Kampf um Israel in Yad Vashem

Erinnerungshalle in Yad Vashem Foto: Shutterstock, paparazzza
Erin­ne­rungs­halle in Yad Vashem Foto: Shut­ter­stock, paparazzza

Mit Ephraim „Effi“ Eitam sollte ein beken­nender Feind der arabi­schen Bevöl­ke­rung Israels Direktor des Holo­caust­ge­denk- und Doku­men­ta­ti­ons­zen­trums Yad Vashem werden. Das ist ein Symptom eines größeren Problems der israe­li­schen Politik.

Er ist ein Symptom und kein Skandal. Die Rede ist von Ephraim „Effi“ Eitam, ein ehema­liger rechts­na­tio­naler Politiker. Der Briga­de­ge­neral der Reserve galt in Israel einst als Kriegs­held. Aller­dings hat er auch einen paläs­ti­nen­si­schen Gefan­genen so brutal zusam­men­schlagen lassen, dass dieser dabei starb. Eitam verließ daraufhin die Armee. Aber machte weiter mit seinem Hass auf Araber, selbst später als Knesset-Abge­ord­neter einer rechts­na­tio­nalen Partei. Dass er Rassist genannt wird, stört ihn nicht, er ist von seinen Thesen überzeugt. Für ihn sind die Araber in Israel „ein Krebs­ge­schwür“, das entfernt werden muss, er ist überzeugt, dass sie alle Verräter seien, aus Israel vertrieben werden müssten, ebenso wie alle Paläs­ti­nenser aus dem West­jor­dan­land. Nein, Eitam ist kein Brücken­bauer, kein Versöhner, er ist absolut kein Liberaler. Und er ist weder Histo­riker noch Fachmann für den Holocaust. Aber all das scheint ihn in diesen Zeiten in Israel zum idealen Kandi­daten für das Amt des leitenden Direktors der natio­nalen Holocaust-Gedenk­stätte Yad Vashem zu machen. So zumindest denken zwei Politiker, die dies­be­züg­lich erst einmal das Vorschlags­recht haben: Premier Benjamin Netanyahu und Zeev Elkin, in der UdSSR geboren, heute Likud-Mitglied und Minister im Kabinett Netan­yahus. Unter seinem Portfolio fällt auch die Verant­wor­tung für Yad Vashem. Das Netanyahu und Elkin rechts von der Mitte stehen, versteht sich.

Nun muss man verstehen, was Yad Vashem für Israel und die Welt bedeutet. Die nationale Gedenk- und Forschung­stätte für den Holocaust, den Völker­mord an den euro­päi­schen Juden, symbo­li­siert die Essenz der Existenz des jüdischen Staates Israel. Jeder auslän­di­sche Politiker, der nach Israel kommt, hat entspre­chend des Proto­kolls auch einen Besuch von Yad Vashem zu absol­vieren. Aber Yad Vashem ist noch viel mehr: eine seriöse Insti­tu­tion zur Erfor­schung der Shoah. Sie arbeitet eng mit inter­na­tio­nalen Orga­ni­sa­tionen und Insti­tuten, Museen und anderen Gedenk­stätten zusammen. Sie formu­liert Erin­ne­rungs­kultur, sie versucht, die Shoah zum Anlass zu nehmen, nicht nur Anti­se­mi­tismus heute zu bekämpfen, sondern jede Form von Rassismus und Verfol­gung anderer. Zurecht waren stets hoch ange­se­hene Persön­lich­keiten Direk­toren von Yad Vashem. Unter den Wissen­schaft­lern der Gedenk­stätte finden sich berühmte Namen wie Prof. Dina Porat oder Prof. Yehuda Bauer. Vorsit­zender des Direk­to­riums war zuletzt Avner Shalev, der in Yad Vashem neue Institute zur Forschung einge­richtet hatte. Auch er also ein Mann von großem Wissen, Verant­wor­tung, weltweit geachtet. Ihm also soll Effi Eitam folgen. Der noch nie irgend­etwas Wissen­schaft­li­ches über den Holocaust veröf­fent­licht hat. Der Araber hasst, als Kollektiv.

