Präsidentschaftswahl Polen: Ein Alarmsignal für Demokratinnen und Demokraten

Die Ergebnisse der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in Polen sollten die Unterstützerinnen und Unterstützer der liberalen Demokratie gleichermaßen beunruhigen wie mobilisieren. Karolina Wigura analysiert für uns die aktuelle Lage.
Die beiden führenden Kandidaten – Rafał Trzaskowski von der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska) und Karol Nawrocki, unterstützt von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) – trennen weniger als zwei Prozentpunkte. Die radikale Rechte erzielte zusammen über 20 Prozent der Stimmen. Die Stimmenverteilung in der Stichwahl ist unklar. Was sind die Ursachen für diese Situation?
Erstens: Die Strategie der Entmutigung
Die Wahlkampfteams der beiden Kandidaten, die es in die zweite Runde geschafft haben, taten alles, um möglichst vielen unentschlossenen Wählerinnen und Wählern den jeweiligen Gegner zu verleiden. Am stärksten geschadet hat dies sicherlich Karol Nawrocki. Wie schon Andrzej Duda war er vor der Kampagne weitgehend unbekannt und wurde willkürlich von Jarosław Kaczyński als Kandidat bestimmt – offenbar ohne sorgfältige Überprüfung durch sein eigenes Wahlkampfteam. Während des Wahlkampfs kam unter anderem ans Licht, dass Nawrocki unter fragwürdigen Umständen die Wohnung eines Senioren, Jerzy Ż., übernommen hatte, um den er sich laut eigenen Aussagen eigentlich hatte kümmern wollen. Stattdessen lebt Jerzy Ż. heute in einem Pflegeheim, Karol Nawrocki kümmert sich entgegen seiner Erklärung nicht um den alten Mann, er besucht ihn auch nicht. Diese Angelegenheit warf ein schlechtes Licht auf Nawrocki, zumal er und sein Team sich in ihren öffentlichen Erklärungen zu diesem Thema wiederholt in Widersprüche verstrickten.
Auch Rafał Trzaskowski war Angriffen ausgesetzt, insbesondere wegen Versäumnissen bei der Wohnungspolitik in Warschau. Trzaskowski ist Bürgermeister von Warschau. Zwar lässt sich die fragwürdige Übernahme einer Seniorenwohnung nicht mit politischen Fehlern eines Stadtoberhaupts gleichsetzen, doch die beiderseitigen Schmutzkampagnen zu den Verfehlungen der Kandidaten zeigten ihre Wirkung: Viele Wählerinnen und Wähler entschieden sich in Umfragen für andere Kandidaten als die beiden führenden. Demzufolge ist die Gesamtzahl der Stimmen, die auf die beiden stärksten Kandidaten fielen, die niedrigste in der Geschichte der Dritten Polnischen Republik. Zudem ist es bislang keineswegs sicher, dass diese Wählerinnen und Wähler in zwei Wochen überhaupt zur Stichwahl erscheinen werden.
Zweitens: Eine zu schwache Verteidigung demokratischer Werte
In einigen Wochen, wenn die Präsidentschaftswahlen vorbei sind, werden Soziologinnen und Politikwissenschaftler beginnen, die Wahlkampfbotschaften im Detail zu analysieren. Schon jetzt lässt sich jedoch sagen, dass es sich um einen der hasserfülltesten Wahlkämpfe in Polen seit 1989 handelt. Es ist kaum möglich, alle antisemitischen, antimuslimischen, antiukrainischen und schlicht rassistischen Äußerungen zu zählen, die in zahlreichen Debatten getätigt wurden.
Die gestiegene Bedeutung sozialer Medien in Verbindung mit öffentlichen Debatten, in denen alle Kandidaten gleichberechtigt auftraten, führten dazu, dass Hassrede faktisch normalisiert wurde. Der Politiker der radikalen Rechten, Grzegorz Braun, spielte dabei eine zentrale Rolle. Weitere rechtsgerichtete Kandidaten wie Sławomir Mentzen und Karol Nawrocki übernahmen und wiederholten seine Argumentationsmuster. Die demokratischen Kandidaten – Rafał Trzaskowski, der amtierende Sejmmarschall Szymon Hołownia, sowie die Linken Magdalena Biejat und Adrian Zandberg – versuchten, sich dem entgegenzustellen. Doch es entstand der Eindruck, dass nicht alle dies mit der nötigen Entschlossenheit taten.
Auffällig war zudem eine klare Rechtsverschiebung des gemäßigt Linken Rafał Trzaskowski. In seinem Wahlkampf fielen Aussagen über die Abschaffung des Kindergeldes für ukrainische Geflüchtete. Bei einer der Debatten versteckte er gar eine ihm überreichte Regenbogenflagge, was seine demokratische Glaubwürdigkeit schwächte und ihn vermutlich einige Stimmen kostete. Eine Dynamik, die besonders im Kontext der deutschen Politik zu denken gibt, wenn die Frage diskutiert wird, ob man – als mögliche Strategie – die Rhetorik der Populisten von der AfD übernehmen sollte.
Drittens: Woher Hoffnung schöpfen?
Die aktuelle Präsidentschaftswahl ist für die Zukunft Polens von grundlegender Bedeutung. Zwar sind die Befugnisse des Präsidenten laut Verfassung von 1997 stark eingeschränkt – ähnlich wie einst die Rechte des Königs in der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Doch das Amt ist entscheidend für die politische Gesamtentwicklung des Landes.
Seit 2023 hat der PiS-nahe Präsident Andrzej Duda alle Gesetzesinitiativen der Regierung von Donald Tusk blockiert, etwa jene zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit. Premierminister Tusk und seine Koalition hoffen, dass mit einem Wahlsieg von Rafał Trzaskowski der Kurs weg vom Populismus gefestigt werden kann. Ein Wahlsieg Karol Nawrockis hingegen könnte vorgezogene Parlamentswahlen nach sich ziehen, die möglicherweise zugunsten der PiS ausfallen würden.
Ein Hoffnungsschimmer ist die Wahlbeteiligung: Fast 67 Prozent gingen zur Wahlurne – so viele Polinnen und Polen wie noch nie beteiligten sich an dieser ersten Runde der Präsidentschaftswahl in der Dritten Polnischen Republik. Das zeigt: Die Wählerinnen und Wähler sind sich der Bedeutung dieser Wahl bewusst. Hohe Wahlbeteiligung, das zeigen Umfragen, wirkt sich eher positiv auf das Ergebnis der Bürgerplattform aus.
Hoffnung macht auch die aufmerksame und kritische Arbeit vieler Journalistinnen und Journalisten während des Wahlkampfs – ohne sie wären Skandale wie die um die Wohnung des Senioren Jerzy Ż. womöglich nie öffentlich bekannt geworden.
Einer Legende zufolge ist die letzte Gestalt, die nach allen Monstern und Krankheiten die Büchse der Pandora verlässt, die Hoffnung. Hoffen wir, dass es auch bei dieser Wahl so sein wird.
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