Staatliche Hilfen: Geht die „Bazooka“ nach hinten los?
Viele fordern ein staatliches Konjunkturprogramm, um den Einbruch der Wirtschaft zu dämpfen. Rethorisch knüpfen Politiker mit „Whatever it takes“ (Markus Söder) und der „Bazooka“ (Olaf Scholz) an die Hilfspolitik nach der Lehmannpleite im Jahr 2008 an. Doch LibMod-Kolumnist und Volkswirt Thieß Petersen warnt: So wichtig schnelle Liquiditätshilfen waren – kommt ein staatliches Konjunkturprogramm zu früh, könnten viele Milliarden Euro verbrannt werden. Denn im Gegensatz zur Finanzkrise sei diese auch eine Angebotskrise: Produktionsketten wurden unterbrochen, Fabriken stillgelegt. Dem Konsum sind durch Abstandsregeln Grenzen gesetzt. Weil es Staaten selbst sind, die mit dem sozialen auch das wirtschaftliche Leben herunterfahren, ist diese Krise anders! Welche wirtschaftspolitischen Instrumente helfen – und welche nicht?
Der durch die Corona-Pandemie ausgelöste Wirtschaftseinbruch ist immens. Er wird weltweit einen größeren Rückgang von Produktion, Beschäftigung und Einkommen hervorrufen als die globale Rezession nach der Lehman-Pleite im Herbst 2008. Seinerzeit war von allen betroffenen Volkswirtschaften eine expansive Fiskalpolitik – also eine Kombination aus höheren staatlichen Ausgaben und Steuersenkungen – mit Erfolg eingesetzt worden. Auch in der aktuellen Wirtschaftskrise, die andere Ursachen hat als der Wirtschaftsabschwung 2008/09, kann der Einsatz dieses wirtschaftspolitischen Instruments zweckmäßig sein. Doch seine Wirkung wird nicht die gleiche sein.
Wichtig ist das Timing. Die Ankurbelung der Nachfrage sollte nicht in der Phase der räumlichen Distanzierung erfolgen, in der es um die Vermeidung von Kontakten zwischen Menschen geht, um die Infektionskrankheit einzudämmen.
Ziel einer expansiven Fiskalpolitik ist es, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zu steigern. Unternehmen passen sich an eine höhere Nachfrage an, indem sie ihre Produktion erhöhen. Im Normalfall steigt gleichzeitig die Beschäftigung.
Um die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage zu erhöhen, kann der Staat im Kern zu zwei Maßnahmen greifen:
- Der Staat erhöht seine Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Dies umfasst nicht nur den staatlichen Konsum, sondern auch höhere öffentliche Investitionen und die Einstellung von zusätzlichen Beschäftigten. Dabei entstehen natürlich höhere Ausgaben, die in der Regel durch eine Kreditaufnahme finanziert werden. Eine Finanzierung der zusätzlichen Ausgaben durch Steuererhöhungen wäre kontraproduktiv, denn mit dem dann reduzierten verfügbaren Einkommen der Privatpersonen würde auch deren Konsumnachfrage sinken.
- Der Staat senkt Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und andere Einnahmen. Damit steigert er die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte, deren Konsumnachfrage ansteigt. Zudem erhöhen geringere Steuern und Abgaben die erwartete Rendite von unternehmerischen Investitionsprojekten, was die Investitionsgüternachfrage forcieret.
Fiskalpolitik nach der Lehman-Pleite
Der Wirtschaftseinbruch nach der Insolvenz der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 führte zu einer weltweiten Vertrauenskrise: Banken verloren das Vertrauen in die Bonität vieler potenzieller Kreditnehmer und verweigerten ihnen neue Kredite. Anleger trennten sich aus Angst vor Vermögensverlusten von Aktien und Wertpapieren und verursachten damit Kursrückgänge. Verbraucher befürchteten einen Arbeitsplatzverlust mit Einkommenseinbußen und schränkten Konsumausgaben ein. Unternehmen nahmen all das wahr und reduzierten ihre Investitionen und Produktion, was zu einem geringeren Bedarf an Arbeitskräften führte.
Eine expansive Fiskalpolitik kann nicht nur die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage erhöhen, sondern auch das Vertrauen stabilisieren. Wenn Unternehmen wissen, dass milliardenschwere Konjunkturpakete zur Ankurbelung der Nachfrage bereitstehen, erhöht das die erwarteten Umsatzerlöse – und damit die Produktion. Gleichzeitig blicken Beschäftigte optimistischer in die Zukunft, weil ihre Sorge, möglicherweise entlassen zu werden, abnimmt. Damit steigen das erwartete Einkommen und die Konsumbereitschaft.
In Kombination mit weltweiten Zinssenkungen, die sich positiv auf den kreditfinanzierten Kauf von Investitions- und Konsumgütern auswirkten, konnte der wirtschaftliche Einbruch nach der Lehman-Pleite rasch gebremst werden. So ging das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland 2009 zwar im Vergleich zum Vorjahr um 5,7 % zurück, aber schon 2010 wuchs es um 4,2 % und 2011 um 3,9 %.
Fiskalpolitik in der Coronakrise
Auch bei der durch das Coronavirus ausgelösten Wirtschaftskrise wird weltweit auf das Instrument der Fiskalpolitik gesetzt. Zumindest kurzfristig dürfte deren Wirksamkeit die Erwartungen jedoch nicht erfüllen.
