kennt keine Ruhepausen.
Im Gegenteil: Das Coronavirus ist ein geopolitischer Brandbeschleuniger. Es verstärkt die bestehenden Grunddynamiken. Das globale Machtvakuum ist noch deutlicher spürbar.
Das Coronavirus führt die Machtlosigkeit der USA vor Augen. Die Vereinigten Staaten sind das weltweit am schwersten von der Pandemie betroffene Land. Die Trump Administration ist nicht früh genug Herr der Lage geworden. Eine Großmacht, die den Eindruck vermittelt, sie könne die eigene Gesellschaft nicht schützen, wird nicht als internationale Schutzmacht wahrgenommen werden. Zahlreiche Staaten sind auf der Suche nach Orientierung und Führung. Drittländer suchen Schutz in der Krise. Sie werden ihn wohl jenseits der USA suchen.
Es gibt keine globale Ordnungskraft mehr. Die USA hat sich unter der Trump-Administration von dieser Position verabschiedet. Hatte die USA im Kampf gegen die Ebola-Epidemie 2014 noch eine Führungsrolle eingenommen, ist sie heute auf der globalen Bühne eklatant abwesend. Globaler Gestaltungswille ist nicht sichtbar. Der Westen führt nicht den globalen Kampf gegen das Virus an. Keiner übernimmt die Last globaler Verantwortung. Die alte, vertraute geopolitische Ordnung erlischt wie ein zu kurzer Kerzendocht im flüssigen Wachs. Willkommen im Zeitalter der Weltunordnung.
Das Coronavirus stiftet Chaos. Aber für manche ist Chaos kein Abgrund, sondern eine Leiter, wie es Littlefinger in der HBO-Serie Game of Thrones ausdrückt. Gerade China wittert in der Gesundheitskrise eine geopolitische Chance. Das Reich der Mitte folgt der zynischen Game of Thrones Denke mit einer alten Mao Devise: „Es herrscht große Unordnung unter dem Himmel, die Lage ist ausgezeichnet.“
China betrachtet Coronadiplomatie als weltgeschichtliche Chance
Peking stilisierte sich als Retter in Not. Öffentlichkeitswirksam wurde Staaten wie Italien und Spanien, die mit der Coronakrise hart zu kämpfen haben, Hilfe und Schutzausrüstung angeboten. Im Rahmen seiner geowirtschaftlichen Infrastruktur- und Vernetzungsoffensive – der Neuen Seidenstraße – hatte Peking auch die Idee einer „Seidenstraße der Gesundheit“ ausgepackt. Gerade im Medizinbereich sind viele Staaten auf China angewiesen. Schutzausrüstung, Masken, Medikamente – alle brauchen was China produziert. Xi Jinpings Konzept einer „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ wird wieder in den Vordergrund gestellt. Der Tenor: Im Kampf gegen das Virus liegt das Schicksal der Menschheit in Chinas Händen. Während man den Ausbruch des Coronavirus in Wuhan vertuschte, prahlt man nun mit der Rettung der Welt.
Natürlich ist es gut und lobenswert, dass China zahlreichen Staaten im Kampf gegen das Virus hilft. Aber man sollte nicht blauäugig sein. In der internationalen Arena sind Staaten keine karitativen Einrichtungen. Die Volksrepublik etabliert sich als globale „Diskursmacht“ (huayuquan) und will der Welt ihr Narrativ aufdrücken. Peking formuliert seinen Führungsanspruch in der führungslosen Welt.
Es geht sogar noch einen Schritt weiter und stiftet Chaos und Misstrauen in den Gesellschaften demokratischer Staaten. „Chinas konfrontativere Haltung zu COVID-19 stellt eine klare Abkehr von seinem früheren Verhalten dar und signalisiert eine Verlagerung hin zu einem eher russischen Stil der Informationsmanipulation“, schreiben Experten des German Marshall Fund.
Hamstern statt helfen
Europa war für Chinas Maskendiplomatie ein gefundenes Fressen. Als das Coronavirus den Kontinent überfiel, war die Europäische Union plan- und sprachlos. In den Feuilletonseiten wurde das Hohelied der Solidarität angestimmt, aber in den Regierungszentralen der EU-Mitgliedsstaaten herrschte political distancing. Hamstern statt helfen war die Devise. Frankreich beschlagnahmte Masken, die für Belgien, die Niederlande, Portugal, Spanien und Italien vorgesehen waren. Deutschland verhängte ein Exportverbot für medizinische Schutzgüter. Der italienische Hilfeschrei – die Aktivierung des Europäischen Zivil- und Katastrophenschutzes mit Bitte um materieller Unterstützung – blieb unbeantwortet.
