Grund­stein gegen das Vergessen

Rabbi Avroom Wolf, Roman Schwarz­man, Bür­ger­meis­ter Gen­na­dij Truch­a­now sowie die deut­sche Bot­schaf­te­rin Anka Feld­hu­sen (v.l.) mit der Zeitkapsel die in das Fun­da­ment ein­ge­legt wurde. Im Hin­ter­grund rechts Marie­luise Beck

80 Jahre nach dem Mas­sa­ker von Odesa wurde der Grund­stein für ein neues Mahnmal gelegt. 1941 hatten die deut­schen und rumä­ni­schen Besat­zer in der Schwarz­meer­stadt rund 25.000 Men­schen über­wie­gend jüdi­scher Her­kunft ver­brannt und erschos­sen. Der Neubau geht auf eine Initia­tive von LibMod-Grün­­de­rin Marie­luise Beck zurück und ist Teil des LibMod-Projekts „Erinne­rungs­kultur“.

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Dieser Name ist kein Pro­gramm: Die Ljus­­t­­dorfska-Straße in Odesa führt zwar zu dem einst von Schwarz­meer­deut­schen gegrün­de­ten Badeort Lust­dorf, auf dem Weg dahin führt sie aber zu einem Ort des Schreckens.

Im Oktober 1941 wurden in einem auf­ge­las­se­nen Muni­ti­ons­de­pot nahe am Tol­buchin-Platz min­des­tens 25,000 Men­schen – die meisten von ihnen Juden – ermor­det. Rumä­ni­sche Truppen, die gemein­sam mit der deut­schen Wehr­macht die Stadt besetzt hatten, trieben die Men­schen in neun Bara­cken, die sie anschlie­ßend in Brand steck­ten. Die meisten Opfer – dar­un­ter viele Frauen und Kinder – wurden bei leben­di­gem Leibe ver­brannt, wer fliehen wollte, wurde mit Maschi­nen­ge­wehr­sal­ven erschossen.

Das Mas­sa­ker wurde damals als Ver­gel­tung für ein Atten­tat auf den rumä­ni­schen Stadt­kom­man­dan­ten dar­ge­stellt, der durch einen offen­bar von sowje­ti­schen Par­ti­sa­nen fern­ge­zün­dete Bombe ums Leben gekom­men war. Aller­dings wurden die Odesaer Juden bereits vor dem Atten­tat von den Besat­zern ver­folgt. Diese Gräuel waren Teil der später weit­ge­hend ver­ges­se­nen „Shoa durch Kugeln“ – Mas­sen­er­schie­ßun­gen durch SS und Wehr­macht, denen alleine in der Ukraine mehr als eine Million Men­schen zum Opfer fielen.

Das bisherige Denkmal ist schwer zu finden

Auf dem Tatort in Odesa wurden nach dem Krieg zwei­stö­ckige Wohn­häu­ser errich­tet, nach der Jahr­tau­send­wende wuchsen unmit­tel­bar daneben mehrere Hoch­häu­ser in den Himmel. Dass unter dem Asphalt zehn­tau­sende Leichen liegen – nach jüdi­schem Ver­ständ­nis ein Fried­hof – spielte lange kaum eine öffent­li­che Rolle. Erst 1990 gelang es der jüdi­schen Gemeinde, einen Gedenk­stein auf­zu­stel­len – auf dem die Opfer aber als „Sowjet­bür­ger“ bezeich­net werden. Kon­krete Hin­weise auf das Juden­tum erfolg­ten erst in den Jahren darauf, unter anderem in einer Ergän­zung durch den Staat Israel. Nach wie vor ist dieses Denkmal hinter par­ken­den Autos und Müll­ton­nen nicht leicht zu finden.

Das Zentrum Libe­rale Moderne (LibMod) hat sich zur Aufgabe gemacht, eine würdige Gedenk­stätte zu schaf­fen. Ange­sto­ßen hat das Projekt LibMod-Mit­grün­­de­rin Marie­luise Beck, die bei einem Besuch in Odesa 2017 zufäl­lig von dem Mas­sa­ker erfuhr. „Ich habe mich sehr geschämt, dass ich von diesem Ver­bre­chen nichts wusste“, erin­nert sie sich.

Beck fand Ver­bün­dete in der Stadt- und Regio­nal­ver­wal­tung sowie in der Bun­des­re­gie­rung: Die Stadt star­tete eine öffent­li­che Aus­schrei­bung und die bun­des­ei­gene Gesell­schaft für Inter­na­tio­nale Zusam­men­ar­beit (GIZ) sagte zu, das Projekt zu finanzieren.

Die Grund­stein­legung am 22. Oktober – dem 80. Jahrestag des Verbre­chens – geriet zu einem bewegenden Ereignis unter dem Motto „Gegen das Vergessen“, das in den lokalen Medien große Beachtung fand. Bürger­meister Hennady Truchanow erklärte feierlich, er verneige sein Haupt vor den Opfern. Anka Feldhusen, die deutsche Botschaf­terin in der Ukraine, betonte, dass die Erinnerung an die Opfer Voraus­setzung für eine bessere Zukunft sei und nannte den Grund­stein „einen Stein der Hoffnung“.

