„Shoa durch Kugeln“: Die Ermordung der Juden von Odesa

In Odesa ermor­deten im Oktober 1941 rumä­ni­sche Truppen und deutsche Offiziere 25.000 Juden. Das Verbre­chen ist nahezu vergessen, am Ort des Schre­ckens befindet sich heute ein ärmliches Wohn­ge­biet. LibMod macht sich zur Aufgabe, die Geschichte der Opfer zu doku­men­tieren. Außerdem soll in Odesa in Zusam­men­ar­beit mit der Stadt­re­gie­rung und der lokalen Bevöl­ke­rung ein Gedenk­stätte entstehen.

In der deutschen Erin­ne­rungs­kultur steht das Lager Auschwitz als Symbol für die Vernich­tung der euro­päi­schen Juden durch das NS-Regime. 

Portrait von Marieluise Beck

Marie­luise Beck ist Direk­to­rin Ostmitteleuropa/​​Osteuropa am Zentrum Liberale Moderne.

Doch die Auslö­schung des mittel­ost­eu­ro­päi­schen Judentums begann vor der Inbe­trieb­nahme der großen Vernich­tungs­lager. Sie verlief zeit­gleich mit dem Überfall auf die Sowjet­union von Wehrmacht und SS im Juni 1941, dem soge­nannten Unter­nehmen Barba­rossa. Die Massen­morde konzen­trierten sich auf den Sied­lungs­raum zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer. Der fran­zö­si­sche Priester Patrick Desbois, Autor von „Der verges­sene Holocaust. Die Ermordung der ukrai­ni­schen Juden“, nennt die Verbre­chen die „Shoa durch Kugeln“: Ganze Dörfer und Städte wurden ausge­löscht; Männer, Frauen, Kinder erschossen.

Odesa: das „kleine Babyn Jar“

Neben dem Baltikum, Polen und Belarus zählte die heutige Ukraine zu den Orten des Grauens. Was damals geschah, ist heute kaum noch bekannt. Von den 1.500 Erschie­ßungs­stätten auf ukrai­ni­schem Boden sind etwa 1.000 ohne jede Kenn­zeich­nung. Es befinden sich dort Müll­halden, Park­plätze oder Einkaufs­zen­tren, besten­falls stille Wälder. Die Grau­sam­keit der Ereig­nisse über­steigt die mensch­liche Vorstel­lungs­kraft. Den Opfern und ihren Nach­kommen sind wir schuldig, genau hinzuschauen.

In der Hafen­stadt Odesa am Schwarzen Meer stießen wir bei Recher­chen auf das „Kleine Babyn Jar“: Nach einem Parti­sa­nen­an­griff auf das rumä­ni­sche Haupt­quar­tier waren im Oktober 1941 die Juden der Stadt, etwa 25.000 Menschen, von rumä­ni­schen Truppen unter Betei­li­gung deutscher Offiziere zusam­men­ge­trieben worden. Man zwängte sie in ehemalige Muni­ti­ons­ba­ra­cken der Roten Armee und zündeten die Gebäude an allen vier Seiten an.

Auch wir entdeckten diese Geschichte erst spät. In Deutsch­land ist sie nahezu unbekannt. Wir sind dankbar, dass die wenigen Über­le­benden sich uns voller Herzens­wärme geöffnet haben. Sie waren bereit, zu erzählen. Wir hoffen, dass der Blick auf diesen Teil der deutschen Geschichte dazu beiträgt, das Bewusst­sein für das zu schärfen, was von den Natio­nal­so­zia­listen und ihren Schergen in mittel­ost­eu­ro­päi­schen Ländern ange­richtet worden ist.

LibMod-Projekt: eine Gedenk­stätte für die Opfer von Odesa

Vor Ort erinnert heute wenig an dieses Verbre­chen. Das Gelände ist ein ärmliches Wohn­ge­biet mit namen­losen kleinen Gassen. Auf dem Platz im Zentrum ist ein Spiel­platz entstanden, darum stehen parkende Autos und Müll­con­tainer. Dabei wurden die Leichen nie bestattet, nach jüdischer Tradition liegt unter dem Asphalt ein Friedhof.

Unmit­telbar daneben ragt eine Luxus-Hoch­haus­sied­lung empor. In deren Schatten und zwischen kleinen Garagen steht ein kleines Denkmal mit einer proble­ma­ti­schen sowje­ti­schen Inschrift: „An diesem Ort wurden am 19. Oktober 1941 von den faschis­ti­schen Bestien etwa 25.000 Sowjet­bür­ger leben­dig verbrannt“.

Daran stimmt zum einen das Datum nicht – die Ver­bren­nung fand laut meh­re­ren Quellen und Zeu­gen­ nach dem 22. Oktober statt – zum anderen werden weder Juden noch der Holocaust erwähnt, weil das nicht dem sowje­ti­schen Geschichts­nar­ra­tiv entsprach, demzu­folge alle Opfer gleich waren und die Sowjet­union im Zentrum zu stehen hatte.

Erst 2004 wurde auf dem Gedenk­stein ein David­stern hinzu­ge­fügt. Auf einer davor lie­genden Marmor­tafel steht auf Eng­lisch, Ukrai­nisch und Hebrä­isch, dass „das Denkmal“ von der Repa­tri­ie­rungs­organisation Jewish Agency for Israel restau­riert und im Beisein israe­li­scher Sol­da­ten ein­ge­weiht wurde.

Das Zentrum Liberale Moderne plant, in Zusam­men­ar­beit mit den ukrai­ni­schen Behörden, den Ort dieses Verbre­chens würdig zu gestalten und die Erin­ne­rungs­ar­beit in Deutsch­land und der Ukraine zu unter­stützen. Erste Gespräche mit der Stadt­ver­wal­tung und der Regio­nal­re­gie­rung haben wir bereits geführt.

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