Die Macht der Moschee – Eine kritische Rezension
Joachim Wagner arbeitete als Fernsehjournalist für die ARD. Für sein neues Buch hat er sich durch einen Berg wissenschaftlicher Studien gekämpft: „Die Macht der Moschee“ behauptet, es sei der Islam, der Muslime an der Integration hindere; den Beweis führt es mit Zahlen, Daten, Fakten. LibMod-Autor Micha Brumlik hat die Neuerscheinung gelesen. Sie sei eine luzide Fleißarbeit und trotzdem stimme etwas nicht mit ihr. Über ein Buch, verirrt zwischen Ideologie und Wissenschaft.
Die Immigration – vor allem junger Männer – aus den Krisenbögen des arabisch-nordafrikanischen Raums ist ein wesentlicher Faktor für das Erstarken rechtsradikaler Parteien in Europa, von den Niederlanden bis nach Frankreich, von Polen und Ungarn bis nach Deutschland. Unklar ist allenfalls, ob es sich dabei um eine echte Ursache oder lediglich einen Katalysator ohnehin vorhandener Vorurteilsstrukturen handelt.
Joachim Wagner, bis Ende 2008 stellvertretender Leiter des ARD-Hauptstadtstudios hat nun im renommierten Herder Verlag einen umfangreichen Band vorgelegt, in dem er nachweisen will, daß es vor allem der Islam als kultureller Hintergrund dieser Immigranten ist, der ihre Eingliederung in die Gesellschaft erschwert und mithin eine zentrale Ursache für fremdenfeindliche Reaktionen darstellt. Zwar ist der Titel des Buches noch als Frage gehalten: „Die Macht der Moschee. Scheitert die Integration am Islam?“ doch kann kein Zweifel daran bestehen, daß Wagner letztlich der Überzeugung ist, daß – wenn die „Integration“ scheitert – der Islam die wesentliche Ursache darstellt.
Der Autor verhält sich mit seinen eingestreuten Zitaten aus dem Koran, die er weder historisch noch wirkungsgeschichtlich erläutert, ebenso fundamentalistisch wie die von ihm kritisierten Islamisten
Anders als meist massiv vorurteilsbeladenen Traktaten dieser Richtung ist freilich dieser Neuerscheinung zuzubilligen, daß sich ihr Autor in beinahe allen Bereichen sach- und fachkundig gemacht hat. So gut wie alle empirischen Studien zum Schulversagen muslimischer Kinder, zum hohen Anteil von Muslimen unter verurteilten Straftätern sowie zu den islamistischen Neigungen vieler, keineswegs aller Moscheevereine und islamischer Verbände sind dem Autor bekannt; auch erörtert er belesen und urteilsfähig die vielen unterschiedlichen Begriffe und Konzepte zu jenem die Debatte beherrschenden Schlüsselwort: „Integration“. Differenziert und nur wenig alarmistisch referiert er Klagen und Befunde zur Homophobie und zum Antisemitismus muslimischer Jugendlicher; kenntnisreich und mit Blick fürs Detail das relative Scheitern vieler Bildungsinstitutionen von der Krippe bis zum Arbeitsmarkt. Mit einem Wort: wer zuverlässig über vorliegende Studien unterrichtet werden will, ist mit dieser sehr klar formulierten, immer wieder auch durch Zeitzeugenberichte aufgelockerten Darstellung gut bedient.
Wagner Arbeitshypothese: Der Islam ist schuld
Allerdings verbirgt Wagner an keiner Stelle, daß er tatsächlich den Islam als Glauben, als Religion, mehr noch: als Kultur für die letzte Ursache – im Jargon der empirischen Sozialforschung für die unabhängige Variable – des erklärungsbedürftigen Phänomens mangelnder Integrationsfähigkeit hält. Das wird vor allem daran deutlich, daß er immer wieder, wenn er sein Argument mangelnder Anpassungsbereitschaft untermauern will, ein Zitat aus dem Koran einflicht. Dabei kann er sich durchaus auf die eine oder andere empirische Studie stützen, wonach 57% der Muslime dessen Aussagen für dogmatisch richtig halten, ebenso wie auf Behauptungen ehemaliger Muslime.