Denn eine Pandemie bewirkt, anders als bei der Lehman-Pleite oder auch bei der im Oktober 1929 durch den Zusammenbruch der New Yorker Börse ausgelösten Weltwirtschaftskrise, nicht nur einen Nachfragerückgang, sondern auch einen davon unabhängigen Angebotsrückgang, also eine Angebotskrise. Unternehmen müssen ihre Produktion teilweise oder sogar vollständig einstellen, weil ihnen die erforderlichen Arbeitskräfte fehlen, dringend benötigte Vorleistungen nicht mehr geliefert werden oder der Staat die Schließung anordnet.
In einer solchen Wirtschaftskrise ist eine staatliche Förderung des Konsums zwecklos. Zum einen beschränken die Betriebsschließungen die maximal herstellbare Menge an Gütern und Dienstleistungen. Ist diese Kapazitätsgrenze erreicht, haben weitere Nachfragesteigerungen nur noch einen inflationserhöhenden Effekt. Zum anderen ist es wichtig, die Ausbreitung des Virus so gut wie möglich einzudämmen. Das verlangt die Verringerung der menschlichen Kontakte. Deshalb werden zahlreiche Konsummöglichkeiten, bei denen eine Kontaktvermeidung schwer möglich ist, durch staatliche Verbote eingeschränkt. Die Nachfrage nach entsprechenden Dienstleistungen – also z. B. der Besuch von Hotels, Restaurants, Sportveranstaltungen, Theatern usw. – zu fördern, wäre mit dem Ziel einer Eindämmung der Infektionen nicht vereinbar.
Die Schlussfolgerung: Eine umfangreiche expansive Fiskalpolitik bietet sich erst an, wenn die Pandemie eingedämmt ist und menschliche Kontakte wieder möglich sind. Dennoch ist die Ankündigung dieser Politik bereits jetzt wichtig, weil sie das Vertrauen von Unternehmen, Verbrauchern und Beschäftigten erhöht.
Liquiditätssicherung als neue Form der Fiskalpolitik?
Was die Wirtschaftspolitik schon jetzt zur Stabilisierung der Wirtschaft beitragen kann, ist unter anderem die Bereitstellung von Liquiditätshilfen, um Unternehmenspleiten zu verhindern. Hier bieten sich viele Instrumente an: die Bereitstellung von zinsgünstigen oder sogar zinslosen Krediten durch staatliche Programme, staatliche Bürgschaften für einen besseren Zugang zu Krediten, die Stundung von staatlichen Forderungen (Steuern und Gebühren) und mehr.
Doch so notwendig Liquiditätshilfen in der Krise auch sind: Sie können keine Verluste ausgleichen. Es ist zu befürchten, dass viele Unternehmen ihre Kredite nicht zurückzahlen können, wenn sie lange Zeit schließen müssen und der ausgefallene Konsum später nicht nachgeholt werden kann. So befürchtet beispielsweise der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA), dass in Deutschland 70.000 Hotel- und Gastronomiebetriebe wegen der Coronapandemie Pleite gehen könnten – das wäre ein Drittel aller Betriebe! Daher kann man nicht ausschließen, dass staatliche Kredite und Bürgschaften mittelfristig zu Ausgaben des Staates werden, weil die Kreditnehmer sie nicht zurückzahlen können.
Fazit
Angesichts der Schwere der aktuellen Wirtschaftskrise wird der Staat enorme finanzielle Mittel in die Hand nehmen müssen, um die wirtschaftlichen Schäden – und die mit ihnen verbundenen sozialen Verwerfungen – abzufedern. Einerseits spielen dabei Ausgaben wie das Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld sowie Soforthilfen für kleine Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler eine zentrale Rolle. Andererseits wird es in einer späteren Phase darum gehen, eine höhere staatliche Nachfrage, also eine Fiskalpolitik in Form von kreditfinanzierten Konjunkturpaketen, zu schaffen.
Wichtig ist das Timing. Die Ankurbelung der Nachfrage sollte nicht in der Phase der räumlichen Distanzierung erfolgen, in der es um die Vermeidung von Kontakten zwischen Menschen geht, um die Infektionskrankheit einzudämmen. Und wenn die Zeit für eine Steigerung der Nachfrage durch zusätzliche Ausgaben dann gekommen ist, sollte das Geld nicht blindlings in den Konsum fließen, sondern – so wie es beispielsweise Tom Krebs fordert – für „die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft“ genutzt werden. Gesundheit, Bildung, Digitalisierung und erneuerbare Energien sind die Bereiche, die er empfiehlt. Sie sollten durch öffentliche Investitionen und die Förderung von privaten Investitionen gestärkt werden.
Wer meint, dass derartige Ausgaben nur der Verbesserung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit dienen, liegt falsch, denn sie steigern auch die gesamtwirtschaftliche Produktivität und schaffen Arbeitsplätze. Damit wird die Basis für zukünftig höhere Staatseinnahmen gelegt. Und die werden notwendig sein, damit die mit den Konjunkturpaketen einhergehenden staatlichen Kredite mittel- und langfristig wieder zurückgezahlt werden können.
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