Foto: Zentrum Liberale Moderne

Die stell­ver­tre­tende Gebiets­gou­ver­neurin Switlana Fabrykant, die selbst jüdischer Abstammung ist, betonte, dass unter den Opfern viele ihrer Verwandten seien. „Hier liegen vielleicht viele mit dem Namen Fabrykant“, sagte sie. Bemer­kenswert war auch die Ansprache von Botschafter Alexandru Victor Micula, dem Beauf­tragten des rumäni­schen Außen­mi­nis­te­riums für jüdische Organi­sa­tionen. Micula sagte, dass das Massaker von Odesa „eines der dunkelsten Kapitel des rumäni­schen Holocaust“ war und dass Rumänien sich zu den „negativen und tragi­schen Kapiteln“ seiner Geschichte bekenne und aktiv die Erfor­schung und das Gedenken an den Holocaust und den Kampf gegen Antise­mi­tismus fördere.

Miculas Kollegin aus dem Auswär­tigen Amt, Botschaf­terin Michaela Küchler, betonte, dass das Gedenken den Opfern Würde zurück­geben könne und dass die Erfor­schung und Erinnerung an die Gräuel zentral seien: „Ohne Wissen, ohne Kenntnis des damals Geschenen ist uns der Weg zum Gedenken verschlossen,“ sagte sie. Küchler warnte, dass es wachsende Unkenntnis über den Holocaust gebe und dass es zunehmend Versuche gebe, „den Holocaust zu verfäl­schen, zu leugnen und zu instrumentalisieren“.

Foto: Zentrum Liberale Moderne

Der Höhe­punkt der Ver­an­stal­tung war die Anspra­che des Holo­­caust-Über­­le­­ben­den Roman Schwarz­man, der sich seit vielen Jahren für einen Gedenk­ort ein­setzt. Schwarz­man, der am 7. Novem­ber 85 Jahre alt wurde, betonte, dass die Täter „Herzen und Seelen ver­lo­ren“ hatten, man aber ihren Nach­kom­men keine Vor­würfe machen solle, sofern sich diese von den Taten distan­ziert hätten. Er erin­nerte auch an die langen Jahre, in denen ein wür­di­ges Geden­ken nicht möglich war – in der Sowjet­union wurde offi­zi­ell nur von sowje­ti­schen Opfern aber nicht von jüdi­schen gespro­chen. So konnte es kommen, dass hier Kinder mit den Schä­deln der Opfer Fußball spiel­ten, resü­mierte er.

© NG Architects

Neun Stelen stehen für neun Baracken

Das neue Mahnmal deckt nur einen kleinen Teil des Tat­or­tes ab, wird aber ein viel­fach grö­ße­res Zeichen der Erin­ne­rung als das bis­he­rige Denkmal setzen. Der Entwurf des Odesaer Büros NG Archi­tects, der nach einer Aus­schrei­bung im Sommer 2021 aus vier Kon­kur­ren­ten aus­ge­wählt wurde, sieht eine Allee aus neun metal­li­schen Stelen vor, die sym­bo­lisch für die neun Bara­cken stehen. Die Allee wird von der Ljus­­t­­dorfska-Straße sicht­bar sein und von dort zum alten Denkmal über den jet­zi­gen Park­platz führen. Auf den Stelen werden Texte und Bilder über das Mas­sa­ker stehen. Zudem wird der Gedenk­ort eine größere Fläche links der Allee beinhal­ten, wo bislang ein Spiel­platz ist, der auf eine nahe­lie­gende Fläche umzie­hen soll.

Foto: Zentrum Liberale Moderne

Über die weitere Aus­ge­stal­tung des Gedenk­orts beriet der Beirat des Pro­jekts unter Vorsitz von Marie­luise Beck am 23. Oktober. Als Konsens wurde dabei betont, dass das Mas­sa­ker als Teil des Planes der Aus­lö­schung des jüdi­schen Volkes in Europa zu sehen ist und an diesem Ort in erster Linie der Ermor­dung der Juden gedacht werden solle. Das von der jüdi­schen Gemeinde auf­ge­stellte und später vom Staat Israel ergänzte Mahnmal dürfe als his­to­risch bedeut­sa­mes Zeichen weder ver­setzt noch besei­tigt werden.

Foto: Zentrum Liberale Moderne

Beck ist zuver­sicht­lich, dass man im kom­men­den Jahr zum 81. Jah­res­tag die Eröff­nung in Odesa begehen wird. Sie will aber, dass auch noch darüber hinaus das Mas­sa­ker weiter erforscht wird. „Wir werden wie­der­kom­men, wir werden wei­ter­ar­bei­ten und mit His­to­ri­kern und der Stadt­ge­sell­schaft Namen und Orte von Opfern her­aus­fin­den“, sagt sie.

Odesa bekommt eine Straße der Gerech­ten der Völker

Ein kon­kre­tes Ergeb­nis hatte die Bei­rats­sit­zung: In Odesa soll es bald auch eine Straße der „Gerech­ten unter den Völkern“ geben, zum Andenken an nicht­jü­di­sche Per­so­nen, die während der Besat­zungs­zeit Juden geret­tet haben. Einen ent­spre­chen­den Vor­schlag von Schwarz­man wird von der Stadt­ver­wal­tung unter­stützt und soll in Kürze von der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung beschlos­sen werden. Geplant ist, die bis­he­rige Kra­so­no­s­lo­bo­ds­kaya Straße so umzu­be­nen­nen, wie der zustän­dige stell­ver­tre­tende Bür­ger­meis­ter Pavlo Vugel­man mit­teilte. Durch die Straße im nord­west­li­chen Stadt­zen­trum seien Juden 1941 in das Ghetto von Odesa getrie­ben worden, außer­dem hätten hier aber auch Holo­­caust-Über­­le­­bende gewohnt, schrieb Vugel­man am 1. Novem­ber.

Rabbi Wolff, Roman Schwarzman, Marie­luise Beck, Gennadyj Truchanow sowie Botschaf­terin Feldhusen (v.l.) vor dem frisch gelegten Grundstein.

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