China, und auch Russland, nutzten die Situation aus. Ihre Hilfeleistungen dienten humanitären und hegemonialen Zielen. Sie verschickten Material und vertieften zugleich die bestehenden Risse zwischen den Ländern der EU. Die proeuropäische Stimmung ist in Italien während der Coronakrise gekippt. Einer Umfrage zufolge würden 50% nun einen EU-Austritt befürworten. Auch Länder mit EU-Beitrittsverhandlungen, wie Serbien, fühlen sich allein gelassen. Die Solidarität Europas sei „ein Märchen auf Papier … Es hat sich gezeigt, dass Europa sich ohne China kaum selbst schützen kann“, sagte Serbiens Präsident Aleksandar Vučić zynisch. Europas Einfluss in seiner Peripherie schmilzt. Das ermutigt andere Akteure vorzupreschen.
Mittlerweile hat die Volksrepublik ihr Blatt überreizt. Zu großspurig und aggressiv war die chinesische Rhetorik. Hilfsmaterial war defekt, ein chinesischer Diplomat griff die französische Regierung hart an, mit der Behauptung, sie habe Bewohner von Altersheimen an „Hunger und Krankheit sterben lassen“. Und letztlich haben die Menschen den Ursprungsort des Virus nicht vergessen. „China lost Europe“, so Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der China-Delegation des Europaparlaments.
Aber die Pandemie hielt uns die geopolitische Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit der EU vor Augen. Sie verwandelte Europa zum Schachbrett auf dem die Großmächte ihre hegemonialen Züge spielen. Es war ein geopolitischer Weckruf, der Frankreich, Deutschland und die selbsternannte „geopolitische“ EU-Kommission wachrüttelte. Es offenbarte wie kleinkariert, egozentrisch und sogar unpolitisch viele EU-Regierungen denken und handeln. Die EU hat in der Tat, wie Kommissionspräsidentin von der Leyen sagte, tief „in den Abgrund geschaut“.
Wir leben in einem geopolitischen Zeitalter. Der Systemkonflikt zwischen dem Westen und autokratischen Staaten dominiert die Weltpolitik. Seuchen pausieren nicht den geopolitischen Wettbewerb, sie prägen ihn. In der Geschichte des Peloponnesischen Krieges war auch der Ausbruch der Pest in Athen kriegsentscheidend.
Deswegen ist der Kampf gegen das Coronavirus auch ein Wettbewerb zwischen liberaler Demokratie und Autokratie, und welches Gesellschaftssystem das Virus am erfolgreichsten bekämpft. Die Europäische Union hat in der Krise, wenn auch verspätet, ihre Schockstarre überwunden und eine aktivere Rolle eingenommen.
Aber diese Krise wird ihre europäischen, sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wunden hinterlassen. Es droht eine Phase wirtschaftlicher Schwäche, finanzieller Nöte und politischer Instabilität. Zahlreiche EU-Staaten werden mit hohen Schulden, Arbeitslosigkeit und Populismus konfrontiert sein. Europa könnte der kranke Mann der Welt werden; ein armer, alter, abgeschlagener Kontinent auf den sich andere Mächte wie die Geier stürzen.
Das forciert Europas Blick nach innen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo außen alles im Fluss ist.
Nach der Pandemie bloß Zaungast der Weltpolitik zu sein, kann sich Europa nicht erlauben. Es ist daher umso notwendiger, dass die Coronakrise die Union stärker zusammenschweißt, vor allem finanziell, denn einige Staaten werden höchstwahrscheinlich nicht die Last ihrer Schuldentilgung alleine tragen können. Die Frage der Corona- oder Wiederaufbau-Bonds hat eine geopolitische Dimension! Die Europäische Union muss aus eigener Anstrengung, nicht mit chinesischem Geld oder sonstiger Unterstützung, aufstehen und sich zu neuer Stärke verhelfen. Der European Green Deal muss als großangelegte grüne und digitale Infrastrukturoffensive und Wiederaufbauprogramm starten, um Europa wirtschaftlich und technologisch auf starke Beine zu stellen und die Resilienz der Gesellschaft zu stärken. Deutschland, als finanziell und wirtschaftlich stärkstes Mitgliedsland, kommt eine zentrale Rolle zu – die EU innenpolitisch zu stärken, um außenpolitisch nicht verwundbar zu sein.
Europa wird sich schnell zusammenfinden und ordnen müssen, um in Zukunft außenpolitisch überhaupt noch eine relevante Rolle zu spielen. Gerade den Ländern in Afrika oder im Mittleren Osten – dort wo die Gesundheitssysteme erst recht nicht dem Coronavirus standhalten werden – sollte es sich widmen und diese nicht der Pandemiepolitik Chinas oder Russlands überlassen. Eine „Pandemiewirtschaft“, wie von der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock gefordert, könnte auch auf europäischer Ebene vorangebracht werden, um eine relevante Rolle im Kampf gegen das Virus in anderen Teilen der Welt zu spielen. Und damit zugleich zu zeigen, dass liberale Demokratien die Last globaler Verantwortung übernehmen.
Der Text gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.
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