Kampf um Israel in Yad Vashem
Mit Ephraim „Effi“ Eitam sollte ein bekennender Feind der arabischen Bevölkerung Israels Direktor des Holocaustgedenk- und Dokumentationszentrums Yad Vashem werden. Das ist ein Symptom eines größeren Problems der israelischen Politik.
Er ist ein Symptom und kein Skandal. Die Rede ist von Ephraim „Effi“ Eitam, ein ehemaliger rechtsnationaler Politiker. Der Brigadegeneral der Reserve galt in Israel einst als Kriegsheld. Allerdings hat er auch einen palästinensischen Gefangenen so brutal zusammenschlagen lassen, dass dieser dabei starb. Eitam verließ daraufhin die Armee. Aber machte weiter mit seinem Hass auf Araber, selbst später als Knesset-Abgeordneter einer rechtsnationalen Partei. Dass er Rassist genannt wird, stört ihn nicht, er ist von seinen Thesen überzeugt. Für ihn sind die Araber in Israel „ein Krebsgeschwür“, das entfernt werden muss, er ist überzeugt, dass sie alle Verräter seien, aus Israel vertrieben werden müssten, ebenso wie alle Palästinenser aus dem Westjordanland. Nein, Eitam ist kein Brückenbauer, kein Versöhner, er ist absolut kein Liberaler. Und er ist weder Historiker noch Fachmann für den Holocaust. Aber all das scheint ihn in diesen Zeiten in Israel zum idealen Kandidaten für das Amt des leitenden Direktors der nationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zu machen. So zumindest denken zwei Politiker, die diesbezüglich erst einmal das Vorschlagsrecht haben: Premier Benjamin Netanyahu und Zeev Elkin, in der UdSSR geboren, heute Likud-Mitglied und Minister im Kabinett Netanyahus. Unter seinem Portfolio fällt auch die Verantwortung für Yad Vashem. Das Netanyahu und Elkin rechts von der Mitte stehen, versteht sich.
Nun muss man verstehen, was Yad Vashem für Israel und die Welt bedeutet. Die nationale Gedenk- und Forschungstätte für den Holocaust, den Völkermord an den europäischen Juden, symbolisiert die Essenz der Existenz des jüdischen Staates Israel. Jeder ausländische Politiker, der nach Israel kommt, hat entsprechend des Protokolls auch einen Besuch von Yad Vashem zu absolvieren. Aber Yad Vashem ist noch viel mehr: eine seriöse Institution zur Erforschung der Shoah. Sie arbeitet eng mit internationalen Organisationen und Instituten, Museen und anderen Gedenkstätten zusammen. Sie formuliert Erinnerungskultur, sie versucht, die Shoah zum Anlass zu nehmen, nicht nur Antisemitismus heute zu bekämpfen, sondern jede Form von Rassismus und Verfolgung anderer. Zurecht waren stets hoch angesehene Persönlichkeiten Direktoren von Yad Vashem. Unter den Wissenschaftlern der Gedenkstätte finden sich berühmte Namen wie Prof. Dina Porat oder Prof. Yehuda Bauer. Vorsitzender des Direktoriums war zuletzt Avner Shalev, der in Yad Vashem neue Institute zur Forschung eingerichtet hatte. Auch er also ein Mann von großem Wissen, Verantwortung, weltweit geachtet. Ihm also soll Effi Eitam folgen. Der noch nie irgendetwas Wissenschaftliches über den Holocaust veröffentlicht hat. Der Araber hasst, als Kollektiv.
Der Proteststurm, der der Ankündigung der Berufung folgt, war groß, natürlich. Alle israelischen Überlebenden-Organisationen protestierten, es folgten internationale Organisationen und Institute, es gab einen offenen Brief an Premier Netanyahu, in dem mehr als 220 internationale und prominente jüdische und nichtjüdische Intellektuelle und Wissenschaftler den Regierungschef aufforderten, die Berufung fallen zu lassen. Es war, um es salopp zu sagen, die übliche Empörungsinszenierung, die man mittlerweile weltweit in solchen Situationen kennt. Das ist richtig und wichtig, keine Frage. Und als dann auch noch Donors, also Menschen, die hohe Summen für Yad Vashem spenden, ihre Stimme erhoben, war klar: der Protest kommt nun von überall und könnte Erfolg haben.
Netanyahus Koaltionspartner Benny Gantz, Führer der Blau-Weiß-Partei, Verteidigungsminister und „alternierender Premierminister“, selbst Kind von Holocaust-Überlebenden, zögerte und zauderte, wie er das nun schon ständig tut in seiner bislang sehr kurzen Zeit als ziemlich ungeschickter Politiker. Gantz wurde von allen Seiten bombardiert, zusammen mit seinen Abgeordneten in der alles entscheidenden Abstimmung gegen Eitam zu votieren. Zunächst wollte Gantz daraus ein politisches Spiel machen, ausgerechnet er, der ehemalige Generalstabschef der israelischen Armee und Sohn von Überlebenden. Er wollte andere Berufungen durchsetzen im Gegenzug für sein Ja zu Eitam. Doch dann wurde der Druck auf ihn so groß, dass er schließlich öffentlich erklärte, er werde gegen Eitam stimmen. Auf alle Fälle. Das ist der Stand der Dinge zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen.
Also Ende gut alles gut? Mitnichten. Denn all die Protestierenden müssen sich darüber im Klaren sein, dass, wie anfangs gesagt, Effi Eitam kein Skandal ist, sondern ein Symptom. Ein Symptom für eine Krise des israelischen Selbstverständnisses, die aber von den Rechten und Ultranationalen ganz anders gesehen wird. Das Tribale, das Ausschließende, das Rassistische, das Nationale, das Kämpfende – das ist es, wie die Mannen (und auch Frauen) um Netanyahu herum ihr Israel verstehen. Für sie ist das die Lehre aus der Shoah. Ist das nachvollziehbar? Wenn es um das Wehrhafte ginge (nicht um das Kämpfende), wenn es um die Nation, nicht aber um das Nationale ginge, dann sicher ja. Aber, wie so häufig in diesen Zeiten, die Überdrehung und Überspitzung der Bedeutung der eigenen Identität führt zu höchst problematischen Entwicklungen. Dass Eitam überhaupt Kandidat für dieses so wichtige Amt werden konnte, dass ein Mann, der keinerlei Qualifikationen dafür mitbringt, zum Spitzenkandidaten des Premiers wird, lässt tief blicken. Es geht um Gesinnung, nicht um Haltung, um ein bestimmtes Narrativ, nicht um wissenschaftliche Erkenntnis. Der Kampf um die Zukunft Yad Vashems ist im Grunde ein Kampf um das, was Israel sein will. Die meisten Protestierenden werden sich wieder gemütlich zurücklehnen, falls es ihnen gelungen sein sollte, Eitam zu verhindern. Doch damit ist kein Sieg errungen. Wahrlich nicht. Der Kampf in und um Israel geht weiter.
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