Das israelische Impfwunder
Die ganze Welt schaut derzeit neidvoll auf Israel und sein „Impfwunder“. Bei einer Bevölkerung von knapp neun Millionen Menschen, sind derzeit rund 5 Millionen bereits das erste Mal geimpft, knapp eine Million haben bereits ihre zweite Impfung erhalten. Richard C. Schneider erklärt, was das kleine Land anders und besser macht als andere.
Die Impfkampagne läuft wie am Schnürchen, die Impftermine werden im vier-Minuten-Takt vergeben und man kommt auch genau zur gewählten Zeit an die Reihe. Die Gründe für den Erfolg sind vielfältig. Die Abwicklung der Impfungen und deren Organisation liegt komplett in der Hand der vier großen Krankenkassen des Landes. Diese sind schon seit vielen Jahren komplett digitalisiert und zentralisiert. Einen Impftermin zu erhalten ist simpel. Man kann ihn über eine Hotline vereinbaren, über die Homepage oder die App der eigenen Krankenkasse. Man gibt seine staatliche ID-Nummer ein, das Geburtsdatum und erhält in knapp zwei Minuten seinen Termin. Man kann auch den Ort, an dem man geimpft werden will, aussuchen – und das war’s.
Dass Israel genügend Impfstoff hat – im Gegensatz zu Deutschland – liegt an einer völlig anderen Strategie als sie Deutschland und die EU gewählt haben. Sobald klar war, dass Biontech-Pfizer und Moderna ihre Impfstoffe auf den Weg gebracht haben, griff Premier Netanyahu zum Telefon. Israel zahlte nicht nur ein Vielfaches des Preises, den die EU pro Dosis ausgibt, sondern bot Pfizer außerdem an, die Impfung im Lande als eine Art „Feldstudie“ zu benutzen. Dafür bekommt Israel soviel Impfstoff wie nötig. Das bedeutet also, dass Netanyahu die Krankheitsdaten etc. jedes geimpften Bürgers Pfizer zur Auswertung überlässt. Angeblich alles anonym, aber wer weiß das schon genau.
Israel eignet sich für eine solche Studie natürlich perfekt. Die Digitalisierung macht den Zugang zu den Daten einfach, dazu ist das Land nicht sehr groß. Die Erfahrungen, die hier gemacht werden, kommen der ganzen Welt zugute. Bleibt das Problem des Datenschutzes. Israel ist in Sachen Datenschutz nicht so penibel wie etwa Deutschland. Das hat eine lange Tradition und wird mit der Sicherheitslage des Landes begründet. Der Staat muss wissen, was seine Bürger machen. Ähnlich wie man in den USA ohne seine Sozialversicherungsnummer quasi nicht „existiert“, ist man in Israel ohne seine ID kein Mensch. Ob man Benzin tankt, Tickets für das Theater bestellt oder im Supermarkt für eine sehr hohe Summe einkauft, überall muss man seine ID angeben. Das gilt natürlich auch bei der Ein- und Ausreise. Der Staat weiß ganz genau, wann man im Land ist und wann nicht. Die meisten Israelis kümmern sich nicht darum. Die Sicherheit ging und geht immer vor. Und wenn man auf diese Weise mögliche Terroristen im Lande besser ausfindig machen kann, dann ist man gern bereit, seine Privatsphäre mit dem Staat zu teilen.
Dass dies natürlich problematisch werden kann, zeigt die Pandemie. Seit dem ersten Lockdown im März 2020 wurde Anti-Terror-Software eingesetzt, damit der Inlandsgeheimdienst Shin Bet alle Bürger überwachen und so Ansteckungswege zurückverfolgen kann. Juristen sehen darin einen weiteren Schritt hin zum Überwachungsstaat. Die Regierung versprach daher immer, dass die Regelung nur für ein paar Monate gelten soll, doch inzwischen wird sie gewohnheitsmäßig vor Auslaufen verlängert. Allerdings kommt absurderweise noch hinzu, dass diese Überwachung ihre Schwächen hat: In vielen Fällen wurden Leute per SMS informiert, sie hätten sich irgendwo möglicherweise angesteckt und sollten sich daher sofort in Quarantäne begeben. Doch häufig konnten diese Bürger nachweisen, dass sie zum angegebenen Zeitpunkt ganz woanders waren. Die Software hat also offensichtlich ihre Fehler.
Aber ähnlich wie in einigen asiatischen Ländern sind die meisten Israelis bereit für die Sicherheit, in diesem Fall: Sicherheit vor dem Virus, vieles in Kauf zu nehmen. Das wäre auch in Ordnung, wenn es denn eine geregelte Kontrolle gäbe, wer welche Daten wie lange aufbewahren und auswerten darf. Doch die entscheidenden Kontrollkomitees der Knesset sind kaum einsatzfähig, die ständigen Neuwahlen, die Ausnahmesituation, in der Premier Netanyahu – häufig an der Knesset vorbei – regiert, erschweren die Möglichkeit, die Abläufe demokratisch zu prüfen. Da werden ähnliche Vorwürfe erhoben wie seitens des Bundestags, dass die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten am Parlament vorbei die Entscheidungen im Kampf gegen das Virus träfe. Manche der Vorwürfe sind berechtigt, andere eher nicht.
Doch es überwiegen die Vorteile. Das Durchimpfen der Bevölkerung scheitet in Windeseile voran, es werden täglich zwischen 150 000 und 200 000 Menschen geimpft, auf Deutschland übertragen hieße das tägliche Impfungen von 1,5 – 2 Millionen Bürgern.
Die Digitalisierung in Israel bringt weitere Vorteile: Die wissenschaftlichen Institute und Krankenhäuser können ebenfalls die Ergebnisse auswerten, sie sehen schnell, wer sich wann wie ansteckt, nach der ersten oder zweiten Impfung, welche Bevölkerungsteile besonders verwundbar sind, ob es Nebenwirkungen gibt, welche das sind, und wer dementsprechend eingestellt oder behandelt werden muss.
Dass die Zahl der Neuinfektionen immer noch sehr hoch ist, liegt nicht zuletzt daran, dass Teile der Bevölkerung sich nicht an die Auflagen und Regelungen des Lockdowns halten. Allen voran die Ultraorthodoxen, doch auch die arabische Bevölkerung innerhalb Israels geht mit den Hygiene-Maßregeln sehr lax um. Doch erste Ergebnisse der Impfung zeigen, dass etwa die Ansteckung unter den über 60jährigen bereits spürbar nachgelassen hat. Der R‑Wert ist unter 1 gesunken und so hofft Premier Netanyahu bis zur Wahl am 23. März den Impferfolg als seinen Erfolg verkaufen zu können und zu gewinnen. Für ihn ist es ein Wettlauf gegen das Virus und gegen die Gefahr bei dieser vierten Wahl innerhalb von zwei Jahren erneut keine automatische Mehrheit in der Knesset zu haben.
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