Neue Ostpo­litik? Russland und die Ukraine in der deutschen Debatte

Foto: kremlin.ru/Wikimedia: Cons­truc­tion of the Crimean bridge, CC BY 4.0

Konstruk­tive Bezie­hungen mit Russland liegen im ureigenen Interesse deutscher Außen­po­litik. Aber wir können sie nicht erkaufen, indem wir die norma­tiven Grund­lagen der euro­päi­schen Frie­dens­ord­nung über Bord werfen. Die Annexion der Krim und die Inter­ven­tion in der Ostukraine bleiben völker­rechts­widrig. So lange der Kreml die Unab­hän­gig­keit des post-russi­schen Raums nicht respek­tiert, kann es kein „Business as ususal mit Moskau geben.

In den außen­po­li­ti­schen Sondie­rungen für eine Jamaika-Koalition sprachen sich die Verhandler für gute Bezie­hungen mit Moskau und fort­ge­setzte Dialog­be­reit­schaft aus. Gleich­zeitig bekräf­tigten sie die Gültig­keit des Völker­rechts und die Notwen­dig­keit einer gemein­samen Russland-Politik des Westens. Damit ist einst­weilen nur das Span­nungs­feld beschrieben, in dem sich die deutsche Ostpo­litik bewegt. Ob das eine Fort­set­zung der bishe­rigen Linie oder eine Kurs­än­de­rung bedeutet, bleibt einst­weilen offen. Das Reizwort „Sank­tionen“ wurde im Sondie­rungs­pro­to­koll ebenso gemieden wie eine klare Beschrei­bung der russi­schen Heraus­for­de­rung, mit der sich Europa seit der Rück­wen­dung Putins zum Auto­ri­ta­rismus nach innen und einer mili­tä­ri­schen Groß­macht­po­litik nach außen konfron­tiert sieht.   

Jamaika ist in der Russ­land­po­litik uneins – das ist kein Geheimnis. Schon im Wahlkampf hatte FDP-Chef Christian Lindner einen Test­ballon steigen lassen, der auf eine Neuaus­rich­tung der deutschen Russland-Politik abzielte. Sein Stell­ver­treter Kubicki legte kräftig nach. Es geht um lukrative Geschäfte und poli­ti­sche Zusam­men­ar­beit mit Moskau. Dafür soll der Stol­per­stein Ukraine beiseite geräumt werden.  

Mit dieser Haltung stehen die beiden keines­wegs allein. Horst Seehofer demons­triert bei jeder Gele­gen­heit, dass er in der Russland-Frage mit Angela Merkel uneins ist. Ganz zu schweigen von Altkanzler Schröder, der seine lukra­tiven Jobs im Dienst russi­scher Staats­kon­zerne mit laut­starken poli­ti­schen Empfeh­lungen verknüpft. Flankiert werden sie von ganz links und ganz rechts. Für AfD und Links­partei bedeutet „Frieden in Europa“ vor allem  Part­ner­schaft mit Russland. Die wegen der Annexion der Krim und der mili­tä­ri­schen Inter­ven­tion in der Ostukraine verhängten Sank­tionen stören die stra­te­gi­sche Part­ner­schaft mit dem Kreml. Also sollen sie fallen, ohne dass sich irgend­etwas an dem zugrunde liegenden Sach­ver­halt geändert hätte.  

Die Gegner der Sank­ti­ons­po­litik treten gern mit dem Gestus des Tabu­bre­chers und Realisten auf. Dabei besteht ihr Realismus in nichts anderem als in der Aner­ken­nung der mit Gewalt geschaf­fenen Tatsachen. Sie fordern schlicht, der Westen möge sich mit der Einver­lei­bung der Krim und der Errich­tung eines russi­schen Protek­to­rats im Donbas arran­gieren, Völker­recht hin oder her. Dass dabei die Funda­mente der euro­päi­schen Frie­dens­ord­nung – Gewalt­ver­zicht, terri­to­riale Inte­grität und gleiche Souve­rä­nität aller euro­päi­schen Staaten – gleich mit über Bord gehen, stört keinen großen Geist. 

