On the road: Edinburgh und die guten Geister von Hume und Smith
Ganz Europa in Katzenjammer und anti-aufklärerischer Empörung? Nicht im schottischen Edinburgh, wo man trotz drohendem Brexit an einer Jahrhunderte alten Tradition von Klarheit und common sense festhält, verbunden mit feinem Sinn für Ironie. Unterwegs in einer wirklichen Metropole.
Sie sprechen ein Englisch, das derart klar und unverschliffen ist, dass auch der Nicht-Muttersprachler mühelos folgen kann. Sie fürchten den Brexit (gegen den sie vor zwei Jahren mit einer Mehrheit von 62 Prozent gestimmt hatten), und wenn sie die Zeitungen aufschlagen, finden sich dort bereits in den vordersten Seiten Reportagen über jenes Chemiewaffen-Kontrolllabor im Berner Oberland, das von Putins Spitzeln ausgekundschaftet werden sollte: In Edinburgh weiß man inzwischen sehr genau, wo sich jenes Dörfchen Spiez befindet und wie wichtig es ist zum Verständnis der Skripal-Affäre. Liegt es womöglich daran, dass Ian Fleming seine Romanfigur James Bond einst hier in Edinburgh hatte zur Schule gehen lassen? Dass der gegenwärtige hiesige Krimi-Star Ian Rankin im Roman „Exit Music“ bereits im Jahre 2007 seinen städtischen Inspektor Rebus den Mord an einen russischen Oppositionellen hatte aufklären lassen? Oder findet sich die Begründung in jenem schottischen Wissensdurst, der das Land bereits vor zweihundert Jahren zum ersten nahezu vollständig alphabetisierten Land Europas gemacht hatte?
Von wegen „wurzellose Globalisten contra besorgte Traditionsbewahrer“
Es hilft ja alles nichts: Der gegenwärtige Besucher Edinburghs wird nicht nur auf der von Schottenrock-Shops und Dudelsackspielern gesäumten Royal Mile in die Geschichte hineingesogen. Aber wie erfreulich das ist, wie gelassen hier etwas gelebt wird, ohne jeden griesgrämig-ausgrenzenden Stolz auf das vermeintlich „Eigene“. Es ist nahezu unmöglich, unterwegs zu sein auf Edinburghs Straßen, in den Cafés, Pubs und Museen, in den abendlichen Bars und an den Bushaltestellen, ohne bereits zu Beginn der Gespräche die große, von Europas Nationalisten mit Trumps und Putins Schützenhilfe herausgeplärrte Lüge anschaulich zerplatzen zu sehen: Von wegen „wurzellose Globalisten contra besorgte Traditionsbewahrer“.
Schade, ja beinahe tragisch, dass Immanuel Kant, der früheste prominente Hume-Rezipient auf dem Kontinent, sich nie mit dessen lebenspraktischen Essays auseinandergesetzt hatte. Spekulativer Gedanke: Wäre andernfalls die deutsche (Geistes-)Geschichte womöglich ein wenig pragmatischer verlaufen?
Wie unangestrengt das Lob Edinburghs den polnischen und rumänischen Arbeitsimmigranten von den Lippen kommt, die bei den heimischen Wahlen zu jenen Auslands-Osteuropäern zählen, die selbstverständlich gegen die autoritär-klerikale PIS oder die korrupten Bukarester Pseudo-Sozialdemokraten stimmen. Und wie stylish-lauschig das mediterran-türkische Restaurant, dessen in Istanbul geborene Besitzerin ebenfalls dieses fein-akzentuierte Adam-Smith-Englisch spricht. Sie erzählt freilich auf Nachfrage nicht etwa von staatlichen Integrationsprogrammen und wohlmeinender Didaktik, sondern von Bankkrediten, die ihr schnell und pragmatisch genehmigt worden waren jenseits von Paternalismus und Sozialneid. Ihr Geschäftsmodell hatte sofort überzeugt: Mezze, Köfte und prickelnder Rosé anstatt lokalem Plumpudding, und dies alles in einem Ambiente ohne Krankenhauskacheln, Neonlicht und Drehspieß-Ranzigkeit. Der auswärtige Besucher fragt sich, wann wohl in der deutschen Haupstadt Ähnliches zu genießen wäre.
