Es führt kein Weg zurück
Die groteske und teilweise demokratie-erodierende Auto-Debatte wirft die Frage auf: Wie kann man in einem größeren gesellschaftlichen Rahmen ernsthaft über sozialökologische Zukunftspolitik sprechen?
Die soziale Frage, also die Ausbeutung des Menschen im Industriezeitalter, ist heute abgelöst von der sozialökologischen Frage, also der Bewahrung der gesellschaftlichen Lebensgrundlagen, und der digitalen Frage, also der drohenden Bedeutungslosigkeit des Menschen in einer digitalisierten Arbeitswelt. Die Entwicklungen schreiten voran. „Dass wir uns im sozialökologischen Zeitalter befinden, ist nicht bestreitbar“, sagte der Grünen-Gründer und zeitweilige Bundesvorsitzende Lukas Beckmann unlängst zu mir. „Die Frage ist aber, ob wir das als Gesellschaft ernstnehmen.“ Oder ignorieren wollen.
Was wir in diesen Tagen, Wochen, Monaten und Jahren erleben, sind zwei zunehmend ratloser werdende Ex-Volksparteien, die keine Antworten haben und sie nicht einmal suchen. Stattdessen sprechen sie unter Funktionärsaufsicht in aufgeblasenen Selbsttherapie-Veranstaltungen mit sich selbst, um sich mit sich zu versöhnen, sich wieder besser zu fühlen und besser auszusehen. „Die konservative Seele ist insgesamt versöhnt“, twitterte CSU-Chef Markus Söder nach der jüngsten CDU-Show. Es gibt aber keine konservative Seele, schon gar nicht „insgesamt“, und selbst wenn es sie gäbe, wäre ihr Seufzen oder Juchzen den Weltläuften herzlich schnurz.
Es mag für die Union und ihre Außendarstellung kurzfristig helfen, aber für die Chinesen ist das so wichtig, wie wenn in Bayern ein Bierkrug umfällt. Für die Erdatmosphäre sowieso. Auch wenn der Versuch gelänge, die alten Konturen von Union und SPD rhetorisch wiederherzustellen, würde damit zwar ein Bedürfnis nach Unterscheidung befriedigt, aber dieses Bedürfnis ist rückwärts gedacht und läuft auf nichts Zukunftsfähiges hinaus. Es geht nicht darum, dass Parteien sich unterscheiden, sondern wozu. Hier Merkel und dort Schröder zu überwinden, zielt darauf ab, den Status quo ante wiederherzustellen. In beiden Fällen heißt das, die veränderten Realitäten auszublenden. You can’t go home again.
Die Versuchung, das Produkt namens „einfache Antworten“ zu verkaufen
Also verkürzt: Unsere glückliche Phase der neokolonialistischen Globalisierung, in der wir aus sicheren Nationalstaatsgrenzen die Waren exportierten, aber kaum was zu uns reinkam, ist unwiederbringlich vorbei. Das haben die Classic-Rechten nicht verstanden und manche Classic-Linke auch nicht. Letztere haben zwar Recht mit der fehlenden Balance der rotgrünen Arbeitsmarktreformen, aber sie blenden aus, was die Liberalisierung des Marktes an Vorteilen gebracht hat – und den ganzen Rest sowieso.
Statt nun aber endlich die Realität ernst zu nehmen, machen manche eine Demokratie-Groteske daraus, wenn etwa Unions- und FDP-Politiker in Stuttgart zu Demos gegen gerichtlich angeordnete Fahrverbote aufrufen, der CSU-Verkehrsminister seine eigenen Experten und deren Wissen desavouiert und der FDP-Chef gar im Endzeit-Sound von einem ideologischen „Kulturkampf“ redet, Ordopolitik verteufelt und nicht mehr marktfähige Produkte feiert, statt die zukünftige Produktionsfähigkeit der deutschen Industrie politisch zu bearbeiten.