Das bestehende Sank­ti­ons­re­gime unter­scheidet präzise zwischen der Krim und der russi­schen Inter­ven­tion in der Ostukraine. Die Sank­tionen gegen die Einver­lei­bung der Krim sind rein lokaler Natur. Sie bekräf­tigen, dass diese Annexion völker­rechts­widrig ist und nicht anerkannt wird. Deshalb soll alles unter­bunden werden, was zur Legi­ti­mie­rung dieses Gewalt­akts beiträgt und die russische Herr­schaft über die Krim befestigt. Das könnte der Kreml vermut­lich wegste­cken. Dagegen treffen die Sank­tionen wegen des uner­klärten Kriegs in der Ostukraine die russische Volks­wirt­schaft härter, insbe­son­dere im Finanz- und Energiesektor.

Das zwischen Putin und Poros­henko ausge­han­delte „Minsker Protokoll“ sieht eine Rückkehr des Donbas in die ukrai­ni­sche Souve­rä­nität vor. In den jüngsten Äuße­rungen unseres amtie­renden Außen­mi­nis­ters ist davon keine Rede mehr. Sobald ein halbwegs stabiler Waffen­still­stand herrscht, soll die EU den Wieder­aufbau in den von Russland kontrol­lierten Gebieten finan­zieren. Das läuft auf die Zemen­tie­rung des Status quo hinaus. Was Sigmar Gabriel auf den letzten Metern seiner Amtszeit unter­nimmt, ist nichts weniger als eine Revision der Russland-Politik Europas. 

Der Kreml will die Sank­tionen loswerden, ohne seine Ukraine-Politik zu verändern. Er setzt auf die Russland-Lobby in Deutsch­land und auf die Spaltung des Westens. Wer sich auf dieses Spiel einlässt, ermutigt nicht eine Rich­tungs­än­de­rung der russi­schen Politik. Vielmehr bestärkt er Putin & Co in ihrem Kalkül, dass Europa früher oder später einkni­cken wird. Was der starke Mann im Kreml will, ist die Aner­ken­nung einer russi­schen Inter­es­sensphäre, zu der selbst­ver­ständ­lich auch die Ukraine gehört. Das läuft auf eine Neuauf­lage der Breshnew-Doktrin von der „begrenzten Souve­rä­nität“ der Staaten in Moskaus Macht­be­reich hinaus. Soll das die Geschäfts­grund­lage für eine Norma­li­sie­rung der Zusam­men­ar­beit sein? Das wäre Appease­ment statt Realpolitik.

Der russische Schrift­steller Victor Jerufejew konsta­tierte dieser Tage auf einer Konferenz in Berlin, dass der Westen nicht versteht, was Putin allzu gut verstanden hat: Die Zukunft der Ukraine hat großen Einfluss auf die Zukunft Russlands. Wer ein modernes, demo­kra­ti­sches und euro­päi­sches Russland will, muss alles tun, um den Weg der Ukraine nach Europa zu unterstützen.

Konstruk­tive Bezie­hungen mit Russland liegen im ureigenen Interesse deutscher und euro­päi­scher Außen­po­litik. Aber wir können sie nicht erkaufen, indem wir die norma­tiven Grund­lagen der euro­päi­schen Frie­dens­ord­nung über Bord werfen. Das wäre die Rückkehr zu einer „Achse Berlin-Moskau“, an die sich unsere mittel-osteu­ro­päi­schen Nachbarn nur mit Grausen erinnern. Unsere histo­ri­sche Verant­wor­tung für den Vernich­tungs­krieg im Osten gilt nicht nur gegenüber Russland. Sie gilt nicht weniger gegenüber dem heutigen Polen, der Ukraine, Weiß­russ­land und den balti­schen Nationen. Das sollte man im Kopf haben, wenn man heute wieder glaubt, man könnte sich über die Köpfe dieser Länder hinweg mit dem Kreml arrangieren.

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