Europawahl: Hat die AfD ein europa­po­li­ti­sches Programm?

© Olaf Kosinsky/kosinsky.eu

Die AfD wird meist als „europa­feindlich“ bezeichnet. In der Ausein­an­der­setzung mit den Rechts­po­pu­listen sollte man es sich aller­dings nicht zu einfach machen. Das europa­po­li­tische Programm der Partei schlägt völkisch-identitäre Töne an. Aber es knüpft an frühere Formen der Zusam­men­arbeit in Europa an.

Das Entstehen der AfD und ihre Erfolge bei Wahlen sind untrennbar mit ihrer Haltung zum Euro und zur EU verbunden. Beides gehört gewis­ser­maßen zur DNA der Partei. Schon im Bundes­tags­wahl­kampf 2013 war ihre Ablehnung der Euro-Rettungs­po­litik der EU ein Allein­stel­lungs­merkmal, mit dem sie punktete. In der Bericht­erstattung wurde die AfD deshalb damals als „euroskep­tische“ oder als die „Anti-Euro-Partei“ bezeichnet. Ihre funda­mentale Kritik an der europäi­schen Wirtschafts- und Währungs­union blieb bis zur Europawahl 2014 der program­ma­tische Kern der AfD und gehört bis heute zum einem der wichtigsten Elemente ihrer Überzeu­gungen. Aller­dings bedeutet diese Einstellung nicht zwingend, dass die AfD, wie manchmal behauptet wird, auch eine „europa­feind­liche“ Partei ist. 

Portrait von Lothar Probst

Lothar Probst ist der ehemalige Leiter des Arbeits­be­reichs für Parteien‑, Wahl- und Parti­zi­pa­ti­ons­for­schung am Institut für Politik­wis­sen­schaft der Univer­sität Bremen.

Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass die EU und Europa weder geogra­fisch noch politisch deckungs­gleich sind, verbietet sich ein derar­tiger Kurzschluss. Er verschleiert auch, dass die AfD durchaus europa­po­li­tische Vorstel­lungen hat, die sich nicht in einer Ablehnung der EU erschöpfen. Auch im europäi­schen Maßstab variieren europa­po­li­tische Positionen von rechts­kon­ser­va­tiven und rechts­po­pu­lis­ti­schen Parteien zwischen einer euro-skepti­schen, euro-ableh­nenden, EU-kriti­schen und EU-feind­lichen Haltung. Nicht jede euroskep­tische Partei ist zwangs­läufig auch EU-feindlich. Des Weiteren unter­scheidet man in der wissen­schaft­lichen Diskussion zwischen einem „natio­na­lis­ti­schen“ und einem „nicht-natio­na­lis­ti­schen“ Euroskep­ti­zismus. Von beiden Typen gibt es Unter­typen – etwa eine regional-autono­mis­tische Form des Euroskep­ti­zismus, wie sie ansatz­weise von der CSU vertreten wird oder eine national-fiska­lische, wie sie anfangs vor allem von der AfD formu­liert wurde. Davon ist wiederum eine völkisch-identitäre Form zu unter­scheiden, wie sie program­ma­tisch in Deutschland zunächst nur von der NPD vertreten wurde.

Es stellt sich nun die Frage, ob sich der national-fiska­lische Euroskep­ti­zismus aus den Anfängen der AfD im weiteren Verlauf ihrer program­ma­ti­schen Radika­li­sierung zu einer völkisch-identi­tären EU-Feind­lichkeit entwi­ckelt hat. Da die AfD ihr Wahlpro­gramm zur Europawahl im kommenden Jahr erst im Januar 2019 verab­schieden will, kann diese Frage bisher nur auf Basis des letzten Europa­wahl­pro­gramms, des im Mai 2016 verab­schie­deten Grund­satz­pro­gramms und aktueller, in der AfD kursie­render Positi­ons­be­stim­mungen zu Europa und der EU beant­wortet werden.

Die EU als ein fremdes Außen

In allen vorlie­genden Dokumenten steht nach wie vor der Euroskep­ti­zismus im Zentrum der Kritik an der EU. Während jedoch in den Anfängen vor allem der Ausschluss kriselnder Südländer aus dem Euro-Raum gefordert wurde, soll nun die Bundes­re­publik die Trans­fer­union aufkün­digen und den Euroraum verlassen. Der Euro wird als „Fehlkon­struktion“ kriti­siert, der automa­tisch in eine Schul­den­union führe. Wenn sich der Bundestag dazu nicht mehrheitlich entscheide, soll eine Volks­ab­stimmung über den Verbleib im Euroraum abgehalten werden.

Inzwi­schen geht es der AfD aber längst nicht mehr nur um die Kritik am Euro und den Verbleib in der Eurozone, sondern um die Mitglied­schaft Deutsch­lands in der EU. Im Grund­satz­pro­gramm heißt es dazu: „Wir sind (...) dagegen, die Europäische Union in einen zentra­lis­ti­schen Bundes­staat umzuwandeln. Sollten sich unsere grund­le­genden Reform­an­sätze im bestehenden System der EU nicht verwirk­lichen lassen, streben wir einen Austritt Deutsch­lands bzw. eine demokra­tische Auflösung der Europäi­schen Union (...) an“.