Der Protest­sturm, der der Ankün­di­gung der Berufung folgt, war groß, natürlich. Alle israe­li­schen Über­le­benden-Orga­ni­sa­tionen protes­tierten, es folgten inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tionen und Institute, es gab einen offenen Brief an Premier Netanyahu, in dem mehr als 220 inter­na­tio­nale und promi­nente jüdische und nicht­jü­di­sche Intel­lek­tu­elle und Wissen­schaftler den Regie­rungs­chef auffor­derten, die Berufung fallen zu lassen. Es war, um es salopp zu sagen, die übliche Empö­rungs­in­sze­nie­rung, die man mitt­ler­weile weltweit in solchen Situa­tionen kennt. Das ist richtig und wichtig, keine Frage. Und als dann auch noch Donors, also Menschen, die hohe Summen für Yad Vashem spenden, ihre Stimme erhoben, war klar: der Protest kommt nun von überall und könnte Erfolg haben.

Netan­yahus Koal­ti­ons­partner Benny Gantz, Führer der Blau-Weiß-Partei, Vertei­di­gungs­mi­nister und „alter­nie­render Premier­mi­nister“, selbst Kind von Holocaust-Über­le­benden, zögerte und zauderte, wie er das nun schon ständig tut in seiner bislang sehr kurzen Zeit als ziemlich unge­schickter Politiker. Gantz wurde von allen Seiten bombar­diert, zusammen mit seinen Abge­ord­neten in der alles entschei­denden Abstim­mung gegen Eitam zu votieren. Zunächst wollte Gantz daraus ein poli­ti­sches Spiel machen, ausge­rechnet er, der ehemalige Gene­ral­stabs­chef der israe­li­schen Armee und Sohn von Über­le­benden. Er wollte andere Beru­fungen durch­setzen im Gegenzug für sein Ja zu Eitam. Doch dann wurde der Druck auf ihn so groß, dass er schließ­lich öffent­lich erklärte, er werde gegen Eitam stimmen. Auf alle Fälle. Das ist der Stand der Dinge zum Zeitpunkt des Verfas­sens dieser Zeilen.

Also Ende gut alles gut? Mitnichten. Denn all die Protes­tie­renden müssen sich darüber im Klaren sein, dass, wie anfangs gesagt, Effi Eitam kein Skandal ist, sondern ein Symptom. Ein Symptom für eine Krise des israe­li­schen Selbst­ver­ständ­nisses, die aber von den Rechten und Ultra­na­tio­nalen ganz anders gesehen wird. Das Tribale, das Ausschlie­ßende, das Rassis­ti­sche, das Nationale, das Kämpfende – das ist es, wie die Mannen (und auch Frauen) um Netanyahu herum ihr Israel verstehen. Für sie ist das die Lehre aus der Shoah. Ist das nach­voll­ziehbar? Wenn es um das Wehrhafte ginge (nicht um das Kämpfende), wenn es um die Nation, nicht aber um das Nationale ginge, dann sicher ja. Aber, wie so häufig in diesen Zeiten, die Über­dre­hung und Über­spit­zung der Bedeutung der eigenen Identität führt zu höchst proble­ma­ti­schen Entwick­lungen. Dass Eitam überhaupt Kandidat für dieses so wichtige Amt werden konnte, dass ein Mann, der keinerlei Quali­fi­ka­tionen dafür mitbringt, zum Spit­zen­kan­di­daten des Premiers wird, lässt tief blicken. Es geht um Gesinnung, nicht um Haltung, um ein bestimmtes Narrativ, nicht um wissen­schaft­liche Erkenntnis. Der Kampf um die Zukunft Yad Vashems ist im Grunde ein Kampf um das, was Israel sein will. Die meisten Protes­tie­renden werden sich wieder gemütlich zurück­lehnen, falls es ihnen gelungen sein sollte, Eitam zu verhin­dern. Doch damit ist kein Sieg errungen. Wahrlich nicht. Der Kampf in und um Israel geht weiter.

Textende

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