Das vergleichbar hipp-gemütliche kurdische Restaurant gleich neben der presbyterianischen St. Columba´s Kirche ist halal, doch bevor aus dem imaginierten Off eine rechte Stimme von „Überfremdung und Umvolkung“ raunen könnte oder ein linker Besserwisser-Chor den Uralt-Song von vermeintlich religions-übergreifender Rigidität anstimmt, sagt der aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet stammende Chef mit charmanter Gelassenheit dies: „Alkohol servieren wir leider nicht, aber vis-á-vis gibt’s einen Weinladen und einen Whisky-Shop, von dort kann man gern die Getränke mitbringen. Wir haben die entsprechenden Gläser, und wer Cocktails mag – wir mischen natürlich auch.“
Sympathisches, wachsames, doch entschieden nicht-hysterisches Edinburgh
Wir mischen natürlich auch - solch´ ein Wort in möglichst vieler Gottesgläubigen Ohr. Oder kommt es gar von den Gläubigsten selbst, will heißen: von den Gelassensten unter ihnen? Tatsache jedenfalls ist, dass die Dauerausstellung im weißgekalkten Gebetsraum von St.Columba durchaus reformatorische Strenge aushaucht, aber an ihren Stellwänden nicht nur an den dogmatischen Prediger John Knox erinnert, sondern auch an jene Alphabetisierung und damit einhergehende Denkfreude, die einst der calvinistischen Schriftgläubigkeit im doppelten Wortsinn entsprungen war. Und dann sehen wir – in der Kirche! – das Porträt und die Kurz-Biographie David Humes, der in seinen zur Mitte des 18. Jahrhunderts veröffentlichten Essays sehr viel von menschlichem Anstand, ökonomischer Vernunft und politischer Gewaltenteilung hielt, für die Idee einer unsterblichen Seele allerdings nur milden Spott übrig hatte. Was damals im Intellektuellen-Zirkel der Select Society für entsprechende Diskussion sorgte, aber den Bonvivant Hume nicht von seinen ebenso aufklärerischen, jedoch gläubigen Freunden trennte: Nicht vom lebenslangen sparring partner Adam Smith und auch nicht von Adam Ferguson, der mit seinem 1757 erschienenen Buch über Civil society zum Vater der Soziologie werden sollte.
Kleine, aber nicht ganz unwichtige Fußnote: Anders als Vulgär-Liberale („Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“) oder linke Sozialkundelehrer und deren unfreiwillige Zuhörer bis heute vermeinen, hatte Smith 1776 in seinem bahnbrechenden Werk „Vom Wohlstand der Nationen“ weder ein laissez-faire gepredigt noch eine unsichtbare Hand zum Markt-Gott erhoben. Im Gegenteil: Der Moralphilosoph und Ökonom Adam Smith misstraute der Tendenz, Monopole zu bilden und Konsumenten zu übertölpeln, schlug bei nötigen Staatseingriffen jedoch vor allem diese Priorität vor: beste Bildung und damit Aufstiegschancen für alle. Sein Freund Hume sann bis an sein Lebensende über das ewige Spannungsfeld zwischen Freiheit und Autorität nach, da staatliche Autorität die Freiheit ebenso schützen wie bedrohen kann.
Schade, ja beinahe tragisch, dass Immanuel Kant, der früheste prominente Hume-Rezipient auf dem Kontinent, sich nie mit dessen lebenspraktischen Essays auseinandergesetzt hatte. Spekulativer Gedanke: Wäre andernfalls die deutsche (Geistes-)Geschichte womöglich ein wenig pragmatischer verlaufen? Wie gut jedenfalls, dass hier in Edinburgh die Statuen von Smith und Humes bis heute beliebte Innenstadt-Treffpunkte sind, vor denen sich genauso unangestrengt debattieren lässt wie vor Smith´ Grab auf dem Canongate-Friedhof oder dem Hume-Mausoleum am Calton Hill, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Abraham-Lincoln-Denkmal befindet. Berührendes Beispiel der praktischen Auswirkungen human-stringenten Denkens – die hier vorbei schlendern, stehenbleiben und miteinander ins Gespräch kommen, sind weder verquälte Nerds noch von ihren Profs hierher beorderte Karriere-Studenten. Sind einfach erfreuliche junge und auch ältere Zeitgenossen, die ebenso gutgelaunt über common sense (jene vom schottischen Philosophen Thomas Reid im 18. Jahrhundert gegründete Denkschule) sprechen wie sie dann urplötzlich ihre Mini-Regenschirme aus den Jackentaschen ziehen und gegen die Willkür des permanent changierenden Himmels aufspannen. Better to be prepared – always. Sympathisches, wachsames, doch entschieden nicht-hysterisches Edinburgh.
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