Sowohl in der Begründung für den Austritt aus dem Euro-Raum als auch aus der EU wird ein Muster deutlich, dass sich durch die gesamte Haltung der AfD zieht: Die EU ist ein fremdes Außen, dass die Souve­rä­nität der Natio­nal­staaten in unver­ant­wort­licher Weise einschränkt. Schon der erste Satz im Grund­satz­pro­gramm lässt an dieser Position keinen Zweifel aufkommen, wenn es heißt: „Wir stehen für die Freiheit der europäi­schen Nationen von fremder Bevor­mundung. Rechts­staat­liche Struk­turen, wirtschaft­licher Wohlstand und ein stabiles, leistungs­ge­rechtes Sozial­system gehören in die nationale Verant­wortung. (...) Wir lehnen die ‚Verei­nigten Staaten von Europa‘ ebenso ab wie eine EU als Bundes­staat, aus der kein Austritt mehr möglich ist.“ Erneuert und präzi­siert wird diese Einstellung zur EU im Wahlpro­gramm zur Bundes­tagswahl 2017: „Mit den Verträgen von Schengen, Maastricht und Lissabon wurde rechts­widrig in die unantastbare Volks­sou­ve­rä­nität einge­griffen. Ein Staat, der das Grenz­regime und damit die Hoheit über sein Staats­gebiet aufgibt, löst sich auf. Er verliert seine Eigenstaatlichkeit“.

„Unver­zichtbare Identifikationsräume“

Betrachtet man die Entwicklung der europa­po­li­ti­schen Program­matik der AfD, lässt sich sowohl in Bezug auf Haltung als auch auf Wortwahl der AfD ein Übergang von einer euroskep­ti­schen Position zu einer EU-feind­lichen Position feststellen, die zunehmend völkisch-identitäre Züge annimmt. So werden im Grund­satz­pro­gramm „unver­zichtbare Identi­fi­ka­ti­ons­räume“ beschworen, die in Jahrhun­derten geschicht­licher Entwicklung „aus Kulturen, Sprachen und natio­nalen Identi­täten“ entstanden seien.

Dass die AfD die EU als „völker­rechts­wid­riges“ Subjekt und „Träger eines antieu­ro­päi­schen Geistes“ ablehnt, bedeutet jedoch nicht, dass sie prinzi­piell gegen Formen der Koope­ration und Gemein­schaft der Völker Europas ist. Von den Sprechern der AfD-Landtags­frak­tionen wird vielmehr in einer vor kurzem verab­schie­deten gemein­samen Erklärung betont, dass „Europa in keiner Weise identisch ist mit der heutigen Europäi­schen Union“. Zwar habe die AfD seit ihrer Gründung im Jahr 2013 wegen der stetig zuneh­menden Zentra­li­sierung bewusst „EU-skeptische und Euro-kritische“ Positionen vertreten, jedoch impli­ziere dies mitnichten eine „katego­rische Ablehnung Europas“. An die Stelle der EU solle vielmehr ein „Europa der Vater­länder“ treten, in dem „alle Nationen das Recht haben, sich in souve­ränen Staaten zu organi­sieren“. Als solche könnten sie völker­rechtlich überstaat­liche Verbin­dungen eingehen und „gemeinsame Inter­essen als Staaten­ge­mein­schaft wahrnehmen“. Schließlich sei es in einer „globa­li­sierten Welt von äußerster Bedeutung, mit gemein­samer Stimme zu sprechen – und dies auch zu bewahren!“ Als Vorbild schwebt der AfD die Europäische Wirtschafts­ge­mein­schaft vor, wie sie vor den Verträgen von Maastricht und Lissabon bestand. „Die Europa­po­litik der AfD“, so heißt es in der Erklärung, „orien­tiert sich daher bewusst an der konstruk­tiven Zusam­men­arbeit der Mitglieds­staaten in EWG und EG, die in den 90er Jahren per Feder­strich endete“. Und im Grund­satz­pro­gramm bekräftigt die AfD, dass ihr Ziel ein souve­ränes Deutschland sei, „dass die Freiheit und Sicherheit seiner Bürger garan­tiert, ihren Wohlstand fördert und seinen Beitrag zu einem fried­lichen und prospe­rie­renden Europa leistet“.

Man sollte es sich also in der Ausein­an­der­setzung mit der AfD nicht zu einfach machen. Einer­seits hat sie sowohl ihre Program­matik als auch ihre Haltung zur EU radika­li­siert und schlägt in ihrer prinzi­pi­ellen Ablehnung eines integrierten europäi­schen Staaten­bundes völkisch-identitäre Töne an. Anderer­seits ist sie keines­falls prinzi­piell als „europa­feind­liche“ Partei zu skizzieren. Ihre Vorstel­lungen von einer Koope­ration „europäi­scher Natio­nal­staaten“ knüpft an frühere Formen der Zusam­men­arbeit in Europa an und betont das Prinzip der Subsi­dia­rität und des Födera­lismus. Damit sind die europa­po­li­ti­schen Vorstel­lungen der AfD anschluss­fähig an Positionen, wie sie auch von rechts­kon­ser­va­tiven oder sogar linken Parteien in Europa vertreten werden, aber auch an weiterhin bestehende natio­nal­staat­liche Orien­tie­rungen in der Bevöl­kerung. Inter­essant ist auch, dass sich in der Program­matik der AfD zwar ein Bekenntnis zur NATO findet, aber eine Europäi­schen Vertei­di­gungs­ge­mein­schaft strikt als „Irrweg“ und „rücksichtslose EU-Zentra­li­sie­rungs­po­litik“ abgelehnt wird. Die Nähe zu Wladimir Putins Russland dürfte einer der Gründe dafür sein.

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