Immer wieder diskutiert Wagner auch die Frage, ob Muslime, die zwar glaubwürdig erklären, sich ans deutsche Recht halten zu wollen, aber dennoch weiter dem islamischen Recht im Zweifel den Vorzug geben, genügend integrationsbereit sind. Das allerdings stellt die Verschärfung einer Debatte dar, die auch ethnische Deutsche berührt. Bisher nämlich wurde ausschließlich von Staatsbeamten erwartet, daß sie – wie das in Zeiten der Berufsverbote hieß – „rückhaltlos auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“. Von „normalen“ BürgerInnen wurde und wird dies nicht erwartet; so wäre es in der Tat interessant zu wissen, wie viele ethnische Deutsche grundgesetzwidrig für die Einführung der Todesstrafe stimmen würden bzw. wie viele sich wirklich darüber klar sind, daß der Ausschluss von Frauen vom Priesteramt der katholischen Kirche dem Geist der Verfassung und ihrem Gleichberechtigungsanspruch widerspricht.
Wer sucht, der findet…
Zudem verhält sich der Autor mit seinen eingestreuten Zitaten aus dem Koran, die er weder historisch noch wirkungsgeschichtlich erläutert, ebenso fundamentalistisch wie die von ihm kritisierten Islamisten. Immerhin weiß er – so auf Seite 62 – daß es im Koran wiederstreitende Meinungen zur Ausübung von Gewalt gibt, auch ist ihm bekannt, daß die überwiegende Mehrheit von Muslimen Gewalt ablehnt, gleichwohl glaubt er – wiederum auf Umfragen gestützt – behaupten zu können, daß das Gewaltmonopol des Staates „von einer starken Minderheit infrage gestellt“ wird. Unter empirischen Sozialforschern gesprochen: Einstellungen sind nicht automatisch mit Handlungsdispositionen gleichzusetzen, weshalb eine empirisch erhobene Prozentzahl, nach der für 47% der Deutschtürken die Befolgung der Gebote ihrer Religion wichtiger seien als die Gesetze des Staates, in dem sie leben, solange unscharf bleiben muss, als nicht genau die betreffenden Gebote genannt sind. Überhaupt sind derartige Erhebungen nur dann wirklich aussagekräftig, wenn sie im Länggschnitt über Jahre hinweg wiederholt werden.
Was aber letztlich Wagners These von der islamischen Kultur als Hauptfaktor mangelnder Integration fragwürdig werden lässt, ist das völlige Fehlen internationaler Vergleiche: etwa mit Ländern wie Großbritannien, Frankreich und – last but not least – den USA. In den USA etwa leben bei einer Einwohnerzahl von derzeit 320 Millionen Menschen etwas mehr als drei Millionen Muslime, also etwa 1%, während es in der Bundesrepublik bald 5% sind. Indes, bei Wikipedia ist zu lesen: „Unlike many Muslims in Europe, American Muslims overall do not tend to feel marginalized or isolated from political participation and have often adopted a politically proactive stance.“ Ähnliches gilt für Großbritannien, während das, was als „Integration“ bezeichnet wird, im dogmatisch laizistischen Frankreich sehr viel schlechter funktioniert – und das dem Umstand zum Trotz, daß die meisten Muslime dort die französische Staatsangehörigkeit besitzen.
Trotzdem, dieses Buch soll man lesen
So differenziert und umfassend also Joachim Wagner informiert, so weist sein Buch dennoch zwei Mängel auf: ein bisweilen naiv unhistorisches Zitieren von widersprüchlichen Stellen aus dem heiligen Buch einer spätantiken Religion sowie ein gänzlich fehlender Blick für internationale Entwicklungen. Dennoch ist allen, die sich für Immigrations- und Integrationspolitik interessieren, anzuraten, sich mit diesem Buch und seinen Argumenten zu befassen – und sei es nur deshalb, um rechtsradikalen PolitikerInnen der AfD, die sich dieses Buches gewiss bedienen werden, begründet widersprechen zu können.
Joachim Wagner, Die Macht der Moschee. Scheitert die Integration am Islam? Freiburg/Basel/Wien: Herder 2018, 351 Seiten
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