Wir sind alle keine Pastorensöhne und ein bisschen Krawall ist immer, aber derzeit kann man den Eindruck haben, dass der Sound von Trump und der AfD abfärbt und einsickert in liberale, europäisch orientierte Parteien. Es ist aber nicht nur der Sound. Es ist die Versuchung, auch das Produkt namens „einfache Antworten“ zu verkaufen, weil die Nachfrage danach doch offenbar gerade wächst. Den „gesunden Menschenverstand“ gegen Expertenwissen zu setzen wie Verkehrsminister Andreas Scheuer, das ist potentiell demokratie-erodierend. Der demokratisch gewählte Politiker beruft Experten, um ihr spezielles Wissen in den Prozess einzubringen, das Bürger nicht haben können, weil sie den Tag über etwas anderes zu tun haben. Er ruft auch Bürger dazu und fragt sie, wie sie die Sache sehen. Das passiert, zum Beispiel, gerade in Stuttgart. Was er auf keinen Fall tun kann: Zu sagen, ist doch Quatsch, was die Experten sagen, das „Volk“ hat ein Gefühl, das dem Wissen überlegen ist. Wir haben es also mit zwei bedenklichen Tendenzen zu tun. Inszenierte Schnappatmung bei gleichzeitiger Vertuschung der politischen Verantwortung.
Der grüne Zombie als „Nachtkrabb“ für Erwachsene
Sich nun aber schön darüber zu empören, ist auch nicht produktiv. Damit wird man den Trend zu solchen „Debatten“ nicht umkehren. Die Frage ist, wie man in einem größeren gesellschaftlichen Rahmen ernsthaft über sozialökologische Gegenwarts- und Zukunftspolitik sprechen kann, so dass sie von einer Mehrheit gestützt wird.
Das wird weder in der christdemokratischen noch in der sozialdemokratisch geprägten Kultur möglich sein, das kann man sich abschminken. Es wird aber auch nicht möglich durch die alte Grünen-Kultur. Das ist ja die Absicht: Den grünen Zombie aus der Gruft zurückzuholen. So wie unzivilisierte Eltern früher ihren Kindern drohten, dass der „Nachtkrabb“ sie holen werde, so drohen die vom grünen Aufstieg verängstigten und sich bedroht fühlenden Lindners und Scheuers uns Bürgern mit dem gruseligen Verbots-und Verzichts-Öko. Unterschätzen sie damit den Stand der Aufklärung oder schätzen sie ihn richtig ein?
Wenn es tatsächlich neben der Nachfrage nach einfachen Antworten auch eine neue Nachfrage gibt, die nicht auf Ökomoral zielt, sondern auf politische Sozialökologie, wie die Wahlergebnisse in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen zu belegen scheinen, dann wird es darum gehen, schnell eine Sprache und eine Diskussionskultur dafür zu finden. Und eben auch einen Lebensstil positiv zu besetzen. Gelebte Ökokultur wird bisher kulturell nicht wertgeschätzt, sondern steckt in der Zwickmühle zwischen angeblichem Heuchlertum (SUV-fahrende Biofleisch-Mutti) und angeblich spaßbefreiter Ideologie (Niko-Paech-artiger Superdownsize-Öko). Also: Entweder zu wenig oder zu viel. Immer ideal zum Draufhauen. Deshalb sprechen gerade die neuen Protagonisten der Grünen am liebsten gar nicht mehr darüber. Aber zwischen diesen Polen ist ein riesiges Spektrum kulturell-normativer Möglichkeiten. Viele Menschen leben innerhalb dieses Spektrums, aber nicht um die Welt zu retten, das wäre ja albern, sondern weil sie es zeitgemäß und normal finden.
Für das große Ganze braucht es sozialökologische Politik, klar, aber den veränderten gelebten Zivilisationsstand muss man damit verknüpfen, ohne das alte grüne Hyperventilieren. Bis den neuen Hyperventilierern die Luft ausgeht.
Die sozialdemokratisch geprägte, „progressive“ Kultur gibt es nicht mehr, eine „linke Mehrheit“ hilft auch nicht mehr weiter. Was es braucht, ist eine sichtbare, neue und weit über die alten grünen Milieus hinausgehende Kultur, die eine heterogene, liberale und europäische Gesellschaft so positiv identitätsstiftend klammern könnte, dass sie einem bewahrenden Aufbruch zustimmt, der im Kern sozialökologische Wirtschaftspolitik enthält. Die Formel ist einfach: Emmanuel Macron plus sozialökologische Wirtschaft. Aber ich habe leicht reden. Die Kunst besteht in der richtigen Anwendung.
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